Rainer Kilian

Regen am Nil


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zerstörte Fenster. Auf dem Vorplatz des Museums wurde er von einem Blitz in die Brust getroffen. Die Notärzte konnten nur noch seinen Tod feststellen.“

      Ich fühlte mich ebenfalls wie vom Blitz getroffen. Fragen über Fragen schwirrten durch meinen Kopf. Wie ein Schwertschlag traf mich der darauf folgende Satz: „Der Täter soll nach Aussage seiner Nachbarn seit Jahren von Visionen erzählt haben, die ihn regelrecht verfolgten. Er sei in den Wahn verfallen, in der Antike in Ägypten bereits gelebt zu haben und wiedergeboren zu sein.“

      War es Zufall? Ich war ein eher nüchtern und wissenschaftlich denkender Mensch und glaubte an alles andere als an Wiedergeburt. Wenn ich daran dachte, wie viele Napoleon Bonapartes es in der Welt gab, wusste ich Bescheid. Wenn irgendein Mensch von sich behauptete, wiedergeboren zu sein, dann war er ein Kaiser oder König gewesen, aber nie geringer. Jetzt hatte ICH aber dagegen Visionen, genau wie dieser geistig verwirrte Mann, der auch noch exakt vor dem Tag meiner Geburt stirbt. War es doch an mir, den Verstand zu verlieren, oder war ich gar schon soweit? „Selber merkt man es am wenigsten“, pflegte mein Vater immer zu sagen. Ich musste es genau wissen, ob ich damit zu tun hatte. Peter wusste offensichtlich nicht, was er mir da geschickt hatte. Ich würde ihn um einen Gefallen bitten. Ich hatte jedenfalls nicht vor, bei dem Versuch zu sterben, meine Vergangenheit zu klären. Ich wählte nochmals Peters Handy an.

      „Du rufst ja zu immer besseren Zeiten an!“ „Hab ich dich geweckt?“

      „Nein, aber wir observieren gerade einen Dealer. Ich sitze im Heck eines blick- und geräuschdichten Vans. Der Drecksack hatte eben nichts Besseres zu tun, als mir ans Hinterrad zu pinkeln. Was gibts denn noch?“

      „Ich habe deine Mail erhalten. Der Artikel war echt interessant. Da war von einem Jürgen H. aus Sprendlingen die Rede. Könntest du mir einen Gefallen tun und feststellen, ob er noch lebende Verwandte hat?“

      „Hast du vor, ihn zu beerben?“ Mit etwas Galgenhumor antwortete ich ihm: „Könnte schon sein, dass ich etwas von ihm geerbt habe. Aber im Ernst, er hat sich mit Ägyptologie beschäftigt und es könnte sein, dass mir die Familie die eine oder andere Frage beantworten kann.“

      „Das war mir neu, dass du dich mit dem Zeug beschäftigst. Aber wenn ich mich recht erinnere, hast du mir ja diesen Steinklotz damals recht schnell übersetzt. Ein Maikäfer oder so, nicht wahr?“

      „Fast, ein Skarabäus, um genau zu sein.“ „Jaaa, richtig, jetzt fällts mir wieder ein, sehr alt, von Moses!“

      „So was wie dich nennt man halbgebildet. Es war Thutmosis, der Dritte.“

      „Ich sehe schon, du hast da mehr Ahnung als ich. Aber ich klemme mich dahinter und sage dir Bescheid. Mensch, der Typ pieselt mir schon wieder ans Auto. Ich geh jetzt gleich da raus und hau dem auf die Zwölf!“ Ich dankte ihm erneut und beendete das Gespräch. Ich war so aufgeregt wie schon lange nicht mehr. Ich fand kaum Schlaf in dieser Nacht. Ich hatte nun doch wieder etwas Angst zu träumen, aber irgendwann klappten mir dennoch die Augen zu und ich fiel in unruhigen Schlaf.

       Die Entscheidung der Götter

      Senenmut hatte die vergangene Nacht nur stückweise geschlafen. Stundenlang hatte er, auf dem Rücken liegend, in die Sterne gestarrt. In der klaren Nacht der Wüste konnte er Hunderte Sternschnuppen sehen. Er wusste nicht, ob sie Zeichen der Himmelsgöttin Nut sein sollten. Er suchte nach Antworten. Er liebte Hatschepsut, aber als Prinzessin und Tochter des Pharaos war sie unnahbar für ihn. Er sah sie vor sich, als sie sich im Tempel das erste Mal begegneten. Ihre wunderbaren Augen, als sie ihm so nahe war. Der Duft ihrer Haut, die seidigen Haare.

      Und jetzt war sie so weit weg von ihm. Wenn sie sich in der Nähe des Palastes begegnen würden, müsste er seine Augen senken und niederknien. Er bereute, dass er so weit gegangen war, sie zu ermuntern. Auch wenn er es nicht bewusst getan hatte, ein unvorsichtiges Wort, und er würde den heiligen Krokodilen im Nil als Futter dienen. Dabei wünschte er sich nichts mehr, als ihr nahe zu sein. Wenn sie nur hier wäre, auf alle Schätze der Welt hätte er verzichtet. Aber die Maat, die göttliche Weltordnung, könnte nur erhalten bleiben, wenn alle Menschen in Ägypten sich nach dem Gesetz richten würden. Ein Verstoß dagegen konnte nur den Tod bedeuten. Und damit war nicht nur der Tod in dieser Welt gemeint, sondern auch der zweite Tod beim Totengericht, wenn das Herz gewogen würde.

