Peter Urban

Der Fluch von Azincourt Gesamtausgabe


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ihm geschenkt hatte hoch und hielt ihn in beiden Händen. Da war der, den er verfluchen musste und er konnte ihn plötzlich ganz genau erkennen. Er schwebte über dem Feld aus Grün, Braun und rotem Blut. Er würde dieses Gesicht in seinem ganzen Leben nicht vergessen. Niemals. Sévran erkannte das abgrundtief Böse.

      „Mörderbrut“, schrie er den Dunklen wütend an, „Mörderbrut!“

      Als der lachende Junge mit den braunen Locken nicht reagierte, sondern weiter über seinem toten Bruder und dem Dreck schwebte, fiel Sévran auf die Knie. Ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, zog er die scharfe Klinge seines Dolches über das weiche Fleisch seines Unterarmes.

      „Morrigù, Tochter des Lichtes. Ich bitte Dich, höre meinen Fluch, oh Morrigù, Herrin der Krieger, gebe mir die Kraft für meine schreckliche Verdammung des Mörders, des Schänders des schwarzen und des roten Drachen, Ich verfluche und vernichte Dich. Ich verfluche Dein Leben und vernichte Dein Wesen. Bei der Macht der höchsten Tochter des Lichtes verfluche ich Dein Dasein und verbanne Dich in die tiefsten Abgründe der Finsternis. Falle hinein in fürchterliche Qualen. O Morrigù, höre mich, die Erde soll ihn ersticken, denn mein sind ihre Kräfte. Das Feuer soll ihn quälen, denn mein ist seine Magie. Und die Luft soll nicht um ihn wehen, solange meine Hand den Wind zügelt und kein lebenspendendes Wasser soll ihn kühlen, sondern da sei nicht auszuhaltende Qual. Die Kraft meines Fluches soll für immer und ewig auf ihm lastet und die Götter sollen ihn nicht hören, noch ihm jemals helfen. Der Fluch soll ihn verfolgen auf immer und ewig und bis ans Ende der Zeit und der Welt!“

      Mit ganzer Kraft schrie das Kind den schrecklichen Fluch hinaus, während sein Blut aus der tiefen Schnittwunde an seinem Unterarm tropfte. Dabei fiel Sévran selbst tiefer und immer tiefer hinab, bis alles nur noch schwarze Nacht um ihn war. Der spöttisch lachende, braunhaarige Knabe war verschwunden und mit ihm waren sie alle fort, die Schreie, das Blut, der Himmel und die Bäume, der verstümmelte Leichnam seines Bruders...

      Sévran war es in diesem Augenblick vollkommen gleichgültig, wenn er für seinen schrecklichen, schwarzen Fluch gemeinsam mit dem Mörder von Aorélian ins Bodenlose stürzte.

      IV

      Die steinalte Frau legte noch mehr Holz auf das Feuer und fächelte es an, um die Flammen an die Scheite zu locken. Regen prasselte gegen die Scheiben aus Butzenglas. Die Feuchtigkeit schien die Steine des Turms zu durchtränken. Die Alte fächelte eifriger. Ab und an warf sie einen Blick zu dem großen Bett, das mitten im Raum stand. Das Kind lag totenbleich zwischen den wärmenden Fellen. Sie konnte von ihrer kauernden Position am Kamin nicht erkennen, ob es noch atmete. Ihre Herrin saß neben dem Jungen. Sie hatte schon lange keine Tränen mehr. Stumm und regungslos hielt sie die farblose, eiskalte Hand ihres jüngsten Sohnes. Der Verband, der sich um den Unterarm des Kindes wand, schimmerte rosig und feucht vom Blut.

      Der Ollamh starrte durch das fest verschlossene Fenster hinaus in die Nacht. Hart hob sich sein weißes, mit silbernen Fäden besticktes Gewand von den dunklen Steinen ab. Da stand er, wie eine Statue und starrte hinaus und sagte kein Wort.

      Nur Ambrosius Arzhur, ihr Herr schien noch zu leben. Er lief in dem Turmzimmer auf und ab, wie ein wildes Tier, das man in einen Käfig gesperrt hatte. Leise erhob die alte Frau sich aus ihrer kauernden Stellung und schlich zurück zu ihrem Lehnstuhl und zu ihrem Strickzeug. Sie war dabei gewesen. Schon lange munkelte man, dass der jüngste Sohn des Herren von Cornouailles das „Zweite Gesicht“ hatte und den alten Göttern näher war, als dem Hier und Jetzt. Mitten im Nachtmahl, als die Mägde den Waffenleuten gerade frische Weinkrüge hingestellt hatte, war er plötzlich von seinem Platz aufgestanden und eine Stimme, die sie noch nie zuvor gehört hatte, hatte aus Sévran gesprochen. Eine tiefe, unnatürliche Stimme. Eine Stimme aus der anderen Welt von Inis Gwenva. Der große Saal war mit einem Schlag verstummt und die Augen aller Anwesenden hatten sich auf das Kind gerichtet. Niemand war geistesgegenwärtig genug gewesen, um zu verhindern, dass der Knabe sich mit seinem silbernen Dolch tief bis aufs Blut in den Unterarm schnitt.

