Peter Urban

Der Fluch von Azincourt Gesamtausgabe


Скачать книгу

und Juden nicht zu zerstören. Spanien war einfach schon zu lange ein Land, in dem drei Religionen zusammenlebten, insbesondere in jenen Gebieten, in denen die maurische Herrschaft immer noch unangefochten war.

      Inmitten der Kämpfe setzte sich ein reger intellektueller Austausch fort und zahllose Gelehrte aus dem nördlichen und östlichen Europa zogen auch weiterhin unbekümmert über die Pyrenäen, um in Granada, Cordoba oder Toledo ungehindert durch die Zwänge der römischen Kirche zusammen mit muslimischen, jüdischen und mozarabischen Gelehrten das kulturelle Erbe des antiken Griechenlands und des Islam zu studieren.

      Mehr als eine halbe Million Schriftrollen und Manuskripte eröffneten eine völlige neue und faszinierende Welt für diese gelehrten Männer, die zuhause oftmals mit schwierigsten Hindernissen und bigotten Beschränkungen kämpfen mussten, um nicht im Kerker oder gar auf dem Scheiterhaufen zu landen. Die Spannbreite der Übersetzungen reichte von landwirtschaftlichen Handbüchern bis hin zur Astronomie Mathematik und Philosophie. Sogar religiöse islamische und jüdische Schriften wurden plötzliche jedem, der das Lateinische lesen konnte zugänglich und die gut organisierte Übersetzungsschule in Toledo sorgte dafür, dass das gesamte Medizinwissen der Araber den europäischen Naturwissenschaftlern ohne irgendwelche Einschränkungen oder Auflagen zur Verfügung stand. Diese Zusammenarbeit eröffnete ungeahnte, wunderbare Möglichkeiten und sogar eine Gruppe von Ordensritter von Santiago, die in ständigem Kontakt mit Mauren und auch mit Juden standen, legte plötzlich von einem Tag auf den anderen das Schwert nieder. Doch in ihrem Fall war es nicht nur die unermessliche Schatzkammer des Wissens in die sie geblickt hatten und von der sie verzaubert worden waren...

      Es begab sich zu der Zeit, als bei Navas de Tolosa, einem kleinen Ort im Norden der Provinz Jaén, am Südhang der Sierra Morena ein riesiges Heer von zweihundertfünfzigtausend maurischen Kriegern aufmarschierte, um sich wieder einmal christlichen Herrschern entgegenzustellen.

      Irgendein Erzbischof hatte es geschafft, die üblicherweise verfeindeten Könige von Kastilien, Léon, Navarra und Aragón zusammenzubringen und sie hatten einen Pakt unterschrieben, der sie dazu verpflichtete Seite an Seite zu kämpfen. Die Almohaden-Krieger wurden von Kalif Muhammad an-Nasir angeführt, der seine übliche Verachtung für die verfeindeten Könige, die nun erstaunlicherweise Freundschaft und Bündnis proklamierten nicht verbarg, als er die erbärmlich kleine Schar erblickte, die der Ordensgründer von Santiago, König Alfonso VIII. von Kastilien zusammen mit seinen neuen, königlichen Freunden in die Sierra Morena geführt hatte.

      Muhammad an-Nasir befahl seinem riesigen Heer einen Lobgesang zu Ehren Allahs anzustimmen, der ihnen an diesem Tag einen leichten Sieg über ihre Feinde schenken würde, doch genau in diesem Augenblick löste sich aus dem erbärmlich kleinen Haufen auf der anderen Seite des Feldes eine Gestalt. Sie trug über dem Kettenhemd einen Waffenrock, der dem Almohaden-Anführer selbst über diese Entfernung deutlich zeigte, dass sich ein Kirchenfürst der Christen seinen Linien näherte.

      Muhammad an-Nasir brach in schallendes Gelächter aus, als der Erzbischof von Santiago de Compostella Pedro Muñoz, die Streitaxt hoch erhoben, alleine auf die Übermacht der Wüstenkrieger zu galoppierte. Auch in den Reihen der Christen hörte man Lachen und ungläubige Ausrufe. Doch plötzlich, als Muñoz die halbe Strecke zurückgelegt hatte und sein Pferd aus dem Galopp anhielt, geboten Alfonso von Kastilien und die drei anderen Könige ihren Vasallen und Waffenleuten zu schweigen.

      Die Almohaden-Krieger brüllten dem Erzbischof Beleidigungen entgegen, versuchten ihn zu provozieren, oder schimpften ihn einen Feigling, doch der Mann reagierte nicht. Er senkte nur ganz langsam seine Waffe. Dann sprach er laut, und für beide Seiten gut hörbar ein einziges Wort in der Sprache der Mauren. Die Christen verstanden ihn nicht, doch Muhammad an-Nasir und viele seiner Männer erbleichten. Einige wendeten sogar ihre Pferde, um sich durch die Schlachtreihen zurück hinter die Linien zu drängeln.

