Rainer Kilian

Regen am Nil


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setzte zum anderen Ufer des Nils über und wie von Hapuseneb zugesagt, stand alles bereit für ihn.

      Jetzt saß er auf der kleinen Terrasse seiner Ahnenstätte, betrachtete die halb fertigen Reliefs und überlegte, was es wohl mit dem leeren Kornspeicher auf sich hatte. Der Krieg gegen die Mitanni hatte nichts damit zu tun. Die Soldaten verpflegten sich dort, wo sie waren. Also musste das Korn woanders sein. Er würde Hapuseneb berichten, wenn er zurückkehrte.

      „Ich dachte, du arbeitest?“ Senenmut schreckte hoch. Hatschepsut war hinter ihm. Er drehte sich zu ihr um.

      „Statt dessen träumst du am helllichten Tag vor dich hin?!“

      Senenmut war freudig überrascht. „Ich habe nicht einmal bemerkt, dass jemand den Weg heraufkam.“

      „Ich bin ja auch sehr vorsichtig nach oben gegangen, manchmal kommen einem hier große Steine entgegen ...“ Sie blickte auf die Reliefs. „Ich sehe, du warst doch schon fleißig. Ist dieser Entwurf von dir?“

      „Nicht ganz“, erklärte Senenmut. „Ich habe sie nur erweitert.“ Er deutete auf ein Relief, das eine Kobra darstellte. „Das ist von mir.“

      „Ich sehe, du hast Talent. Vielleicht kannst du irgendwann einmal einen Tempel für mich bauen!“, schmunzelte sie.

      „Alles würde ich tun, um dir nahe zu sein", dachte Senenmut bei sich.

      Er konnte kaum den Blick von ihr lassen. „Du starrst mich an, als wäre ich Osiris selbst. Was ist mit dir? Freust du dich nicht, mich zu sehen?“

      „Doch, natürlich“, bekannte Senenmut. „Aber heute war ein seltsamer Tag. Eigentlich müsste ich im Tempel arbeiten. Dort gibt es viel zu tun. Aber Hapuseneb hat mich freigestellt, damit ich vor dem Talfest fertig werde. Aber wieso weißt DU, dass ich jetzt schon hier bin?“, stutzte er.

      „Sagen wir einmal, die Götter haben es mir zugeflüstert. Aber wenn du dich noch an gestern entsinnst, habe ich dich gebeten, mir die alten Schriften zu deuten. Willst du immer noch meinen Vater um Erlaubnis bitten?“, lächelte sie ihn an.

      „Nein, ich glaube nicht. Aber es wird mir eine Ehre sein, dir zu dienen.“

      „Um der Götter Willen, lass das Dienen sein. Ich habe genug Diener im Palast. Ich möchte mich mit einem Menschen unterhalten, der nicht ständig aus Respekt fünf Ellen Abstand hält!“

      „Nichts lieber als das“, dachte Senenmut. „Also gut“, sprach er zu ihr. „So sei es. Wenn ich hier fertig bin, werden wir anfangen.“

      „Das ist mir sehr recht. Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, damit du dein Werk vollenden kannst.“

      Mit einem Mal kam Senenmut ein Verdacht, warum Hapuseneb so freigebig gewesen war. „Hast du etwa dafür gesorgt, dass ich nicht im Tempel arbeiten muss?“

      Hatschepsut errötete leicht. „Sagen wir, ich habe Hapuseneb um einen Gefallen gebeten.“

      „Den er einer Prinzessin natürlich nicht abschlagen kann“, folgerte Senenmut.

      „Das ist richtig.“

      „Ich bin dir dankbar dafür, aber ich glaube, dass es Hapuseneb bestimmt nicht leicht fiel. Ich werde mich umso mehr beeilen, damit ich meine Arbeit im Tempel tun kann“, bedankte er sich. „Die Vorräte und das Werkzeug waren also auch deine Idee?“, schloss er.

      „Auch das! Aber siehe es so. Je besser du ausgerüstet bist, umso schneller stehst du mir als Lehrer zur Verfügung. Und wenn du genug zu essen hast, kannst du gestärkt ans Werk gehen.“

      „So selbstlos warst du ja gar nicht. Leider ging deine Rechnung nicht ganz auf.“ Er erzählte ihr von den angeblich geleerten Kornspeichern.

