statt über alte Bräuche nachzugrübeln. Ist es das, was Jahwe von mir fordert? Und plötzlich war er seines Urteils sicher. Er hob die Hand, ließ die Streitenden vor sich treten und schweigend seinem Spruch lauschen. Und dann sprach er, ruhig und klar, entschied einen nichtigen Streit, ohne Tadel, ohne Lob. Entschied nach dem, was Vernunft ihm eingab, ohne Opferschau und Orakel, aber im Namen Jahwes, des Gerechten und zugleich Friedliebenden. Und die Männer beugten sich dem Spruch des Königs, denn es war für sie Spruch Jahwes.
Saul blickte der kleinen Gruppe nach, die dort schweigend den Hang hinabwandetern. Noch war ihr Zorn nicht erloschen, waren ihre Gegensätze nicht begraben. Aber sie gingen doch miteinander, trugen den Spruch des Königs zurück in ihr Dorf. Und sie werden ihn erfüllen. Zufrieden erhob er sich, und plötzlich überkam ihn wieder der Wunsch, seine Arbeit zu verrichten wie sie. Er streifte das königliche Gewand ab, gab es einem Knecht, der die ganze Zeit in der Nähe gewartet hatte. So stand er da, nur noch mit seinem leinenen Schurz bekleidet, hochgewachsen, von der Sonne gebräunt: der Bauer Saul aus Gibea, Sohn des Kis aus der Sippe Abiëls. Er ging den Hang hinauf, dorthin, wo Weinstöcke auf dem kargen Boden wuchsen.
Es ist Zeit, die Trieb zu stutzen, dachte er. Im Gürtel, der den Schurz hält, steckte wie stets ein kurzes Messer, eine Bronzeklinge mit einem Griff aus dem harten Holz des Olivenbaums. Die meisten Werkzeuge im Dorf sind aus Bronze, und zum Schnitt der Reben, zum Zerlegen einer geschlachteten Ziege, zum Zuschneiden von Leder, selbst zum Schnitzen einer Flöte reicht dieses Metall. Nur wenige Männer in Gibea besaßen Messer mit einer Klinge aus gehärtetem Stahl. Alles, was aus Eisen sein muß, kostete manche Amphore guten Öls, und auch Saul hatte schon mehr als zehn Schläuche seines gekelterten Weins hergeben müssen, um ein kurzes Schwert einzuhandeln von den philistäischen Händlern.
Der König hielt inne. Hatte er nicht viel Überredung gebraucht, um dem Philister überhaupt ein Schwert abzukaufen? Ja, der König von Ekron sah es nicht gerne, wenn seine Händler eiserne Waffen an die Männer hier oben im Bergland verkauften. Sicheln und Messer gegen Wein, Öl oder auch Fleisch einzutauschen, das mochte noch angehen, brachte es doch guten Gewinn für die Städte in der Ebene. Denn dort waren die Schmiede angesehene Männer, hatten große Werkstätten, um das Eisen zu bearbeiten und zu härten, und sie hüteten ihre Geheimnisse vor allen Fremden. König Isch-Achon achtete streng darauf, und er behielt sich auch den Handel mit den Lagerstätten von Erz im Land jenseits des Jordan vor, niemand außer den königlichen Kaufleuten durfte die Barren aus Eisen durch das Gebiet der Stämme transportieren.
Saul sah wieder die Männer vor sich, die er gegen die Ammoniter geführt hatte. Mit Helm, Wams und Schild aus Leder waren sie gekommen, mit Spießen, die meist noch bronzene Spitzen hatten, mit Holzkeulen und Treiberstecken, Äxten und Sicheln, die sie einfach an mitgebrachte Jochstangen gebunden hatten. Ja, es war Jahwes Werk, daß er mit diesen Kämpfern die Ammoniter besiegt hatte. Ohne den kühnen Plan, den Angriff aus dem Hinterhalt hätten sie diesen Feind niemals geschlagen. Aber der König wußte auch: In offener Feldschlacht können die Männer der Stämme keinem der Nachbarvölker standhalten. Ich muß etwas tun, um sie zu rüsten! Und es muß bald geschehen, denn der Frieden an den Grenzen ist überall brüchig. Ich bin ihr König, es ist meine Pflicht. Saul ließ das Messer sinken. Mögen seine Knechte die Rebstöcke beschneiden, er ist zu anderem berufen. Ein letzter Blick, ein wehmütiger Blick auf seinen Weinberg, dann wandte er sich entschlossen ab. Mit festen Schritten ging er zurück in die Stadt zu seinem Hof. Er hatte Jahwes Weisung vernommen.
Schreiben des Königs von Ekron an den Stadtkönig von Gath:
Ich grüße meinen königlichen Bruder! Mögen Baal und Dagon ihre schützende Hand über ihre Stadt Gath halten und ihrem Fürsten Mut und Weisheit verleihen. Es mag mancherlei Streit geben zwischen deinen Leuten und meinen, aber die Städte der Ebene sind dennoch fest verbunden durch unverbrüchliche Verträge, und unsere Götter haben sie bestätigt und unter ihren Schutz genommen. Darum möchte ich dir, mein Bruder, mitteilen, was ich von meinen Leuten in Gibea im Bergland des Stammes Benjamin gehört habe. Es hat sich ein Mann namens Saul dort zum Fürsten erhoben, und wie es den Anschein hat, nicht nur über Benjamin, sondern auch über Ephraim und Manasse. Noch ist nicht bekannt, welche Macht ihm übertragen ist und welche Absichten er verfolgt, doch gilt es wachsam zu sein. So, wie ich dir, mein königlicher Bruder, diese Mitteilung sende, hoffe ich auch, von dir zu hören, wenn dir wichtige Neuigkeiten von den israelitischen Stämmen zu Ohren kommen.