      Wie aus dem Nichts erschien plötzlich an der Seite des Erzbischofs von Santiago de Compostella ein gewaltiges, bleiches Ritterheer auf Schlachtrössern, die aussahen, als ob sie erst Augenblicke zuvor aus ihren Gräbern auferstanden waren – farblos, erbärmlich und mager. Und dann hob Muñoz zum zweiten Mal seine Streitaxt und deutete auf Muhammad an-Nasir und seine Almohaden-Krieger. Wie ein Mann setzte sich das bleiche Ritterheer in Bewegung und beide Kriegsparteien begriffen endlich, was in der Mitte des Schlachtfeldes geschehen war und was der Erzbischof getan haben musste, um an diesem Tag einen Sieg gegen die maurische Übermacht zu erzwingen.

      Viele der Sarazenenkrieger erwachten aus der ersten Erstarrung und rissen ihre Rösser herum, um zu fliehen. Doch der Aufruhr in den hinteren Reihen der Schlachtaufstellung machte jegliche Flucht unmöglich und noch bevor der allgemeine Tumult das Heer von Muhammad an-Nasir auflösen konnte, versank es auch schon in der schrecklichen Armee von Wiedergängern und Spektren aus längst vergangener Zeit, die Pedro Muñoz durch eine unaussprechlich abscheuliche, schwarze Magie heraufbeschworen hatte.

      Der Untergang der Almohaden dauerte nur wenige Augenblicke und der Südhang der Sierra Morena glich einem Massengrab, noch bevor die Mittagssonne im Zenit stand. Muhammad an-Nasir gelang es im letzten Moment, sich zusammen mit einer Handvoll Getreuer in Sicherheit zu bringen. Doch damit war das Grauen noch lange nicht zu Ende. Als kein einziger Maure sich mehr auf dem schrecklichen Feld regte, forderten die dunklen Mächte, die an diesem Tag bereitwillig Kastilien, Aragón, Navarra und León ihre Hilfe gewährt hatten den Preis für den Sieg.

      Pedro Muñoz war zu erschöpft von seinem schwarzen Zauber, um die Spektren noch zu kontrollieren, und anstatt nach getaner Arbeit wieder zurück in ihre kalten, feuchten Gräber zu verschwinden, wandten die zornigen Schattengestalten ihre grauenhaften Höllenpferde um und warfen sich mit derselben Grausamkeit und Bosheit, die zuvor das Ende der Almohaden-Armee gewesen war gegen die christlichen Ritter, die die vier verbündeten Könige mit in die Sierra Morena gebracht hatten. Für ihre schreckliche Hilfe forderten sie nun den üblichen Preis in Blut.

      Die letzten Augenblicke der Christen bei Navas de Tolosa waren genauso grauenhaft, wie die der Mauren und lediglich eine Handvoll Ritter von Santiago, die König Alfonso als persönliche Leibwache gedient hatten entgingen dem blutigen Opfer. Überrascht bemerkten sie, das ihr Großmeister von diesem schrecklichen Schauspiel ganz und gar nicht beeindruckt war, sondern es sehr gelassen mitverfolgte, ganz so, als ob er in dem Augenblick, in dem der Erzbischof sein Wort der Macht gesprochen hatte, gewusst hatte, wie viel dieser Sieg ihn kosten würde.

      Auch die drei anderen Könige beobachteten zynisch und ruhig, wie die Spektren ihre Getreuen niedermachten und sie mit sich in die Abgründe der Finsternis rissen. Keiner der vier schien dem Erzbischof von Santiago wegen seiner abscheulichen, nekromantischen Zauberei auch nur den geringsten Vorwurf zu machen. Ganz im Gegenteil. Als das Schattenheer sich endlich mit dem Blutgeld des Tages zufrieden in Luft auflöste, lobten und herzten sie ihn gemeinsam für seinen schlauen Streich und beglückwünschten sich gegenseitig, dass keine Zeugen übrig waren, die berichten konnten, um welchen Preis die vier christlichen Könige die Almohaden endgültig zerbrochen hatten.

      Auch dem geringsten und niedersten Tölpel hätte ein einfacher Blick auf den Südhang der Sierra Morena gereicht, um zu verstehen, das die maurischen Herrscher von Al Andalus sich niemals wieder von dieser Niederlage erholen würden. Am Tag von Navas de Tolosa hatten die vier Könige um den Preis ihrer Seelen und des guten Blutes ihrer Ritter den Samen zum Untergang der Sarazenen gepflanzt. Nun konnten sie sich zurücklehnen und abwarten...und wie die Aasgeier den geschwächten Leib von Al Andalus zerreißen und untereinander aufteilen.

      Ohne auch nur einen weiteren Gedanken an den christlichen Blutzoll zu verschwenden, begab man sich gemeinsam mit dem listigen Erzbischof Muñoz in das prächtige Zelt von König Alfonso, um den Sieg zu feiern. Nicht einmal der süßliche, ekelhafte Verwesungsgeruch, der bei Einbruch der Nacht von der Sierra Morena herüberwehte konnte die gute Laune der Verschwörer trüben und Pedro Muñoz hielt sich nicht zurück, sich zu brüsten, wie ihm dieser böse Streich so mühelos gelungen war und wie dumm die Mauren doch waren, jedem der es lernen wollte an ihrer berühmten Schule in Cordoba die Geheimnisse ihrer Schwarzen Kunst zu vermitteln.

      Nicht nur der fatalistische Glauben der Sarazenen machte sie für Wahrsagekünste empfänglich;