Eckhard Lange

Der dunkle König


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Dazu aber bedarf es waffenfähiger Männer, und es bedarf der Waffen, die sie führen können. Ihr habt beide gesehen beim Kampf um Jabesch, wie es um diese Waffen steht in Israel. Allein die Überraschung, der Hinterhalt, hat uns den Sieg gebracht. Doch das kann nicht die Lösung sein, wenn wir von Neuem angegriffen werden."

      "Ich denke, Ammon wird vorerst wenig Lust auf einen neuen Angriff haben, zu stark waren seine Verluste," wandte Abner ein. "Nicht die Ammoniter, die Philister sind die eigentlichen Feinde," rief Jonathan. "Nicht wahr, Vater, ihren Angriff fürchtest du?"

      Saul nickte: "Ja, mein Sohn, so ist es. Wenigstens langfristig werden wir gegen die Städte in der Ebene in den Krieg ziehen müssen. Noch haben sie zwar ihre Wachposten im Land wie hier bei uns, aber wir leben in Frieden. Sie mögen uns für einen Teil ihres Machtbereichs halten, aber sie verlangen keinen Tribut, keine Abgaben, als wären wir besiegt und unterworfen. Doch das wird nicht so bleiben. Die Städte wachsen, sie brauchen Getreide und Öl, die Dörfer an der Grenze zu ihren Gebieten sind längst zinspflichtig, müssen ihre Produkte auf die Märkte von Gath und Ekron bringen. Und bald werden sie auf das Bergland übergreifen, nach und nach und ohne große Kriege zu führen, werden sie die Stämme unterwerfen. Und am Ende wird Baal unser Gott sein und nicht mehr Jahwe."

      "Und was plant mein König dagegen zu tun?" Es sollte spöttisch klingen, aber Abner hoffte im Grunde auf einen Plan, der sich verwirklichen ließ. "Es sind vielerlei Dinge, die getan werden müssen," antwortete Saul ruhig. "Zunächst müssen wir die Stämme fester zusammenführen. Es reicht nicht, wenn der Seher sie hier und da zu einem gemeinsamen Opferfest lädt, wir müssen die Ältesten einbinden, die Vertreter der Stämme zu regelmäßigen Beratungen bitten. Und ich sage bewußt 'Beratungen', denn kein königlicher Befehl wird sie zum Handeln zwingen können, sondern nur gemeinsame Beschlüsse. Dann muß der Heerbann erneuert werden. Ein König braucht Krieger. Ich kann mich nicht darauf verlassen, daß die Männer ihre Felder und Weinberge verlassen, nur weil irgendwo die Trompete zur Schlacht ruft. Und das, Vetter Abner, möchte ich dir übertragen."

      "Und dann erscheinen sie mit Dreschflegeln und Winzermessern zum Kampf!" Noch konnte Abner seinen Spott nicht zügeln. Doch Saul nickte ihm zu: "Ja, so ist es - heute. Aber eben das muß sich ändern. Wir brauchen Waffen, die diesen Namen verdienen. Wir brauchen Männer, die sie herstellen können, damit wir unabhängig werden von den Schmiedewerkstätten der Philister." "Und deshalb brauchen wir die Erzlieferungen von jenseits des Jordans, statt sie den Händlern von Ekron zu überlassen," rief Jonathan dazwischen. Der König sah seinem Sohn scharf in die Augen: "Ja, Sohn, wir brauchen das Erz. Aber wir müssen uns hüten, den Philistern einen Grund für einen Krieg zu geben, solange wir nicht selbst gerüstet sind. Das wird unsere schwierigste Aufgabe sein. Und eben deshalb ist es nötig, sich mit den Ältesten der Stämme zu beraten."

      "Wir haben die Ammoniter vor Jabesch überrascht und so in die Flucht geschlagen," sagte Jonathan. "Warum tun wir nicht ein Gleiches mit den Philistern? Solange Ekron allein die Straße hinüber ins Jordantal bewacht, können wir seine Wachposten vertreiben. Es kann lange dauern, bis alle fünf Städte sich auf eine Antwort einigen. Darin liegt doch unsere Chance!" Abner legte Sauls Sohn die Hand auf den Arm: "Eine Chance ist noch kein Erfolg, lieber Jonathan. Dein Vater hat recht: Wir sollten den Frieden nützen, statt ihn vorschnell zu brechen."

      Der junge Mann blickte auf den Boden. Man sah, daß er nicht überzeugt war. Doch Saul hatte einen anderen Plan, um die Kräfte seines Sohnes zu binden: "Abners Aufgabe, den Heerbann neu zu ordnen, wird Zeit in Anspruch nehmen. Aber der König braucht eine kleine, schlagkräftige Truppe für den Notfall, für irgendwelche Grenzkonflikte. Sagen wir - eine Leibwache. Das wird bei den Königen in der Ebene noch keinen Argwohn wecken, haben sie doch alle solche Männer in ihrer Nähe. Und es wird deine Aufgabe sein, Sohn, sie zu suchen und auszubilden. Es gibt genügend Söhne in den Dörfern ringsum, die keine Erben sind, sondern nur Knechte ihres ältesten Bruders. Sie werden deinem Ruf folgen."