III.
Noch fiel der Spätregen aufs Land, aber der Weizen würde bald reif sein zur Ernte. Noch war es Zeit, die einflußreichsten Männern aus den umliegenden Stämmen zusammenzurufen, um mit ihnen zu beraten. Neben den Ältesten aus Benjamin, seinen nächsten Nachbarn, waren es Vertreter der Stämme Ephraim und Manasse, auf die der König zählen konnte. Zwar war Saul vor den Augen aller Stämme zum König gesalbt worden, aber er wußte nur zu gut, wie gering der Zusammenhalt all jener war, die doch gemeinsam Jahwe verehrten. Stets waren es nur benachbarte Stämme gewesen, die einander beigestanden hatten, wenn Feinde ins Land einfielen. So waren ja auch beim Kampf um Jabesch nur die Männer aus Ephraim und Manasse seinem Ruf gefolgt, dazu noch jene Benjaminiter, die rings um Gibea siedelten.
Saul hatte Abner und seinen Ältesten, Jonathan, die beiden Mitstreiter von Jabesch, um eine Unterredung gebeten. Auch wenn beide ja in der Nähe lebten, zu seiner Sippe zählten und ein Treffen nichts Außergewöhnliches war für die Nachbarn in Gibea, zog der König es doch vor, die drei angesichts vieler neugieriger Blicke nicht in sein Haus zu laden. Schließlich hatten auch die Philister in der Handelsniederlassung vor Gibeas Toren ihre Augen überall in der Stadt. Ein kleiner Eichenhain, der an seinen Weinberg grenzte, schien ihm ein günstiger Ort zu sein. Er spendete nicht nur Schatten, sondern verbarg auch die Männer. Saul hatte seinen Knecht mit frischgebackenen Brotfladen und einem Schlauch mit verdünntem Wein vorausgeschickt, er selbst trug wie stets nur den kurzen Rock des Bauern und eine Ledertasche am Riemen, in dem drei lederne Becher verwahrt waren, als er ihm mit Abstand folgte.
Abner, der Vetter, wartete schon. Er hatte sich unter einen knorrigen Baum gesetzt, den Rücken an den Stamm gelehnt und die Beine lang ausgestreckt. Als Saul nahte, blickte er auf: "Muß ich mich jetzt erheben und gar das Knie beugen, um den König zu grüßen?" fragte er, blieb aber ruhig sitzen. Saul lächelte und ließ sich neben ihm nieder. "Sind wir nicht blutsverwandt, Vetter?" "Und immer noch freie Bauern auf eigener Scholle, von Jahwe einst zugeteilt," ergänzte Abner. "Aber ich achte dich schon als den Mann, der unser Anführer sein soll in schwierigen Zeiten," fügte er rasch hinzu, denn er wollte das Gespräch nicht mit solchen Dingen belasten.
Saul legte ihm die Hand auf die Schulter. "Ja, man hat mir dieses Amt übertragen, obwohl ich es nicht gewollt habe. Doch Jahwe hat entschieden, und nun bin ich in der Pflicht. Aber ich kann sie nicht erfüllen ohne die Hilfe und den Rat wohlmeinender Männer." Abner sah dem Vetter in die Augen: "Du denkst an die Schmährufe, mit denen dich einige aus den Südstämmen begleitet haben, als du Mizpa verließt? Deine Mitkämpfer von Jabesch hätten sie beinahe gesteinigt, wenn du sie nicht gehindert hättest." "Es geschah um der Würde des Heiligtums willen, Abner. Aber man soll sie nicht schelten, wenn sie offen ihre Meinung sagen. Es liegt an mir, sie zu überzeugen. Es können nur meine Taten sein, mein Einsatz für die Stämme. Und dafür brauche ich Jahwes Hilfe - und auch deine."
Er schwieg und wandte sich Jonathan zu, der soeben in den Schatten der Eichen getreten war. "Schalom, Vater" grüßte der junge Mann, "Friede auch dir, Abner!" Die beiden erwiderten den Gruß, und Jonathan fragte ein wenig vorwurfsvoll: "Müssen wir uns hier im Verborgenen treffen, nur aus Angst vor den Philistern dort unten?" "Nicht aus Angst, Sohn, wohl aber aus Vorsicht," erwiderte Saul ruhig. "Sie müssen nicht alles erfahren, was in Israel geschieht." Jonathan nickte: "Da stimme ich dir zu, Vater. Und sie haben auch nichts zu suchen in Israel, nicht wahr?"
Abner schmunzelte: "Es ist das Vorrecht der Jugend, schnell zu urteilen und schnell zu handeln. Doch manchmal ist es auch gut, bedächtig vorzugehen. Und ich denke, eben deshalb hat dein Vater uns hierhergebeten." Jonathan hatte sich neben die beiden gesetzt. Er schwieg und blickte sie nur erwartungsvoll an. Saul hatte sich wohl überlegt, was er nun vorbringen wollte, Langsam, fast zögerlich begann er:
"Das Volk und unser Gott hat mich