Eckhard Lange

Der dunkle König


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zu bitten, beschied Samuel, widerstrebend zwar und inwendig voll Zorn über diesen sündhaften Gedanken, die Stämme Israels zum Heiligtum von Mizpa, um vorher Brandopfer und Ganzopfer vor Jahwe zu bringen. Dann ließ er die Orakelpriester das Los befragen, um den Willen Jahwes zu ergründen und den Mann zu bestimmen, der Fürst sein sollte in Israel. Aber er lenkte in geheimer Weisung dessen Ausgang, denn er war damals überzeugt, daß der Sohn des Kis vom Geiste Jahwes ergriffen zum Retter Israels bestimmt war und daß diesem am ehesten das Königtum zufallen sollte nach Jahwes Willen.

       Aber er war auch überzeugt, daß Saul keine dauerhafte und selbstbewußte Herrschaft errichten würde wie die heidnischen Fürsten, sondern die alten Ordnungen achten und wahren und auch weiterhin den Weisungen aus dem Mund des Sehers folgen würde. Zu unerfahren in allen politischen Dingen erschien dieser Bauer aus Gibea dem Seher, schlicht und geradlinig in seinem Denken, so daß Samuels Einfluß erhalten bliebe, auch wenn er sein Amt als Richter in Israel nun abgeben müßte an diesen Benjaminiter.

       So geschah es, daß das Los zwischen den Stämmen auf Benjamin fiel und dort auf die Sippe Abiëls, und daß es endlich Saul bezeichnete als zukünftigen König. Dieser aber ahnte, was der Seher vorhatte, und verbarg sich zunächst, denn er strebte nicht nach dem Königtum, sondern wünschte sich nur, daß er zurückkehren könnte auf sein Erbteil, zu den Feldern seines Hofes, zu Familie und Knechten, nachdem er Jabesch befreit hatte. Denn nicht Stolz erfüllte ihn noch Sehnsucht nach Ruhm, sondern nur die Erschütterung durch Jahwes Geist; doch wußte er schon: Dieser Geist würde weichen, denn Jahwes Auftrag war erfüllt.

       Aber die Ältesten riefen ihn vor allem Volk zum König Israels aus, und Samuel salbte ihn vor Jahwes Altar mit dem heiligen Öl und weihte dort auch die heilige Lanze als Zeichen seiner Herrschaft. So wurde Saul, der Sohn des Kis, des Sohnes Abiëls, der Benjaminiter, zu jener Zeit König über die Söhne Israels.

      DRITTES KAPITEL: DIE PLÄNE DES KÖNIGS

       Botschaft Gath-Baals, Leiter des Handelspostens in Gibea

       An Isch-Achon, den Fürsten und König von Ekron. Mögen die Götter dir ihre Gunst bewahren und deinen Arm immerdar stärken in all deinen Unternehmungen! Dies berichtet dir dein Diener, dem du die Verantwortung übertragen hast für dein festes Haus in Gibea, der Stadt der Benjaminiter. Du hast, Herr, sicherlich Nachricht erhalten von dem Kampf zwischen den Stämmen Benjamin und Ephraim und dem König von Ammon um die Stadt Jabesch. Es war ein Mann hier aus Gibea, der die Männer der Stämme gegen die Ammoniter in den Kampf führte und vor Jabesch einen Sieg erringen konnte. Nach dem Brauch dieser Stämme wird für seinen solchen Krieg jeweils ein Anführer neu ernannt, der nach Meinung dieser Leute hier im Bergland ein Liebling ihrer Götter sein muß und von ihrem Kriegsgott Jahwe durch besondere Zeichen bestimmt wird. Es handelte sich dabei um einen gewissen Saul aus der Sippe des Abiel, einen Bauern, der bisher keine Rolle in dem Stamm Benjamin oder auch nur im Ort Gibea gespielt hat.

       Nun ist aber folgendes geschehen: Nach Beendigung des Kriegszuges haben sich die Vertreter der genannten Stämme in Mizpa versammelt, und dort wurde dieser Saul zu einer Art König gewählt und durch ihren Oberpriester, den sie hier den Seher nennen und der großes Ansehen auch in politischen Dingen genießt, als Fürst über die Gesamtheit der Stämme mit allerlei religiösen Zeremonien eingesetzt.

       Du magst, Herr, selbst entscheiden, wie wir uns diesem Mann gegenüber verhalten sollen. Noch haben wir nichts in Erfahrung bringen können, was auf die Errichtung einer neuen und besonderen Herrschaft hier im Bergland schließen läßt. Saul lebt weiterhin auf seinem Anwesen und bestellt seine Felder, sicherlich kein besonderes Zeichen für ein Königtum, das dir und den anderen Städten in Philistäa gefährlich werden könnte. Dennoch hat sich damit eine neue Situation ergeben, die unsere bisherige Stellung als Schutzmacht im Bergland berührt. Darum erbitte ich deine Anweisungen für unser weiteres Vorgehen, vor allem mit Blick auf die Sicherung unserer Handelswege und unseres Eisenmonopols. Es grüßen dich alle meine Männer, deine Knechte, hier in deinem Haus in Gibea.

