Solveig Kern

Brautwerbung


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Marschbefehl erhalten. Allen anderen wünsche ich für die Zukunft viel Glück. So lebt denn wohl!“ Er winkte noch, während sich sein Schiff langsam und elegant von der Kaimauer löste und von der Strömung flussabwärts getrieben wurde.

      Was sich nach diesen Worten abspielte, war unbeschreiblich. Zunächst senkte sich Totenstille über den Kai. Die Männer stellten fassungslos fest, dass sie im Regen stehen gelassen wurden. Nach Minuten der Erstarrung entwickelte sich ein heilloses Durcheinander. Nun musste jeder selbst sehen, wo er blieb.

      Am einfachsten war es für die Leute aus den Provinzen Ikenar und Maikanar. Sie sollten den gleichen Dienst unter neuem Kommando tun. Die Fürsten oder deren Stellvertreter hießen die Heimkehrer willkommen, überstellten Bodir die versprochenen 25 Männer für die königliche Garde und zogen mit den anderen geordnet ab.

      Um die Männer, die weiter aus dem Norden stammten, kümmerten sich die Beriahîr. Sie waren an den Kai gekommen, um ihre Schutzbefohlenen zu übernehmen. Shui war da, um die wenigen Männer aus Yian Mah einzusammeln. Auch Tuagh warf sich ins Getümmel, um nach gestrandeten Kethen Ausschau zu halten. Sogar Rüdiger kam auf den Gedanken, dass ein paar Almanen für seinen Schwiegervater Bertram dabei sein könnten. Sie alle waren überrascht, dass es keine geordnete Übergabe gegeben hatte.

      Der Beriahîr der Tolegos saß noch in Gralta. Es dauerte eine Weile, bis Vreden begriff, dass er als ranghöchster Vertreter seines Clans sich um die Männer kümmern musste. Die Tolegos hatten den größten Anteil an Pados Truppe gestellt. Vreden tauchte als letzter am Kai auf und sammelte seine Leute um sich.

      Die Anzahl der Männer, die nirgendwo hingehen konnten, war kleiner als Bodir angenommen hatte. Den größten Anteil unter ihnen stellten die ehemaligen Alicandos, deren Clan zerschlagen und in alle Winde verstreut worden war. Ahnungslos waren sie an den Feuerfluss gekommen und standen nun vor den Trümmern ihrer Existenz. Männer irrten umher, kopflos, planlos und hoffnungslos. Eine Soldatenfrau hockte resigniert auf ihrem Bündel und hielt ihr weinendes Kind an sich gepresst. Daneben betrachtete ein kleiner Junge interessiert die Schiffe und lutschte hingebungsvoll an seinem Daumen. Ein alter Hauptmann, der viele Jahre lang für Pado gekämpft hatte, stand verlassen an der Kaimauer und sah dem davongleitenden Schiff nach. Dabei liefen ihm Tränen über die Wangen.

      Serghey, einer der Alicando-Zauberer, die Pado in der Festung Qatraz übernommen hatte, betrachtete vom Boot aus das Schauspiel. Ihn packte die Wut: „Was hier geschieht ist nicht hinnehmbar! Noch niemals wurden tapfere Krieger in dieser Art im Stich gelassen. Gebt mir das Schwert des Beriahîr. Ich werde mich um diese Leute kümmern!“

      „Was wollt Ihr mit dem Schwert?“ fragte derjenige, der es bislang getragen hatte. „Es ist wertlos. Der Alicando-Clan ist ausgetilgt. Kümmert Euch lieber um Eure eigene Zukunft. Ich persönlich setze auf Pado…“

      „Gebt ihm das Schwert“, entschied Pado. „Einen Reisenden soll man nicht aufhalten.“ Er hatte den Hass in den Augen des Mannes gesehen. Besser er ließ ihn auf der Stelle ziehen.

      Serghey tauschte das Schwert, baute eine energetische Brücke und kehrte an den Kai zurück. Hanoks Togweds hatten bereits begonnen, die besten Leute aus der Truppe abzuwerben. Der Kombat-Zauberer wies sie energisch fort: „Wir brauchen eine Lösung für alle Alicandos, nicht bloß für einige wenige.“

      Die Männer versammelten sich um den jungen Zauberer. Serghey bedeutete ihnen, leise zu sein. Er schien einer unhörbaren Stimme zu lauschen. Dann sagte er: „Ich habe einen Tipp bekommen. Der Halbelfe Eryndîr sucht eine größere Zahl von Kriegern. Kommt mit, wir sprechen mit ihm.“

      Weiter hinten sagte Bodir zu Eryndîr. „Seht her, hier kommen die bestellten Krieger. Wie klug von Euch, nicht die erstbesten zu nehmen. Die hier sind eine Klasse für sich!“

      „So habe ich sie mir vorgestellt!“ Eryndîr musterte sie mit Kennerblick. Dann lächelte er: „Es sind mehr, als ich bestellt hatte. Das wird schon seine Richtigkeit haben. Ich werde unserem Herrn beibringen, dass er sie alle braucht.“

      „Wer ist der Beriahîr dieser Truppe?“ fragte Mauro, als die Alicandos ihm gegenüberstanden.

