Rainer Kilian

Regen am Nil


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ich dabei sein soll, wenn mein Vater balsamiert wird. Wird das heute sein?“ Er nutzte die Chance zu fragen, da sie im Moment alleine waren. Hapuseneb legte beschwichtigend seinen Arm um seine Schulter.

      „Nun, ich denke, es wäre dir angenehmer, wenn ein anderer diese Aufgabe erledigt. Ich selbst habe mir erlaubt, den Leib deines Vaters vorzubereiten.“ Senenmut fiel ein Stein vom Herzen.

      „Als ich gestern sagte, dass du das Begräbnis mit vorbereiten sollst, meinte ich die Papyrusrollen mit den Gebeten für das Totengericht. Ich werde dir einige Rollen davon geben. Deine Aufgabe ist es, diese zu kopieren und deinem Vater mitzugeben, damit er vor Osiris Zeugnis geben kann von seinem Leben.“

      Senenmut nahm die Hände Hapusenebs in die seinen und drückte sie. „Ich danke dir, dass du meinem Vater diese Ehre erweist. Meine Familie wird sicher sein, dass alles nach den alten Riten geschehen wird, die meinem Vater so wichtig waren.“

      „Und du wirst deinem Vater ein würdiger Nachfolger sein, das sehe ich jetzt schon. Mancher neue Schreiber ist schon beim ersten Mal in der Mumienhalle umgefallen. Lass uns ein Bad im Nil nehmen und uns waschen. Dann gehen wir zum Tempel und essen.“ Senenmut war erfreut, dass er die erste Prüfung bestanden hatte. Der Gedanke an Essen kam ihm noch nicht, der Geruch der Toten klebte noch an ihm. Umso dankbarer war er für das Angebot, baden zu können.

      Danach kam der Appetit von ganz alleine, als sie wieder zum Tempel gingen. „In 40 Tagen ist der Körper bereit zum Balsamieren“, führte Hapuseneb seine Erläuterungen fort. „Wir werden nach dem Essen zurückkehren und einen weiteren Körper bereit machen.“

      Senenmut war schon wieder bereit, auf sein Essen zu verzichten. „Keine Sorge, wir haben einen hohen Beamten, der bereits in der Salzerde lag. Deine Nase wird alles Weitere als Wohltat empfinden.“ So nahmen sie ihr Essen ein und unterhielten sich über dies und das. Die erste Anspannung war von Senenmut abgefallen und er war froh, etwas zu erzählen. Hapuseneb berichtete ihm Neues, was alles in Theben während seiner Abwesenheit passiert war.

      „Es geht die Kunde in Theben, dass Thutmosis seinen Sohn nach seiner Rückkehr aus Mitanni zu seinem Nachfolger ernennen wird. Er heißt ebenfalls Thutmosis und ist ein Sohn der Nebengemahlin Mutnofret. Die drei Söhne seiner ersten Frau Ahmose sind alle gestorben und sie hat ihm lediglich noch eine Tochter geboren.“

      „Dann ist trotzdem die göttliche Linie des Pharaos gesichert!“, folgerte Senenmut richtig.

      „Das stimmt zwar“, bestätigte Hapuseneb. „Aber der junge Thutmosis ist krank und schwächlich. Wenn man den Erzählungen Glauben schenken will, so soll er sogar unfähig sein, Nachkommen zu zeugen! Dann wäre die Maat ernsthaft in Gefahr. Aber man sollte nicht alles glauben, was die Waschweiber am Nil erzählen“, wiegelte er ab.

      So schlenderten sie gemütlich plaudernd zurück zum Nilufer. Dort stülpten sie wieder die Anubis-Masken über, die den ganzen Kopf verhüllten und schwer auf ihren Schultern lasteten. Aber nur so nahmen sie die Gestalt des Gottes an. Nur er konnte der Mumie das Leben wiedergeben.

      Sie betraten die Halle am Ufer, und Senenmut registrierte den deutlich besseren Geruch in der Luft. Auf einem Holztisch, dessen Füße in stilisierten Löwentatzen endeten, lag ein mumifizierter Körper. Das Salz hatte ihn komplett ausgetrocknet und die Haut war dunkel verfärbt. Die Priester füllten zuerst die ausgetrocknete Leibeshöhle mit harzgetränkten Sägespänen und gaben so dem Körper seine alte Form zurück. Nachdem Brustkorb und Bauch gefüllt waren, legte ein Priester ein erstes Udjat-Amulett mit dem Horus-Auge auf den Schnitt, durch den man zuvor die Organe entfernt hatte. So wurde die Wunde versiegelt und kein böser Geist konnte eindringen und den Körper zerstören. Zeitgleich formte der zweite Priester die eingefallene Nase nach, indem er Pfefferkörner und ölgetränkte Leinenbinden hineinschob.

      Senenmut schrieb währenddessen die Gebete auf Papier, die Hapuseneb während der Zeremonie sprach. Die bereits mumifizierten Organe wurden in vier Kanopen gefüllt. Jeweils eine war bestimmt für Leber, Lungen, Magen und restliche Gedärme. Dann wurden sie versiegelt.

