Peter Urban

Der Fluch von Azincourt Gesamtausgabe


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blutigen und dreckigen Kampfrüstung miteinander verbanden. Jeder Knochen in seinem Leib schmerzte. Seine Kehle war so ausgetrocknet, dass selbst das Schlucken ihm wehtat. Seine Augen brannten vom Schweiß, vom Blut, das aus einer hässlichen Wunde auf seiner Stirn über sein dreckiges Gesicht floss und von den Tränen, die er schon lange nicht mehr zurückhielt. Er hatte sie fallen sehen. Beide. Seine Lippen waren aufgeplatzt und brannten. Blut rann über sein glatt rasiertes Kinn unter den nassen, hohen ledernen Kragen, der seine Kehle und seinen Nacken schützte. Vorsichtig schob er die schweren Metallteile der Rüstung unter einen Weißdornstrauch. Er wusste, dass der leiseste Ton, das geringste Geräusch seinen Tod bedeuten konnten. Noch im Schein der Fackeln zogen sie über das blutige Feld. Die Schlachterei im hellen Licht der Oktobersonne, die einer stürmischen Regennacht gefolgt war, hatte ihnen offenbar nicht gereicht. Der Konnetabel von Cornouailles nahm seine Beinschienen ab und verbarg sie dort, wo schon die anderen Teile seiner Rüstung im Schlamm lagen. Dann lies er sich erschöpft gegen einen Baumstamm sinken. Er hatte jede Kontrolle über seine Augen verloren und ein langer, stetiger salziger Fluss grub tiefe Rinnen in den Schmutz auf seinen Wangen. Für einen kurzen Augenblick erlaubte Gud’wal sich, noch einmal um sie zu weinen.

      Irgendwo dort draußen lagen sie alle im Schlamm: Beide Brüder des Herzogs von Burgund. Der mutige, junge Graf Phillipe von Nevers und Jean Herzog von Alençon. Edouard Herzog von Bar und Charles d‘Albret der französische Konnetabel. Marle und Fauquembergues, die im letzten Augenblick mit sechshundert Berittenen eine verzweifelte Attacke gegen Henry versucht hatten, um das Rad des Schicksals vielleicht doch noch herumzureißen. Amaury de Craon, der mit seinem eigenen Vater gebrochen hatte, um neben Arzhur de Richemont und für Breizh zu kämpfen. Aorélian de Douarnenez, sein eigener junger Herr, der noch am Morgen klug genug gewesen war, seine Pferde fortzuschicken und seine Reiter zu Fuß kämpfen zu lassen und Glaoda de Léon. Sein kleiner Glaoda, um den er das letzte Mal geweint hatte, als der Jüngling, stolz wie ein König den hübschen Roussin bestieg, den der Herzog Ambrosius ihm geschenkt hatte, damit er auch als Knappe am Hof zu Rennes eine gute Figur machte.

      Gud’wal hatte plötzlich das Gefühl, es wäre erst gestern gewesen. Der Konnetabel von Cornouailles presste die schmutzige, zitternde Hand fest auf den Mund, um ein Schluchzen zu unterdrücken. Sein kleiner Glaoda, um den er zum letzten Mal geweint hatte, als er mit vierzehn Jahren losgezogen war, um ein Ritter zu werden. Gud’wal hatte damals Freudentränen geweint, denn er war so stolz auf den Jungen gewesen, so stolz, als Yann de Montforzh, der junge Herzog der Bretagne den Boten nach Concarneau entsandt hatte, der Glaoda einlud, seine Ausbildung in der Kriegskunst am Hof zu Rennes zu beenden. Glaoda dem das Schicksal nicht einmal die Gunst erwiesen hatte, wie ein wahrer Ritter im Kampf Mann gegen Mann zu sterben.

      Gud'wal schloss kurz beide Augen und atmete tief durch: Das waren die, die er selbst in ihrem Blut hatte liegen sehen, weißes, zerschlagenes Fleisch gnadenlos dem bisschen Würde beraubt, das ein Mann im Tode noch haben konnte. So hatte er den Erben von Cornouailles gefunden; halb begraben unter den Leichen der Engländer, die er totgeschlagen hatte, bevor das Schicksal ihn selbst ereilte. Sein nackter Oberkörper von tiefen Hiebwunden übersäht, die Linke mit der er seinen Schild mit den stolzen Quinotauren und dem Pentagramm noch im Tode festgehalten haben musste abgeschlagen, der Schild und sein Schwert verschwunden... und genau so der rechte Arm und mit ihm der Sigillenreif des Cadwalladr.

      Als der elende Lancaster den Befehl gegeben hatte wertlose Gefangene totzuschlagen, um den Zug nach Calais nicht zu belasten, hatte das englische Gesindel sofort, damit angefangen die gefallenen französischen Ritter auf dem Feld von Azincourt systematisch zu plündern, um damit den Verlust an Lösegeld wettzumachen, das die französischen Gefangenen eingebracht hätten. Was sich neben den Kadavern, die stellenweise in richtigen Haufen lagen noch regte erschlugen sie ohne Umschweife.