      „Ich kenne Nef-Sobek. Er war Soldat in Nubien“, erläuterte Hatschepsut. „Er kam damals krank zurück. Eine Fliege hatte ihn ins Auge gestochen. Er hat sein Augenlicht dabei teilweise verloren.“

      „Aber warum ist dann ausgerechnet er Verwalter der Kornspeicher geworden? Er kann kaum die Berichte lesen.“

      „Das weiß ich auch nicht. Frage Hapuseneb. Aber irgendetwas stimmt da nicht. Ich werde es einmal überprüfen lassen. Wenn unsere Krieger nach Hause kommen, brauchen wir viel mehr Getreide als sonst. Vielleicht sogar wird es notwendig sein, erneut in den Krieg zu ziehen. Ich habe heute Kunde vernommen, dass die Nubier einen Statthalter getötet haben.“

      „Das ist wirklich schlimm. Kann denn unser Land nie in Frieden leben?“

      „Je mächtiger du bist, umso mehr Feinde hast du auch. Aber jetzt will ich dich nicht vom Arbeiten abhalten!“, forderte sie ihn auf. Senenmut setzte seine Arbeiten fort, während sie ihn dabei beobachtete. Es gefiel ihm, dass sie bei ihm blieb.

      Sie sprachen kaum miteinander, lediglich wenn er die Arbeit an einem weiteren Relief begann, stellte sie ihm wissbegierige Fragen. Er erzählte ihr, was er wusste, und sie ergänzte mitunter sein Wissen um die eine oder andere Geschichte ihrer Vorfahren. Sehr schnell waren sie miteinander vertraut und plauderten ohne Floskeln oder höfische Formen.

      Senenmut ließ einen Seufzer bei dem Gedanken, dass sie als Prinzessin und Erbtochter des Pharaos unantastbar für ihn war. Aber er genoss ihre Bewunderung, die ihn noch mehr anspornte.

      „Würdest du einen Tempel für mich bauen?“, fragte sie ihn erneut.

      „Den Schönsten und Größten, den es gäbe! Aber ich glaube, ihr habt genug Architekten im Palast, die das besser können als ich.“

      „Diese dummen Langweiler? Die sind so versteinert, dass sie alle Tempel nur nach dem immer gleichen Muster konstruieren. Aber deine Inschriften haben etwas Eigenes, das sehe ich.“

      „Wenn es soweit sein sollte, dann sage mir Bescheid!“, lächelte Senenmut. „Kann es sein, dass du mich nicht ganz ernst nimmst?“ Mit gespielter Strenge sah sie ihn an.

      „Das würde ich mich niemals trauen, Hoheit!“, lachte er. Sie stimmte ein und ums Haar hätte Senenmut dem ibisköpfigen Gott Toth den Schnabel abgeschlagen. Senenmut erschrak fürchterlich, aber ihr helles Lachen war zu ansteckend. Er musste den Meißel beiseitelegen und aufhören.

      Mittlerweile war es Abend geworden. Er war gut vorangekommen. Ihre Gesellschaft hatte ihn sehr beflügelt. Jetzt zündete er ein Feuer an, denn in der Nacht würde es kalt werden. Schnell war es dunkel. Der glühende Feuerball war kaum im Westen versunken, als die ersten Sterne am Himmel erschienen. Sie hatten sich wärmende Tücher angelegt und nebeneinander ans Feuer gesetzt.

      „Siehst du das Sternbild des Sah (Orion)? Ich frage mich, wie weit es weg ist. Es muss unermesslich weit weg sein.“

      „Du stellst Fragen, die keiner beantworten kann, Senenmut“, schüttelte sie den Kopf. „So weit können sie doch nicht sein, sonst würden wir ihr Licht nicht sehen können.“

      „Oder aber sie sind unvorstellbar hell. Allein die Göttin Nut könnte das wissen.“

      „Oder wir fragen Chons, den Mondgott danach. Aber wie auch immer, es ist schön hier draußen.“

      „Ich will dich nicht wegschicken, aber müsstest du nicht längst zurück sein?“

      „Keine Angst, nur meine Amme Inet weiß Bescheid, dass ich hier bin. Meine Wachen habe ich zu Hause gelassen.“

      Senenmut erfreute diese Auskunft. „Du bist nicht nur hübsch, sondern auch sehr mutig. Hast du keine Angst im Dunkeln?“ Senenmut erschrak innerlich über sein Geständnis. Sie sah ihn an und ihre Augen spiegelten den warmen Schein des Feuers wieder.

      „Wenn du bei mir bist, habe ich keine Angst. Aber ich danke dir für dein Kompliment.“ Senenmut bemerkte, dass sie etwas zitterte. Er nahm seine Decke und legte sie ihr um die Schultern.

      „Vielen Dank, aber jetzt hast du keine Decke mehr. Sie ist doch groß genug für uns beide!“, ermunterte sie ihn. Er setzte sich neben sie und ergriff die angebotene Hälfte. So nah war er ihr nie vorher gewesen. Ihr Duft erfüllte die nächtliche