Solveig Kern

Brautwerbung


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fuhr fort: „In der Schatzkammer der Stadt bewahren wir König Xirons Krone auf. Er trug sie sein Leben lang. Nach seinem Tode brachte der ältere Sohn sie nach Alicando zurück, denn Euer Vater Curon wählte die Maiyar-Krone. Später ließ Curon den eigenen Bruder, den Herrscher von Alicando, in Mandrilar hinrichten. Wir, die Nachfahren, hüten seitdem diesen Schatz. Es wäre eine Ehre für Alicando, wolltet Ihr an die Tradition Eures Großvaters anknüpfen...“

      Nach der Sitzung bat Alagos den König um eine Privataudienz: „Herr, ich bin wahrlich kein Mandrilanenfreund, doch schickt die Stadtgardisten bitte nicht nach Gralta.“

      „Warum nicht?“ Mauro war erstaunt, dass der Rhûn-Maiyar für die Mandrilanen sprach.

      „Zu viele von ihnen sind inzwischen von den Fahnen gegangen. Nun verfügen wir nur noch über diese wenigen wackeren Männer, die ihrem Kommandanten aus Pflichtbewusstsein hierher folgten. Wer immer Euren Einzug in der Stadt vorbereiten soll, wird auf diese Männer angewiesen sein.“

      Alagos lenkte in seiner unvergleichlich diplomatischen Art Mauros Augenmerk auf die alte Fehde zwischen Mandrilar und Alicando und auf die schwierige Sicherheitssituation in der Hauptstadt. „Wenn Ihr den Stadtkommandanten vor ein Tribunal stellen wollt, dann tut es bitte nicht hier in Alicando. In Mandrilar hättet ihr die Chance, Gnade walten zu lassen. Hier will das Volk Mandrilanenblut fließen sehen.“

      „Ihr meint, ich soll den Stadtkommandanten verschonen? Der Mann hat gefehlt…“

      „Das sieht nur auf den ersten Blick so aus. Seine Männer sind Spezialisten. Sie wissen genau, wie man in einer großen Stadt Ordnung hält und wie man Mauern verteidigt. Für eine Feldschlacht sind sie nicht ausgebildet. Hätte der Kommandant sie in die Schlacht geschickt, hätten sie nicht viel mehr bewirkt als die anderen. Daheim jedoch wäre niemand mehr gewesen, der für Ordnung und Sicherheit sorgt.“

      „Was soll so schwierig daran sein, in einer Stadt für Sicherheit zu sorgen?“

      „Mandrilar ist zehnmal größer als alle anderen Städte hier. Es ist nicht leicht, die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten. Mord und Plünderung sind jetzt schon an der Tagesordnung. Wenn nicht bald Ordnung einkehrt, läuft die Situation aus dem Ruder.“

      Mauro sah Alagos erstaunt an. „Ihr seid gut informiert. Warum habt Ihr nicht vorher in der großen Runde gesprochen?“

      Der Condir senkte das Haupt.

      >Ist es schon wieder so weit, dass meine engsten Getreuen nicht mehr wagen, mir die Wahrheit ins Gesicht zu sagen? Bin ich schon wieder so schrecklich geworden?< Auf diese Frage erwartete Mauro keine Antwort. Laut sagte er nur: „Ich danke Euch für den Hinweis, Condir“, und ließ den erleichterten Alagos gehen. Für die Zukunft nahm er sich vor, mehr zuzuhören und weniger einsame Entscheidungen zu treffen. Er durfte nicht zulassen, dass sein Liebeskummer sein Urteil trübte.

      Mauro hatte eine öffentliche Verhandlung angeordnet. Erwartungsgemäß nahm die Stadt Alicando großen Anteil an diesem Schauspiel. Als der König in Begleitung der Dame Zeldis Einzug in die große Arena hielt, spendeten die Bürger dem Paar begeisterten Applaus.

      Als nächstes kam der Bürgermeister gemessenen Schrittes in die Arena. Auf einem Purpurkissen trug er die Alicando-Krone vor sich her. Die Bürger hielten den Atem an, als er Mauro mit förmlichen Worten Xirons Krone antrug.

      Mauro dankte den Würdenträgern von Alicando, dass sie das Andenken seines Großvaters über so viele Jahre gewahrt hatten. Er gelobte, für Recht, Ordnung, Frieden und Sicherheit zu sorgen. Dann nahm er Xirons Krone vom Kissen und setzte sie selbst aufs Haupt.

      Die Dame Zeldis, eine Alicando, erwies ihrem König als erste mit einem vollendeten Hofknicks ihre Referenz.

      Der Jubel auf den Rängen wollte kein Ende nehmen. Ein halbes Jahrhundert nach König Xirons Tod hatte sein Enkel sich zu seinem Erbe bekannt. Alicando hatten wieder einen König.

      Die mandrilanischen Truppen, die Mauro geschlossen hatte antreten lassen, blickten betreten zu Boden. Für sie weckte die Szenerie schlimme Erinnerungen.