      I

      Barhäuptig und durch einen gefütterten Lederwams nur dürftig geschützt, war Saul in den Kampf gegen die Ammoniter gezogen. Es war Jahwes Krieg , war heiliger Krieg, warum sollte er eine Rüstung tragen? Der Mann aus Gibea besaß nichts dergleichen, und das Angebot seines Vetters Abner, ihm einen Bronzehelm und auch einen Kettenpanzer aus Bronzeschnüren zu beschaffen, lehnte er ab. Sein Schutz war Jahwe, Herr der Heerscharen. Nun aber war eine andere Zeit angebrochen. Er war Fürst in Israel, Herrscher auf Dauer, und auch wenn er sein Amt durch ein Zeichen seines Gottes erhalten hatte - daran glaubte er fest, wußte er doch nichts von Samuels geheimen Anweisungen an den Orakelpriester - er war nicht mehr der vom Geist Jahwes Getriebene.

      Abner ebenso wie die Ältesten von Benjamin drängten ihn, nun auch ein zu Stahl geschmiedetes Schwert, einen geschmückten Bronzepanzer und einen Bronzehelm mit einem Goldreif zu tragen als Zeichen seiner Königsmacht. Und ein langes Gewand wie die Fürsten der Philisterstädte, wenn er Besucher empfing. Und neben der heiligen Lanze eben auch einen breiten Goldreif über seinem krausen Haar. Das alles war ihm lästig, aber Saul mußte einsehen, daß dieses ungewollte Amt manchmal solche Zeichen brauchte.

      Dennoch zögerte er, sich damit öffentlich zu zeigen, aus ganz anderen Gründen. Denn er wußte wohl, was die Könige von Ekron und Gath darin sehen könnten. Zwar gab es zur Zeit keine Kriegshandlungen zwischen den Städten der Ebene und den Stämmen des Berglandes, aber noch immer war ungeklärt, ob die Dörfer und Städte Benjamins und Ephraims der Herrschaft der Philister unterworfen waren oder ihnen in freier Entscheidung Wegerechte eingeräumt hatten ins Jordantal hinab und weiter auf die östliche Hochebene. Saul hatte das täglich in seiner Heimatstadt vor Augen: Da lag, jenseits des Stadttores an der alten Handelsstraße, eine Niederlassung der Philister. Einerseits war es nur eine Karawanenstation, als Absteige für die Kaufleute aus den Städten und vor allem für die Eisentransporte vom Ostjordanland in die Werkstätten der Ebene. Aber zugleich war es eine von festen Mauern umgebene Wachstation, belegt mit einer Schar Bewaffneter des Königs von Ekron.

      II.

      Saul hatte einige Männer aus einem Nachbardorf empfangen, um deren Streit zu schlichten. Eigentlich hätten das die Dorfältesten selbst erledigen sollen, wie es seit langem guter Brauch war. Aber einer der Streithähne wollte unbedingt, daß der neue König die Entscheidung trifft. Zögernd nur hatte Saul sie angehört, hatte sich in diesem unbequemen langen Gewand auf einen Stuhl unter der Terebinthe am Brunnen gesetzt und sich das Anliegen vortragen lassen. Es schmerzte ihn, wenn gestandene Männer seines Stammes um ein paar Steine, die vom Feld des einen auf den Acker des anderen gelangt waren, derart lange und hartnäckig ihre Argumente vortrugen. Und zum ersten Mal wurde ihm bewußt, was dieses Königtum mit sich bringt: Fortan würde Woche für Woche ganz Israel die vererbten Streitigkeiten der Sippen nun ihm vorlegen - ihm, der doch nur ein Bauer war wie sie, der zwar nach den althergebrachten Bräuchen gelebt hatte, aber doch keinen Zugang hatte zu den Weisungen Jahwes, auf die der Seher sich stets berief, wenn die alten Überlieferungen keine klare Antwort wußten. Samuel konnte dann opfern und am Opferfleisch, an Feuer und Rauch den Willen Gottes ablesen, er konnte den Orakelpriester mit dem Wurf der Losstäbe beauftragen, deren Lage aber meist erst durch den Seher zu deuten waren. Samuel verwaltete den Segen Jahwes und auch den Fluch, seine Worte waren Gesetz.

      Saul stützte den Kopf in die Hand, während die Männer immer noch lautstark stritten. Wenn es nun die Aufgabe des Königs war, solche Entscheidungen zu treffen - wonach sollte er sie ausrichten? Er konnte das Orakel befragen, und er würde es auch tun bei den großen Dingen, die das Schicksal der Stämme betrafen. Aber hatte er nun Zugang zu den geheimen Einflüsterungen der Gottheit? Ja, einmal war es geschehen, an jenem Tag, als er vom Schicksal der Stadt Jabesch erfuhr. Aber seitdem war jene Stimme verstummt. Was also wollte Jahwe von ihm, dem erwählten König, der doch nichts war als ein Mann aus dem Volk, ein freier Bauer, Glied einer Sippe, eines Stammes?

      Der König seufzte, und die Männer hielten inne. Hatten sie den Fürsten beleidigt mit ihrem