      Im ersten Licht des Tages erhob sich Senenmut. Er verzichtete auf die morgendliche Speise. Er fühlte keinen Appetit in sich, nur den Schmerz und die Liebe zu dieser Frau, die ihn so tief getroffen hatte. Er versuchte sich mit Arbeit abzulenken und arbeitete wie ein Besessener an den Reliefs. Er gönnte sich keine Pause, erst die sengende Glut der Sonne zwang ihn, sich in den kühlen Schatten zurückzuziehen. Erschöpft lehnte er an einer Wand. Sie ging ihm nicht aus dem Kopf. Wie würde er hier leben können, wenn er sie immer nur von Weitem erblicken dürfte? Er dachte darüber nach, wegzugehen von Theben. Nach Memphis vielleicht oder zurück nach Iuni, der Stadt seiner Geburt.

      Nur am Rande registrierte er, dass seine Hände voller Schwielen waren. Aber der Schmerz in seiner Seele war größer. Nachdem die Sonne ihren Zenit überschritten hatte, begann er sofort wieder zu arbeiten. Schnell war das Ende des Tages erreicht. Senenmut betrachtete sein Werk, und im Normalfall wäre er stolz auf sein Werk gewesen. Aber er war zu sehr mit seiner Sehnsucht nach ihr beschäftigt, als dass Freude in ihm aufkommen wollte. Er dachte an seinen Vater, und was der ihm geraten hätte. Er wusste genau, an seiner Stelle hätte er auch seinem Sohn ins Gewissen geredet, die Maat zu achten. Aber seine Seele spürte nur die Liebe zu ihr. Sie überwog alles andere.

      Er zündete das Lagerfeuer erneut an und bereitete sich ein Mahl. Die Vorräte waren trotz seiner Sparsamkeit am Schwinden. Länger als zwei Tage würden sie nicht mehr zur Verfügung stehen. Wenn er das Tempo durchhalten würde, könnte er es schaffen, in einem Tag fertig zu werden. Er hatte einige Reliefs komplett erneuert und sie um die Geschichte seines Vaters erweitert, um auch ihm die Gunst der Götter zu sichern. Im Licht des Lagerfeuers schienen sie wirklich zu neuem Leben zu erwachen. Es war, als ob sie zu ihm sprechen wollten. Er sprach im Geist mit ihnen. Amun, sein wichtigster Gott, dem er im Tempel diente. Osiris, der Gott der Unterwelt, der die Felder von Iaru und das Binsengefilde beherrschte. Isis, seine Gemahlin und ihre Schwester Nephthys. Horus, der falkenköpfige Gott und Sohn des Osiris. Sobek, der Gott des Nils. Hathor, die Göttin mit den Kuhhörnern und der Sonnenscheibe. Senenmut kannte sie alle in-und-auswendig. Aber keiner gab ihm die Antwort, nach der er suchte.

      Ein großer Schatten löste sich plötzlich von der Felswand und kam auf ihn zu. War es Hathor in ihrem Gewand? Doch nur für Sekundenbruchteile setzte sein Herzschlag aus. Dann wurde der Schrecken zur Freude. Es war Hatschepsut! Sie standen sich nur kurz gegenüber, dann fielen sie sich in die Arme. Senenmut hielt sie so fest, wie er nur konnte. Stumm umarmten sie sich und es kam ihnen wie eine Ewigkeit vor. Sie vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter. Er spürte die Form ihres Körpers unter seinen Händen. Der süße Duft ihrer Haut ließ ihn alles andere vergessen. Sie löste sich nur kurz von ihm, und dann trafen sich ihre Lippen zu einem langen, innigen Kuss. Sie bog ihren Kopf nach hinten und genoss seine Küsse auf ihrer Halsbeuge. Langsam lösten sie ihre Kleider und sanken zu Boden. Die Glut ihrer Körper ließ sie die Kälte der Nacht nicht spüren. Ihre Finger ertasteten seinen Körper zärtlich, während er den ihren mit Küssen bedeckte.

      „Wenn die Götter es nicht gewollt hätten, hätten sie dich nicht zu mir geführt!“ flüsterte sie ihm ins Ohr, dann gab sie sich still seiner Liebe hin. Ihre Schatten an der Felswand verschmolzen zu einem, genau wie ihre Körper. Alles um sie herum verschwand, die Felsen und die Wüste lösten sich auf, es waren nur die Sterne da, unter denen sie schwebten. Schu, der Gott der Lüfte, trocknete ihre schweißnassen Leiber, die in dieser Nacht keinen Schlaf fanden. Nut, die Himmelsgöttin, deckte sie mit dem Sternenzelt zu. Immer wieder fanden sie zueinander, und nur die Götter waren Zeuge. Viel zu früh kehrte Cheper, die morgendliche Sonnenscheibe, zurück aus der Unterwelt und erhellte den neuen Tag.

       Noda's Paradise

      Die Götter meinten es gut mit mir. Sie hatten mir in der Nacht den schönsten meiner Träume gesandt. Er