      „Die Söhne des Horus wachen über die Unversehrtheit der Innereien. Amset, der menschenköpfige, wache! Hapi, der Pavian, wache! Duamutef, hundeköpfiger, wache! Kebehsenuef, der Falke, wache!“, betete Hapuseneb. Die Priester befestigten Amulette am Körper der Mumie, indem sie viele Meter lange, feine Gaze um sie wickelten. Ein Skarabäus für das Herz, Ringe für die Finger. Breite, parfümierte Stoffbänder bildeten den Abschluss. Eine vergoldete Maske wurde auf das Gesicht des Verstorbenen gelegt, die dessen Züge trug.

      Hapuseneb erklärte: „Das Ka kann seinen Körper besser erkennen und sich wieder mit ihm vereinen.“ Senenmut hatte zwischendurch die Papyrusrollen mit den Gebeten an die Priester weitergereicht. Sie wurden unter den Armen und an den Beinen befestigt und mit eingewickelt. Der Duft der Gewürze und Öle füllte die Luft. Hapuseneb zeigte Senenmut die wichtigsten Öle und Kräuter und ließ ihn riechen. „Das hier ist Hekenu-Öl. Es wird aus geharztem Wein hergestellt und verdickt.“ Senenmut hatte viel zu lernen, und ehe man es sich versah, neigte sich der Tag seinem Ende zu.

      Zum Sonnenuntergang trafen sich die Priester im Tempel zum Gebet. Man sprach Amun Dank und betete, dass die Sonne morgen wieder aufgehen möge. Nach Ende des Gebets sprach Hapuseneb zu den anwesenden Priestern. „Hört, meine Brüder! Wir alle vermissen Ramose aus Iuni, einen unserer besten Schreiber. Noch bevor wir seinen Körper für das Binsengefilde bereiten, ist heute sein Sohn unter uns, um seine Nachfolge anzutreten. Ich habe ihn geprüft und für würdig befunden. Als sein Fürsprecher bitte ich euch, ihn in unsere Mitte aufzunehmen!“ Hapuseneb war einer der Jüngsten unter ihnen, aber sein Wort hatte Gewicht.

      Ein älterer Priester kam auf Senenmut zu und sah ihn prüfend an. „Ja, ich kann mich gut an deinen Vater erinnern. Er war dir gewiss ein guter Lehrer. Du hast die Augen deines Vaters und gewiss auch seinen Verstand. Sei willkommen!“ Er fasste ihn bei den Schultern und zog ihn an sich. Senenmut kamen vor Freude die Tränen. Er war in den Tempel aufgenommen.

       Das Grab des Ramose

      Der Tag des Begräbnisses war gekommen. Die Priester des Amun, allen voran Hapuseneb, hatten die Vorbereitung für die Grablegung getroffen. Die Mumie des Ramose war den Schriften entsprechend vorbereitet worden. In Binden gehüllt und mit heiligen Schriftzeichen versehen, lag sie auf einer Bahre im Tempel des Amun. Senenmut hatte die ganze Nacht Totenwache gehalten. Er hatte die Gebete des Anubis aufgesagt und Osiris um die Aufnahme in sein Reich gebeten. Am Morgen kamen seine Mutter Hatnofer und Senenmuts Geschwister dazu. Sie führten den Trauerzug an, der sich in Richtung Nilufer in Bewegung setzte. Der schlichte Holz-Sarkophag wurde auf einen Karren gehievt, der von einem Ochsengespann gezogen wurde.

      Direkt hinter dem Sarkophag ging Hatnofer, gestützt von ihren Söhnen Amenemhat und Pa-Iri. Dahinter ging Senenmut mit seinem Bruder Minhotep, gefolgt von ihren Schwestern Ah-Hotep und Nofret-Hor. Der ägyptischen Sitte folgend, beklagten die Frauen laut jammernd und Haare raufend den Tod des Ramose. Die Priester des Amun folgten in kleinerem Abstand der Familie, ebenso einige Freunde und Bewohner Thebens, die Ramose verbunden gewesen waren. Am Nilufer warteten einige Barken auf den Trauerzug. Der Sarkophag mit der Mumie wurde umgeladen und die Barken setzten über zum Westufer des Nils.

      Am Ufer der westlichen Totenstadt nahm ein weiteres Ochsengespann die sterblichen Überreste auf. Unter Wehgeschrei der Klageweiber und dem Murmeln der betenden Priester setzte Ramose seine letzte Reise fort, bis sie das hügelige Vorgebirge der Wüste erreicht hatten, in das eine kleine Grabkammer getrieben war. Sie war gerade groß genug, um den Sarkophag aufzunehmen. Bevor der Sarkophag geschlossen wurde, stellten die Priester des Amun die Mumie aufrecht.

      Hapuseneb trat hinzu, er trug die Maske des Anubis. Mit einem Holzspatel berührte der den Mund der Mumie. „Hört, ihr Sterblichen! Höre, Ramose! Ich, Anubis, der Gott der Unterwelt, führe dich vor das Totengericht. Wenn du Zeugnis abgelegt hast, dein Herz gewogen ist, darfst du das Binsengefilde schauen. Dein Ka und dein Ba werden sich wieder vereinen mit deinem irdischem Körper. Ich habe ihn gewaschen und gereinigt, aber er ist noch ohne Leben. Siehe, ich gebe ihn dir zurück, damit du ewig in ihm wohnen wirst.“

      Er