      Serghey kniete nieder und zeigte das Schwert vor, das ihn als Beriahîr auswies.

      „Ich kenne Euch. Ihr habt in Qatraz gegen die Besatzer gekämpft“, erinnerte sich Mauro.

      Sergheys Herz klopfte bis zum Hals. Würde Mauro ihn nun bestrafen, weil er ohne dessen Genehmigung von Pado weggegangen war?

      Mauro tat nichts dergleichen. Er fragte nur: „Beriahîr, was ist Euer Begehr? Sprecht, wie es Euer Amt erfordert.“

      „Herr, wir sind betrogen worden. Um unsere Ehre, um unseren Sold und um unsere Existenz. Pado von Qatraz hat unsere Truppe für aufgelöst erklärt. Er hat uns weder den ausständigen Sold ausgezahlt, noch für unsere Überstellung zu einer anderen Truppe Sorge getragen. Die Männer hier stammen aus der Provinz Alicando. Sie haben keinen Fürsten, der sich um sie kümmert und keinen Ort, wo sie hingehen könnten!“

      „Was redet Ihr da, Beriahîr? Fielen mir nicht vor Jahresfrist die Burgen der Alicandos zu? Habe ich nicht den Herzog und dessen fremde Helfer aus dem Lande vertrieben? Trug ich nicht erst vor wenigen Tagen König Xirons Krone auf dem Haupt? Bin ich etwa nicht der König dieses Landes?“

      „Selbstverständlich seid Ihr das, Herr!“ rief Serghey verzweifelt aus. Meinte der König etwa, er wolle an dessen Legitimation zweifeln?

      „Warum sagt Ihr dann, dass keiner sich um diese Leute kümmert? Ihr seid bereits an der richtigen Stelle.“ Mauro richtete sich hoch auf seinem Ross auf und rief mit weithin vernehmlicher Stimme: „Ich bin der Clanchef der Alicandos!“

      Alle Anwesenden sahen Mauro sprachlos an. Die Krieger knieten auf der Stelle vor ihm nieder.

      „Willkommen daheim, Söhne Alicandos. Die königliche Burg ist nun Euer Domizil. Erhebt Euch, kommt mit Euren Familien herein und fühlt Euch hier zu Hause. Eryndîr wird sich um alles Weitere kümmern.“

      Die neue Alicando-Truppe richtete sich in der Königsburg von Alicando häuslich ein. Die ehemalige Fluchtburg war ausnehmend geräumig. Man hatte sie dafür konzipiert, einer großen Anzahl von Menschen aus der Region im Kriegsfall Schutz und Zuflucht zu bieten. Im Moment waren allerdings alle Unterkünfte besetzt, denn sowohl die Bergkethen als auch die persönlichen Eskorten der Fürsten und Heerführer, die in den letzten Wochen auf der Burg konferierten, hatten hier Quartier genommen. Doch die Enge war das geringste Problem. Gutwillig rückten alle zusammen, um für die Neuankömmlinge Platz zu schaffen.

      Knapp vor den Alicandos waren Bodirs königliche Garden eingezogen. Man begrüßte einander herzlich, denn die meisten der frischgebackenen Gardisten stammten wie Sergheys Leute aus Pados Heer. Der Beriahîr der Alicandos ging auf Bodir zu und drückte ihm beide Hände: „Danke für den Hinweis, dass wir mit Eryndîr sprechen müssen. Natürlich hatte ich Gerüchte über die Auflösung unserer Truppe vernommen. Nie hätte ich für möglich gehalten, dass Pado uns so hängen lässt!“

      „Ich habe es ehrlich gestanden auch nicht gedacht, sonst hätte ich Euch viel früher eine Warnung geschickt. Erst als ich miterlebte, wie Hanok um jeden einzelnen Mann kämpfte, und wie Pado gar nichts dergleichen tat, begann ich, Übles zu ahnen. Das, was heute geschehen ist, übertraf meine schlimmsten Befürchtungen. So geht man mit nicht mit Kriegern um!“

      In diesem Punkt hatte Pado falsch kalkuliert: nicht auf den König, der die Auflösung der Truppe angeordnet hatte, waren die Männer wütend. Ihm, ihrem Anführer, lasteten sie an, nicht für sie vorgesorgt zu haben.

      „Die Oberhoheit über den Alicando-Clan für Euch zu reklamieren, war ein genialer Schachzug. Jetzt seid Ihr Eure Personalprobleme los. Die ehemaligen Alicandos werden bald aus ihren Verstecken kriechen und Euch ihre Dienste anbieten“, wusste Hanok. Dieser Umstand machte ihm Sorgen, denn unter den ehemaligen Alicandos waren einige hervorragende Heerführer, die ihm seine Chancen streitig machen konnten. Allerdings wusste Hanok nicht, wie viele von ihnen noch am Leben waren.

      „Nun