Peter Urban

Der Fluch von Azincourt Gesamtausgabe


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war nicht nur auf dem Gebiet der weißen Magie begabt. Die schwarze Kunst stand am Hof des Herzogs von Cornouailles in keinem hohen Ansehen und darum hatte Aodrén es vorgezogen, das Thema dem Herzog gegenüber erst gar nicht anzuschneiden. Doch er lehrte seinen Schüler seit vielen Jahren schon alles magische Wissen, das er selbst besaß: schwarz oder weiß, es machte keinen Unterschied für den alten Drouiz.

      Sévran strebte nach Wissen. Er lehrte das Kind und das Kind hatte Anlagen, wie er sie noch nie zuvor in seinem ganzen langen Leben bei einem Schüler je gesehen hatte. Heute war Sévran noch ein roher Edelstein, doch in Brocéliande würde er seine endgültige Form bekommen; Maen Higolin da Varzhin- geschliffen am Schleifstein des Marzhin.

      Der Herzog von Cornouailles nickte seinem engsten Ratgeber zu: „So sei es, Ollamh! Wenn er aus dem Heiligen Wald zurückkehrt, wird er zu Yann de Montforzh nach Rennes gehen.“

      Kapitel 4 Das Geheimnis von Saint Jacques

      I

      Ambrosius Arzhur erhob sich aus dem bequemen Lehnstuhl direkt neben dem gekachelten Kamin. Er hatte ihn erst im letzten Sommer für Maeliennyd und ihre Frauen in der Kemenate des Palas von Carnöet errichten lassen. Die Festung war so alt, das niemand mehr sagen konnte, wer wirklich ihren Grundstein gelegt hatte. Und obwohl sie hier gerne die warme Jahreszeit verbrachten, musste man gegenüber dem Komfort und der Wohnlichkeit seines Palas in der Ville Close von Concarneau doch große Abstriche machen. Er betrachtete den geschlossenen Kamin noch einmal zufrieden. Eine eindeutige Verbesserung, nicht nur in der Lebensqualität seiner Gemahlin. Auch er kam gerne in das große, heimelig warme Zimmer, um sich auszuruhen oder um sich bei einem Schachspiel zu entspannen.

      Der Herzog ging zu einer Silberschale mit Süßigkeiten und Nüssen, die auf einer geschnitzten Holztruhe zwischen zwei kostbaren Vasen aus Glas stand. Die ersten Frühlingsblumen zierten bereits die Gemächer von Maeliennyd und verströmten angenehmen Duft, der den üblen Geruch der Öllampen wohltuend überdeckte. Ambrosius nahm ein kandiertes Veilchen und betrachtete es gedankenverloren, bevor er es in den Mund schob: „ Der Brief aus Paris ist wirklich interessant gewesen, meine Liebe.“

      Maeliennyd nickte, faltete das Pergament wieder sorgfältig und legte es in ein Fach ihres Comptoirs zurück: „Der Burgunder hat seine beiden toten Brüder und Azincourt schnell vergessen. Jetzt läuft er dem Lancaster hinterher, wie ein Schoßhund und bietet ihm seine Freundschaft an“, antwortete sie zynisch. Für gewöhnlich war dies nicht ihre Art, doch der Brief aus Paris hatte schmerzhafte Erinnerungen in ihr wachgerufen. So leicht es Jean Sans Peur gefallen war, einen Schlussstrich unter das Debakel vom 25.Oktober 1415 zu ziehen...sie konnte nicht vergessen: Ihr schöner, starker und tapferer Aorélian, von einer Plündererbande ermordet. Glaoda -gutmütig, gelassen und klug- von Henry V. ermordet, dem Sohn des Mannes, der ihre Mutter und ihre Geschwister umgebracht und der ihrem Vater sein Königreich gestohlen hatte.

      Obwohl inzwischen drei Jahre vergangen waren, schrie das Herz von Maeliennyd Glyn Dwyr immer noch laut und unerbittlich nach Rache für Azincourt.

      Ambrosius Arzhur seufzte, als er in die dunklen Augen seiner Gemahlin blickte, die mit einem Mal so kalt und hart und unergründlich geworden waren. Er verstand sie mit dem Herzen, doch die Notwendigkeiten der Politik forderten von ihm, dass er die Geschehnisse des Jahres 1415 mit Abstand und Zurückhaltung betrachtete.

      Auf die Nachricht von der Niederlage bei Azincourt war König Charles VI., der sich bereits seit 1392 und seinem missglückten Feldzug gegen die Bretagne in einem Zustand der geistigen Umnachtung befand, regelrecht dem Wahnsinn verfallen. Obwohl Azincourt erstaunlicherweise die Grundlagen der Beziehung zwischen England und Frankreich nicht verändert hatte, hatte die Schlacht tiefgreifend die Machtverhältnisse innerhalb des Landes beeinflusst. Seit dem Weihnachtsfest, das auf die Katastrophe in der Picardie gefolgt war, führte Bernard d’Armagnac in Paris ein brutales, rücksichtsloses Regime an. Das hässliche Gesicht seiner Eisernen Hand manifestierte sich in der Gewalt, mit der er Zwangsanleihen bei den Handelsherren und Zunftmeistern der reichen, französischen Hauptstadt durchgesetzt hatte, um die leeren Staatskassen wieder aufzufüllen. Die Goldmark von Paris, die unter Charles V. noch sechzig Livres von Tours wert gewesen war, war inzwischen auf über einhundert Livres geklettert.