      Die Schlacht im Norden war schrecklich gewesen, Frankreich verloren, der Thron der Valois verflucht. Die nobelsten Namen des Landes verrotteten im Dreck an der picardischen Küste. Bei Azincourt waren ganze Linien der französischen Hocharistokratie einfach ausgelöscht worden. Und Ambrosius Arzhur blieb nichts, außer seine beiden ältesten Söhne und die guten Männer von Cornouailles zu betrauern.

      Der Herzog hatte trotz seines Schmerzes und seiner Wut bereits Boten nach Rennes zu Yann de Montforzh und nach Concarneau zu seinem Schwiegervater Cadwalladr Owain Glyn Dwyr geschickt. Seit seiner Niederlage gegen die Engländer im letzten Jahr versteckte der walisische König sich vor den Meuchelmördern, die Lancaster auf ihn angesetzt hatte in Cornouailles.

      Die alte Frau kannte das Kind Sévran, seit es vor zwölf Jahren unter den Feuern von Bealltainn an den Ufern der Laïta in der Burg von Carnöet seinen ersten Schrei ausgestoßen hatte. Sie war damals dabei gewesen, als der Ollamh ihn in diese Welt geholt hatte, genauso wie zuvor schon Aorélian, Glaoda und die drei älteren Töchter des herzoglichen Paares. Und Bran'wen hatte mit eigenen Augen mit angesehen, wie Aodrén ihn von den Ufern der weißen Welt, aus dem Hafen der Untergehenden Sonne zurück nach Tir na m-Béa geholt hatte, obwohl er im Augenblick seiner Geburt mausetot gewesen war.

      Zuerst hatte das Kind nicht geatmet. Maeliennyd hatte nicht glauben wollen, dass der Knabe tot geboren worden war. Sie hatte geweint und so lange gebettelt, gefleht, geschimpft, geflucht und gedroht. Einen Augenblick lang hatten die Herzogin und der Ollamh damals einen bitteren Kampf um ihren Sohn ausgetragen. Doch dann hatten die Drouiz und Ambrosius im Heiligen Hain von Carnöet die Feuer von Bealltainn entzündet. Genau in diesem Augenblick hatte Sévran seinen ersten Schrei ausgestoßen: hinter den verschlossenen Türen des Gemachs im Zentrum eines Kreises aus kaltem, magischem Feuer. Es war ein Schrei gewesen, wie ein zu Tode verletztes Tier, so schrecklich und so durchdringend, dass sie diesen Schrei ihrer Lebtage niemals würde vergessen können. Und endlich war Aodrén aus dem Kreis getreten, weiß wie der Tod, bleich, wie ein Leichentuch und hatte sie losgeschickt, um warmes Wasser und saubere Tücher zu holen. Sévran war – so hatte der Drouiz ihr damals mit versteinerter Miene erklärt - mit einem Mal aus der Anderswelt ins Leben zurückgekehrt. Sie hatte niemals herausgefunden, was der Weiße Bruder wirklich getan hatte, um das Kind aus der anderen Welt zurückzuholen. Doch Bran‘wen wusste, dass die blaue Flammen seines kalten, magischen Feuers mit einer solchen Intensität gebrannt hatten, dass die mächtigen Bealltainn-Feuer unten im Hain vor ihnen verblasst waren.

      Sie hatte bereits damals genau gespürt, das Maeliennyd einem ganz besonderen Wesen das Leben geschenkt hatte, einem Geschöpf das auf der Schwelle zwischen Abred und Gwenved stand, ein Kind, dass der Ankoù fortgeschickt hatte, obwohl seine Augen bereits die weiße Welt von Inis Gwenva und die Kinder des Lichtes gesehen hatten. Weder ihre Herrin noch Aodrén Jaouen Kréc’h Elis hatten ihr damals abverlangt, über das was sie miterlebt hatte Stillschweigen zu bewahren. Doch sie wusste ganz genau, dass sie bis zum Tag ihres Todes niemals wieder frei und unbefangen über diese Nacht sprechen durfte, nicht einmal mit den drei Menschen, die in diesem Augenblick in diesem Raum zugegen waren.

      Die alte Frau nahm ihre Stricknadeln auf und setzte ihre Arbeit fort, doch ihre wässrig blauen Augen starrten weiterhin das Bett an, auf dem das Kind lag. Seine kleine Hand schien sich zu bewegen. Ihre Herrin Maeliennyd Glyn Dwyr beugte sich plötzlich zu ihrem jüngsten Sohn hinunter, küsste ihm erleichtert die Stirn und nahm ihn fest in die Arme.

      Das Unwetter draußen wurde kräftiger. Obwohl die Ohren der alten Frau nicht mehr viel taugten, hörte sie doch das Wasser, wie es tröpfelnd und rieselnd durch die Ritzen der Mauern des Turmes von Rusquec quoll. Das Kind lebte. Sie konnte ihre Strickarbeit fortlegen und endlich wieder die müden Augen schließen.

      V

      „Er behauptet, er erinnert sich an nichts mehr“, sagte Aodrén leise zu Ambrosius Arzhur. „Dein Sohn hat das „Zweite Gesicht“, soviel ist gewiss. Doch niemand hat ihn je gelehrt, Visionen zu beherrschen oder sich an sie zurückzuerinnern.

      Der Herzog hörte zu. Er war immer noch von den Worten, die die unbekannte Stimme