Peter Urban

Der Fluch von Azincourt Gesamtausgabe


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eingefallen, sich seinen mühevollen Weg durch die Pinien und Buchen des riesigen Bosquet de Irati zu bahnen, um an das Tor der Festung von Roncal zu klopfen und um Aufnahme in den Orden von Santiago zu bitten. Diese wurde nur noch denjenigen gewährt, die wahre Kenntnisse von den geheimen Mächten hatten und in der Lage war, die Kräfte und Gesetze der Magie zu verstehen.

      Damit hatte der Orden von Santiago auf seinem langen, einsamen Weg den letzten und entscheidenden Schritt getan. Sie ahnten, dass außerhalb der engen Grenzen ihrer eigenen Gemeinschaft noch andere Eingeweihte existierten, die die alten Lehren von der praktischen Anwendung der niedersten Gesetze der Natur bis zu den höchsten Gesetzen des Geistes kannten und die diese Geheimnisse, wie sie, mit aller Strenge hüteten. Sie vermuteten, dass diese anderen zwangsläufig, wie sie selbst, Kenntnis davon hatten, dass einzelne Brocken und Bruchstücke dieses höchsten Wissens im Verlauf der Geschichte der Menschheit aus dem besonderen Kreis der Eingeweihten nach Außen durchgesickert waren...wie dieses eine Wort der Macht, dass vor vielen Jahren einmal dem skrupellosen Erzbischof von Santiago de Compostella erlaubt hatte, die Tore der Anderswelt zu öffnen, um ein Heer von grauenvollen Spektren und Untoten auf die Armee der Almohaden bei Navas de Tolosa loszulassen und sie fühlten, dass nun endlich der Augenblick gekommen war, mit diesen anderen in Verbindung zu treten, um gemeinsam zu versuchen, wenigstens die gefährlichsten und verhängnisvollsten Niederschriften des alten Wissens und insbesondere die Schlüssel zu den Pforten der Zeit und zu den Toren der Welten wieder aus dem Verkehr zu ziehen.

      Eine höhere Macht hatte sie am Anfang der Welt geschaffen und sie den Weisen der alten Rassen anvertraut, doch als die Reiche der Vorzeit untergingen, waren diese Schlüssel genauso, wie die überlebenden Eingeweihten zerstreut worden. Jetzt galt es, Schlüssel und Eingeweihte wieder zu vereinen.

      Ein Ordensbruder machte sich darum sogleich auf den Weg über die Pyrenäen gen Norden, wo er vermutete, dass einer dieser Schlüssel verborgen sein musste. Er kam nach Pen-ar-Bed und Breizh und spürte Drouiz auf, die von den Dienern Roms unerkannt im Verborgenen immer noch über geheimnisvolle Steinringe wachten. Als sie ihn zu einer winzigen Insel im Golf von Morbihan mitnahmen, die sie in ihrer Sprache Gavrinis, die Ziegen-Insel nannten, fühlte er im Herzen des seltsamen, uralten, unterirdischen Heiligtums, das sie ihm zeigten dass sie Herren der Zeit waren und trotz gnadenloser Verfolgung und blutiger Unterdrückung seit den Tagen der Eroberung Galliens durch die römischen Legionen außergewöhnliches Wissen über die Jahrhunderte hinweg gerettet hatten. Er erklärte ihnen zuerst ausführlich wer er war und woher er kam. Dann erzählte er offen von den Plänen und Zielen des Ordens von Santiago. Schließlich unterbreitete der Ritter den Weiße Brüdern das Angebot, einen der ihren auszuwählen, der sie im Kreis der geheimen Verbindung vertreten konnte.

      Als er die Drouiz endlich überzeugt hatte, setzte der geheime Gesandte des Ordens von Santiago seinen Weg nach Osten fort. Dort lebten Brüder der spanischen Sephardim. Sie selbst nannten sich Ashkenazy, die Reinen. Er gewann am Ende auch ihr Vertrauen und sie führten ihn sogar hinunter in ein Gewölbe, das sich tief im Leib des Hügels befand, auf dem die Stadt Krakau errichtet worden war.

      Durch zahlreiche Höhlen und dunkle Gänge führten sie den Ordensherren von Santiago bis zu einer Grotte, die sich zu einer Galerie erweiterte, die schließlich in das Innere des Wawel-Hügels führte und der Ritter verstand ohne Worte, dass dieses Labyrinth von mächtiger Hand erschaffen worden war: Ein sanfter, warmer Glanz erleuchtete das letzte Gewölbe. Es ging von einem großen Stein aus, der sich im Zentrum befand. Der Ritter fühlte, genauso wie zuvor auf der Insel Gavrinis, das er vor einer Pforte der Zeit, einem Tor zwischen den Welten stand.

      Zahmer und vertrauensvoller als die Weiße Brüder von Penn-ar-Bed und Breizh erlaubten ihm die Ashkenazy, die ihn geführt hatten, näher zu treten, damit er den seltsamen Stein berühren konnte. Als seine Hand über die glatte Oberfläche strich, hörte er eine geheimnisvolle Stimme. Sie offenbarte ihm, dass er am Ende seiner Suche mit dem Wissen um die Existenz von sechs der sieben Steine der Weisheit in den Schoß seines Ordens zurückkehren würde. Doch der Weg zum letzten Stein würde ihm verborgen bleiben, denn der Stein war nicht von dieser Welt und konnte nur von einem wahren Eingeweihten erschaffen werden.