      Der Reihe nach wurden die Verräter von den Distelfeldern vom Tribunal abgeurteilt. Bei jedem Todesurteil schrie die Menge begeisterten Beifall. Mauro dankte Alagos insgeheim, dass er ihn davor bewahrt hatte, auch das Tribunal gegen den Stadtkommandanten hier durchzuführen. Mauro war mittlerweile zu der Überzeugung gekommen, dass der Mann zumindest eine faire Chance zur Verteidigung haben sollte. In dieser aufgeheizten Stimmung konnte es kein gnädiges Urteil geben. Pech auch für Hanok, denn sein Fall würde als nächster zur Verhandlung kommen.

      Doch Hanoks Fürsprecherin war Kayla von Malfar. Klug und wortgewandt wie sie war, spielte sie mit der Stimmung der Menge wie andere auf einer Laute. In einem flammenden Plädoyer stilisierte sie Hanok zum Kriegshelden hoch. Sie berichtete vom verzweifelten Kampf der Mittelländer gegen Horden von hyänengesichtigen Halbwesen, von der Gefangennahme der feindlichen Heerführer und von der Errettung des Königs vor den Toren von Knyssar (dass nicht Hanok, sondern dessen Gefolgsmann Gero diese Einsätze kommandiert hatte, ließ sie geflissentlich bei Seite). Dazu projizierte sie aus ihrer Erinnerung so lebhafte Bilder des wogenden Kriegsgeschehens in die Arena, dass jeder Zuschauer meinte, dabei gewesen zu sein. Zuletzt berichtete sie von Barrens hinterlistiger Falle und dem dreisten Verrat der Mandrilanen, die den siegreichen Feldherren um seinen gerechten Lohn gebracht hatten. Hanoks Freispruch war dann nur noch eine Formsache. Er wurde vom Volke ebenso heftig bejubelt wie zuvor die Todesurteile.

      Mit glühenden Wangen nahm Kayla anschließend die Gratulation des Königs entgegen. „Ich wusste gar nicht, dass unser guter Hanok so ein Held ist“, meinte Mauro verschmitzt. „Nach meiner Erinnerung lief er immer hinter dem Feind her, bis ihn die Nachhut überrannte!“

      Auch die anderen lobten das gute Plädoyer. „Gut gesprochen. Für eine Frau außergewöhnlich,“ bemerkte sogar Fürst Baaluk.

      „Ihr seid raffiniert vorgegangen. Mit Euch möchte ich mich nicht auf ein Wortgefecht einlassen“, sagte Shui anerkennend.

      „Wie Hanok es immer wieder schafft, schöne Frauen vor seinen Karren zu spannen“, meinte Uluk etwas neidisch. Hanoks Ruf als Frauenheld war auch in Alicando legendär.

      Am Ende waren alle zufrieden. Die feine Nuance war nicht unbemerkt geblieben: Hanok wurde zwar nicht verurteilt, aber auch nicht rehabilitiert. Damit war er als Heerführer kein Konkurrent mehr für die anderen. Sein Tod hätte letztlich niemandem genutzt. Dass er im Moment die Arbeit für sie alle machte, fanden sie hingegen angenehm.

      Eines Tages tauchte Hohepriesterin Suza in der königlichen Burg von Alicando auf. Sie teilte Mauro mit, dass in einigen Wochen eine Sternenkonstellation zu erwarten stand, die äußerst günstig für die Krönung in der Hauptstadt wäre. Der Termin war noch weit genug entfernt, dass Mauro sich nicht eilen musste, doch man sollte mit den Vorbereitungen beginnen.

      Mauro willigte ein. Nachdem Sigrun nicht kommen würde, gab es für ihn keinen Grund, die Krönung in Mandrilar länger hinauszuzögern.

      Nachdem sie sich über den groben Ablauf verständigt hatten, entstand eine kleine Pause. Schließlich packte Suza das heikle Thema an: „Da ist noch ein wichtiger Punkt offen: die Frage der Königin.“ Sie wartete ein wenig. Als Mauro nichts sagte, fuhr sie fort: „Man sagt, Ihr hättet die Brautwerbung für die Almanenprinzessin auf den Weg gebracht, die Euch in Moringart den Kopf verdrehte.“

      „So ist es“, bestätigte Mauro.

      „Es steht mir nicht zu, Euch Ratschläge zu geben. Ihr könnt jeder Frau Eurer Wahl Eure Gunst schenken. Ihr könnt so viele Frauen haben, wie Ihr wollt. Ich möchte Euch jedoch daran erinnern, dass die Almanin niemals Königin werden kann – so Ihr das jemals erwogen habt.“ Sie ließ ihrer Worte einsickern.

      Mauro unterdrückte ein Aufbegehren. Natürlich hatte er vorgehabt, Sigrun zur Königin zu machen. Vor seinem geistigen Auge hatte er sich schon an ihrer Seite zur Krönung reiten gesehen. „Ich nehme an, Ihr werdet mir sogleich sagen, was daran unvernünftig ist“, sagte er mit unbewegter Miene zu Suza.