      Während Armagnac in der Hauptstadt seine Raubwirtschaft betrieb, massakrierten sich seine Anhänger und die Anhänger des Burgunder auf der gesamten umliegenden Ile-de-France und in der Champagne. Anstatt nach Azincourt seine Truppen zurück nach Hause zu schicken, hatte Jean Sans Peur sich unweit der Hauptstadt in Lagny häuslich eingerichtet und bedrohte von dort aus seit nunmehr drei Jahren Bernard d’Armagnac und seine Schergen. Armagnac hielt den wahnsinnigen König Charles VI. zusammen mit einem Teil der königlichen Kinder und dem Dauphin Charles de Ponthieu, wie Geiseln, während andere Kinder sich als Faustpfand in der Hand des Herzogs von Burgund befanden. Isabeau de Bavière die Wittelsbacher Königin, saß immer noch in ihrem Exil in Troyes und erklärte jedem, der es hören wollte, dass sie alleine Frankreich regierte. Dabei verheimlichte sie niemandem, das sie am liebsten gemeinsame Sache mit den Burgundern gegen den eigenen Gemahl und ihre Söhne machen wollte. Selbst das starke und unabhängige Anjou zitterte, wie Laub im Wind vor den Grauen des Bürgerkrieges, der immer wieder hart und gnadenlos über die Grenzen der Loire schwappte. Nur die wehrhafte Bretagne und das unzugängliche Cornouailles standen in diesen schweren Tagen noch unbeugsam, wie die beiden letzten Felsen in der Brandung.

      Draußen, auf der anderen Seite ihrer Grenzen - im Süden für Cornouailles die Loire und im Norden für Yann de Montforzh die Mayenne - tobte das Grauen. Schlimmer noch: Am 29.Juni 1417 war die französische Flotte vor La Hougue von der englischen Flotte zerstört worden und den schmalen Wasserweg zwischen den beiden Ländern beherrschte jetzt der Thronräuber Lancaster. Es diente seiner Eroberung der normannischen Länder wohl.

      Henrys Bruder Bedford befand sich in Caen, dass das Regierungszentrum der Engländer auf dem Kontinent geworden war. Zuvor hatte er die französischen Bürger der Stadt gnadenlos enteignet und vertrieben. Der Hafen von Trouville erlitt das gleiche Schicksal und nur zwei Jahre nach dem Tod des Herzogs von Alençon auf dem Feld von Azincourt hatte die Kriegsknechte von Henry Lancaster sowohl Argentan, als auch den Herzogssitz Alençon unterworfen. Jean, der junge Herzog kämpfte einen erbitterten, aber aussichtslosen Guerillakrieg gegen die Engländer. Rouen wurde von Lancasters Truppen hart belagert. Der Feind stand direkt vor den Toren der Bretagne.

      Die einfachen Menschen, die von dem politischen Gewittersturm nach Azincourt und von den finsteren Machenschaften des englischen Königs keine Ahnung hatten, zitterten vor plündernden Waffenleuten und Söldnern ohne dabei einen Unterschied zwischen Lancaster, Bourgogne, Armagnac oder Orleans zu machen.

      Anstatt sich ausrauben und totschlagen zu lassen, verließen sie ihre Höfe auf dem Land und flüchteten in die befestigten Städte. Die Verwegenen verschwanden durch den Passais in die Bretagne und bevölkerten heimatlos und abgerissen die Gossen von Rennes und anderen größeren Städten im Herrschaftsgebiet von Yann de Montforzh. Außer dem Bürgerkrieg und der Eroberung der Normandie, die Henry, der seit dem Vertrag von Canterbury vom August 1416 auch noch mit Sigismund von Luxemburg und dem Heiligen Römischen Reich verbündet war vorantrieb, drohten überall Hungersnot und Seuchen. Selbst Cornouailles, fern ab, am Ende der Welt, spürte inzwischen schon die Auswirkungen der Katastrophe und sah abgerissene, halb verhungerte Bettler und Vertriebene in den größeren Hafenstädten an der Küste.

      Auch ohne diesen überraschenden Brief aus Paris war Ambrosius über die Lage in Frankreich bestens informiert und er konnte sich ohne Mühe ausrechnen, dass angesichts von Armagnacs Regime und der harten Hand seines Hauptmanns Tanguy du Châtel, die Anhängerschaft für Jean Sans Peur in der französischen Hauptstadt stetig zunahm. Es würde nicht mehr lange dauern und irgendwer würde dem Burgunder ohne Rücksicht auf seine englischen Neigungen die Tore weit öffnen, nur um Armagnac, Tanguy, seinen schwarzen Mörderhaufen und ihre brutale Zwangsherrschaft loszuwerden.

      „Sidonius von Concarneau!“ Er hatte in einer energischen Handschrift unterschrieben. Der Brief erweckte auch in Ambrosius