      Saul erhob sich. "Ich hoffe, ihr werdet meinem Wunsch folgen. Ich vertraue auf euch." Und er streckte den beiden seine Hände entgegen. Und sie ergriffen sie. Die Pläne des Königs gewannen Gestalt. "Jahwe wird mit uns sein!" Saul sprach es leise und feierlich. Und er wußte, das ist die Wahrheit. Er wußte es genau.

      VIERTES KAPITEL: DAS OPFER DES KÖNIGS

      I.

      Zum zweiten Mal war Erntezeit auf dem Gebirge. Auch Saul war mit seinen Knechten hinausgezogen, dorthin, wo auf den Terrassen am Hang oberhalb von Gibea seine Äcker lagen, das Erbteil seiner Familie seit undenklichen Zeiten. Doch während er die Halme ergriff, zu einem Büschel zusammenraffte und mit gewohntem Schwung die Sichel ansetzte, waren seine Gedanken nicht bei der Sache. Er mußte an Abner denken. Der hatte seine Aufgabe als Heerbannführer mit großem Ernst übernommen, die Männer aus den Dörfern zusammengeholt und den Kampf geübt. Er hatte eiserne Speerspitzen anfertigen lassen, damit die Männer sie selbst an Stangen befestigen konnten. Immer wieder hatte er sie danach zurückgeschickt in ihre Städte und Dörfer und an ihre Arbeit, sie ermahnt, auch dort miteinander den Gebrauch der Waffen zu üben. Und jedes Mal, wenn sie wieder vor Abner erschienen, konnte er Fortschritte wahrnehmen.

      Bald würde der König ein Heer aufbieten können. Doch noch zögerte er. Nein, er wollte den Frieden nicht brechen. Es wäre besser, die Philister würden als erste zu den Waffen greifen, das würde den Mut und den Zorn seiner Männer befördern, und beides brauchte Saul, um seine Leute in den Kampf zu führen. Wenn es galt, Weib und Kind, Hof und Acker und letztlich die eigene Freiheit zu verteidigen, würden sie sich auch entschlossen dem Feind entgegenstellen. Es gab Gerüchte, daß in Gath und Ekron die Kämpfer ebenfalls probten, doch sie waren Berufskrieger, der König mußte sie beschäftigen. Und jeder Sommer, der verging, würde Abner zugutekommen.

      Auch Jonathan, der Sohn, hatte eine Schar junger Männer gesammelt. Auf einem nahegelegenen Acker Sauls hatten sie sich Lehmhütten errichtet, ein hoher Zaum umgab den ganzen Platz, damit keiner der Philister sehen konnte, wie sie Tag für Tag den Waffengang übten. Noch konnte der König ihnen keinen Sold zahlen, die Ältesten zögerten, in ihren Stämmen Abgaben zu erheben. Brot und Gemüse, Wein und Bier erhielten sie aus den Vorräten Sauls. Manchmal wünschte sich der König, er hätte gleiche Macht wie die Stadtfürsten dort unten in der Ebene, doch dann schalt er sich selbst: Allein Jahwe hatte das königliche Recht zu fordern. Freiwillig mußten die Gaben der Sippen sein, so wie sie die Opfer stellten für die Altäre Jahwes.

      Die Sonne hatte ihre Höhe erreicht, es war heiß auf dem steinigen Ackerboden. Saul winkte seinen Knechten, daß sie zusammenkommen sollten, um im Schatten einiger Sträucher zu rasten und den Wasserschlauch kreisen zu lassen. Plötzlich rief einer der Knechte laut und wies den Hang hinunter. Saul folgte mit dem Blick. Dort stieg eine Rauchsäule empor, zu stark, um von einem Herd zu kommen. Auch die Äcker wurden noch nicht niedergebrannt, überall waren die Nachbarn bei der Ernte. Keiner hätte gewagt, ein Feuer zu entzünden, solange noch Weizen irgendwo auf dem Halm stand. Der König beschattete die Augen, um besser sehen zu können, und dann erkannte er: Der Rauch kam nicht aus Gibea, sondern wirbelte aus der Niederlassung der Philister auf. Sollte eine der Unterkünfte in Brand geraten sein? Mußte man den Fremden helfen, die doch stets Abstand hielten zu den Bewohnern Gibeas?

      Da sah er, wie jemand den Hang heraufgelaufen kam, und rasch erkannte er die Gestalt: Es war Merab, seine älteste Tochter. Atemlos trat sie auf den Vater zu, brauchte eine Weile, ehe sie wieder sprechen konnte. Und dann hörte Saul die Botschaft, die ihn plötzlich und unerwartet zum Handeln zwingen sollte: "Jonathans Männer haben die Philister überfallen," keuchte Merab. "Sie haben die Häuser in Brand gesteckt." "Und die Philister?" fragte der König. "Man hat sie überrascht, sie sind erschlagen. Alle!" Saul hatte Mühe, seinen Zorn nicht an der Botin auszulassen. Ja, Jonathan hatte schon länger gedrängt, endlich die Philister aus Gibea zu vertreiben. Aber der König hatte abgewinkt. Nun also hatte sein eigener Sohn des Königs Weisung mißachtet, mutwillig den Kampf eröffnet.

      Strafwürdig war die Tat, aber das änderte nichts daran, daß der Frieden gebrochen war. Sollte er jetzt seine Leibwache und ihren Anführer zur Rechenschaft ziehen? Jetzt, wo er jeden Kämpfer brauchen würde? Selbst wenn er sie