      Der Ordensherr zog erschrocken und verwirrt die Hand zurück, weil er nicht verstand, aber sein Herz sagte ihm, das diese sonderbare Botschaft gleichzeitig eine Prophezeiung und eine Warnung war. Die slawischen Brüder der spanischen Sephardim verstanden ebenso wenig, wie er selbst die Bedeutung der Worte. Doch sie wussten um die Existenz anderer Gemeinschaften weiser Männern und Frauen, die ähnlich wie sie selbst uralte Pforten der Zeit hüteten. Einige von ihnen lebten in Ländern, in denen es immer kalt war und die sogar im Sommer von Schnee und Eis bedeckt wurden, andere verbargen sich im riesigen Reich des russischen Zaren oder in den von Wölfen verseuchten, kaum zugänglichen Wäldern, die die Ritter des Deutschordens für sich in Besitz genommen hatten: Soemundur der Isländer fand so seinen Platz im Orden. Sie nahmen Michael den Schotten auf, der damals Hofastrologe von Kaiser Friedrich dem Hohenstauffer war und den man besser unter seinem lateinischen Namen Scotus kannte. Der Dominikaner Albertus Magnus war in den letzten Jahren seines langen Lebens ein bedeutender Ordensherr von Santiago.

      Selbst nach dem fernen und sagenhaften Indien sandten die Ritter ihre Einladung. Yaska, der die Rig Veda, das „Große Wissen“ als erster kommentiert und seine Erkenntnisse niedergeschrieben hatte, hörte ihren Ruf. Er brachte eine Abschrift des „Großen Wissens“ zum Geschenk und er trug ihnen auch aus dem Gedächtnis Sama Veda, Yajur Veda und Atharva Veda vor. Dann erzählte er von den „Nagakallu“, den uralten, stehenden Steinen, die sich von den grünen Hügeln Assams und Meghalayas und auf der Insel Nias in den Himmel streckten und davon, wie die Eingeweihten –Männer und Frauen- aus dem Volksstamm der Khasi sich immer noch mit U Blei Nong-thaw, dem Gott des Königreiches und Schöpfer des Universums unterhalten konnten. Als Yaska zum Ende gekommen war, hatten sie sich damals nur lange angesehen und plötzlich hatte sich vor ihnen allen das Tor zu einer tieferen Erkenntnis aufgetan. Die Drouiz waren die ersten gewesen, die wirklich verstanden, was Yaska ihnen mitteilte und der Bramane aus dem fernen Indien erkannte in ihnen seine lange verloren geglaubten Brüder.

      In dieser Stunde wurde ihnen allen die tiefere Bedeutung der heiligen Geometrie vollkommen bewusst und sie begriffen, dass es nicht die Pforten der Zeit oder die Tore zwischen den Welten waren, die man beschützen musste, sondern alleine jenes Geheimnis um den ersten Stein der Weisheit, das um keinen Preis in falsche Hände gelangen durfte, denn dieser legendäre Stein hielt die letzte und größte Wahrheit jenes namenlosen Schöpfers in sich verborgen, der das Licht war und aus dem am Anfang der Zeit die Welt erschaffen worden war. In diesem Geheimnis lagen gleichermaßen das Leben und der Tod. Es war der erbarmungslose Kampf um den Besitz dieses Geheimnis gewesen, das damals in grauer Vorzeit dazu geführt hatte, dass die alten Reiche sich am Ende selbst vernichteten...

      Als dann in Philippe IV. von Frankreich, den man auch den „Schönen“ nannte der Plan heranreifte, sein Königreich von den Rittern des Templerordens zu säubern, die sich immer hochnäsiger und ungebärdiger aufführten, besiegelte dies nicht nur das Schicksal von Jacques de Molay und Godefroi de Charnay, sondern auch das des Ordens von Santiago.

      Kurz bevor Phillipe am 13. Oktober 1307 –einem Freitag- alle Herren des Tempels, die sich in Frankreich befanden als Ketzer, Hexer und gotteslästernde Diener Satans verhaften ließ, segelten achtzehn bis unter den Bug beladene Galeeren der Templer unter dem Kommando eines schottischen Ordensritters mit Namen Henry Sinclair auf Nimmerwiedersehen aus dem Hafen von La Rochelle und ein junger Ritter aus Anjou, der offiziell nur wenige Tage vor der Katastrophe aus dem Templer-Orden ausgeschieden war überquerte mit einem kleinen Fischerboot den Golf von Biskaya, um in Portugal an Land zu gehen, wo er umgehend von König Diniz empfangen wurde.

      Niemand hatte je in Erfahrung bringen können, was der portugiesische König und der junge Ritter wirklich miteinander besprochen hatten, warum der portugiesische König von den geheimsten Zielen des Ordens von Santiago wusste und wie es ihm am Ende gelang, den damaligen Großmeister Arnoldo de Villanova zu kontaktieren. Schließlich trafen sich der junge Tempelritter und der berühmte Wissenschaftler aus Valencia unter dem Siegel der strengsten Geheimhaltung und Villanova versprach die Schriftrollen und Manuskripte, die Jacques de Molay kurz vor seiner Verhaftung aus dem Pariser Ordenshaus