      Als der elende Lancaster den Befehl gegeben hatte wertlose Gefangene totzuschlagen, da hatte sein kleiner Glaoda sich geweigert, die Seite seiner Bogenschützen zu verlassen und sich zu denen zu gesellen, die ein Lösegeld einbrachten. Er war zusammen mit den Bauern und Fischern seines Vaters gestorben, durchbohrt von den Pfeilen der englischen Söldner, die die Einzigen gewesen waren, die die Ehrlosigkeit besaßen, um einer Handvoll Goldstücke Willen und gegen die Vorschriften der Ritterlichkeit Unbewaffnete abzuschlachten.

      An diesem Morgen waren sie achthundert Männer aus Cornouailles gewesen, einhundert fünfzig Berittene, fünfzig Armbrustschützen von der Festung von Concarneau und sechshundert aus der Bauernmiliz, die sich freiwillig gemeldet hatten, um den beiden ältesten Söhne ihres Herren in den Krieg zu folgen. Gud’wal wischte sich mit dem Ärmel die Tränen und den Dreck aus dem Gesicht, dann zog er sich langsam an dem Baum, der ihm Halt und Trost gespendet hatte auf die Beine. Dieses Feld des Elends und der Schrecken war nicht der Ort, um Aorélian und Glaoda zu betrauern und vielleicht auch um Arzhur de Richemont zu weinen. Er musste fort von hier, zurück zu seinem Herzog und ihm berichten was an diesem Tag von Saint Créspin in der Picardie geschehen war. Er musste nach Hause, nach Cornouailles, bevor Gerüchte seinen Herren erreichten; Gerüchte darüber, dass sie sich erbärmlich geschlagen hätten und von einer Handvoll halb verhungerter Engländer besiegt worden wären... Gerüchte über das Ende der Welt.

      Ambrosius musste erfahren, wie über dem leblosen Körper seines Erben ein halbes Dutzend toter Sachsen aufgetürmt gelegen waren, die Aorélian mit nach Inis Gwenva, in die weiße Welt genommen hatte und er musste wissen, dass Glaoda die Seinen selbst im Tod nicht im Stich gelassen hatte, sondern hocherhobenen Hauptes und stolz zu seinen Göttern heimgekehrt war. Gud’wals ausgetrocknete, brennende Augen wanderten über das desolate Feld. Er brauchte ein Pferd um nach Hause zu gelangen, ein unverletztes, solides Tier das ihn die weite Strecke zurück nach Cornouailles tragen würde.

      Der Fluch von Azincourt hatte sich über das Haus der Valois und über ganz Frankreich gelegt.

      Der Konnetabel von Cornouailles schwang sich in den Sattel. Er hatte einen dunkelbraunen Hengst am Rand des kleinen Waldes, in dem er sich versteckt gehalten hatte beim Grasen überraschen können. Mit ein wenig Glück und der Gunst der alten Götter würde er noch vor dem ersten Schnee im Argoat und auf Rusquec sein, wo der Herzog Ambrosius Arzhur sich traditionell während der Wintermonate zur Jagd aufhielt. Und sobald er den heiligen Berg, den man jetzt nicht mehr Tombelaine sondern Mont Saint Michel nannte, erreicht hatte, würde er durch sicheres Gebiet reiten, in dem der Name seines Herrn für die Menschen immer noch wichtiger war, als der von Henry Lancaster oder Charles de Valois.

      Kapitel 3 Der Schleifstein des Marzhin

      I

      Die Herzogin von Cornouailles ging unruhig auf und ab und konnte das Zittern ihrer Hände kaum unterdrücken. Aodrén war mit beiden Pferden alleine aus dem Uhel Koad zurückgekehrt und sofort in ihre Gemächer geeilt, um ihr mitzuteilen, dass er Sévran am Ufer des Silberflusses unweit der Furt und des Ty ar Boudiket zurückgelassen hatte.

      „Du darfst ihm deine Angst nicht zeigen. Du hast von Anfang an gewusst, dass es irgendwann geschehen würde. Du darfst ihm deine Angst nicht zeigen“, Maeliennyd seufzte leise.

      Sévran war bereits in der Stunde seiner Geburt für die Weiße Bruderschaft bestimmt worden und er würde in der Nacht der Sommersonnwendfeuer in den Heiligen Wald fortgehen, um dort seine Ausbildung zu beenden. Die Sterne hatten geboten, dass der Weg ihres jüngsten Sohnes der alte Weg war. Die Sterne hatten befohlen, dass er den Weg der Drouiz gehen musste und sie hatte alles in ihrer Macht stehende getan, dieses Gebot zu erfüllen. Um ihn aus der weißen Welt zurück in die Welt der Lebenden zu holen, hatte sie einen heiligen Eid geschworen und Aodrén hatte diesen Eid mit seinem eigenen Blut besiegelt.

      Der alte Mann warf eine weitere Hand voll trockener Misteln ins Feuer des großen Kamins, der die Gemächer von Maeliennyd wärmte. Seine Augen funkelten vergnügt, als er beobachtete, wie Sévran dem jungen Hirsch dankte, bevor er über die Ebene vor Rusquec zurück zur Festung trabte. Der Junge war schon immer von einer tiefen Verbundenheit mit der Natur bestimmt gewesen. Aus ihr hatte er in seinem kurzen Leben Kraft und Wissens geschöpft. Er achtete Tiere und Pflanzen und betrachtete sie trotz seiner Jugend bereits als Teil seines Lebens. Maeliennyd