Rainer Kilian

Regen am Nil


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Ihre langen Wimpern waren schwarz getuscht nach Art der vornehmen Frauen, mit einem Lidstrich nach außen, der sie noch größer erscheinen ließ. Goldstaub auf den Lidern und den Wangen betonten die zarten ebenmäßigen Züge. Eine gerade, leicht geschwungene Nase verlieh ihrer Trägerin etwas Edles. Die vollen, lächelnden Lippen waren mit rotem Pulver, das mit Öl vermischt war, bemalt und glänzten ebenfalls durch eine Spur Goldstaub.

      Sie hatte sich leicht zu ihm hinunter gebeugt, sodass das Kleid den Ansatz ihrer Brüste erahnen ließ. Zartbronzen schimmerte ihre Haut und verströmte zusammen mit ihren schwarzen Haaren einen Duft nach edlen Ölen, den Senenmut noch nie zuvor wahrgenommen hatte. Ihre Erscheinung linderte seinen Schmerz. Immer noch ruhte ihre zierliche Hand auf seiner Schulter. Senenmut fühlte eine unglaubliche Wärme, die in ihm aufstieg; um nichts in der Welt hätte er gewollt, dass sie ihn losließ.

      „Ich möchte dich nicht stören in deiner Andacht“, sagte sie jedoch und richtete sich wieder auf. Senenmut hatte diese wundervolle Erscheinung stumm gemacht, und ehe er etwas sagen konnte, hatte sie ihn wieder verlassen. Nie in seinem Leben hatte er so etwas Schönes gesehen. Ihm war eine Göttin erschienen.

       Am Kraterrand

      Pünktlich um 7 Uhr wurde ich vom Portier meines Hotels geweckt. Nach kurzer Dusche ging ich auf die Terrasse zum Frühstück. Sonderlich Mühe hatte man sich nicht damit gegeben, zumal das Frühstück generell nicht zu den Ruhmestaten der griechischen Küche gehört.

      Aber um die Transfer-Touristen schien man sich erst recht nicht zu scheren. Sie würden sowieso nur eine Nacht bleiben. Heißes Wasser und löslicher Kaffee, zwei angetrocknete Scheiben Weißbrot und etwas Käse standen zur Auswahl. Für einen längeren Aufenthalt konnte ich dieses Haus wohl nicht empfehlen. Aber mein erstes Frühstück in Griechenland hatte ich mir doch etwas reichhaltiger gewünscht.

      Ich beschloss also, mein angestaubtes Griechisch aufzupolieren und sprach eine ältere Dame an, die traditionell gekleidet war und von den Angestellten des Hotels respektvoll gegrüßt wurde.

      „Signomi, parakalo! Entschuldigen Sie, bitte!“ Die Augen der alten Dame richteten sich überrascht auf mich.

      „Echete ligo Jaourti ja mena? Haben Sie etwas Joghurt für mich?“, bat ich sie und deutete auf meinen Teller. Was dann passierte, hatte ich bereits in vergangenen Griechenland-Reisen erlebt. Ein freudiges Lächeln erhellte das Gesicht der Alten und ein Ruck ging durch ihren Körper.

      „Ke wewia! Amessos! Selbstverständlich! Sofort!“, antwortete sie mir und im gleichen Augenblick rief sie in Richtung der Küche einige Befehle. Ehe ich mir es versah, hatte sie sich zu mir gesetzt und bestürmte mich mit Fragen. Woher, wohin, wieso ich griechisch spreche, mein Beruf etc. So gut es meine Kenntnisse erlaubten, antwortete ich ihr. Dem Fremden gegenüber bringt man in Griechenland eine fast kindliche Neugier entgegen, die allerdings im Tourismus durch die Vielzahl der Besucher etwas gelitten hat. Doch durch ein paar Worte in der Landessprache konnte man diese Türen öffnen, die anderen verschlossen blieben.

      Ich glaubte, meinen Augen nicht zu trauen, als sich die Tür zur Küche öffnete und eine Angestellte ein schweres Tablett abstellte. Darauf war nun wirklich alles zu finden, was das Herz begehrt. Joghurt, Honig, Oliven und Kuchen. Mehr, als mein Magen schaffen würde. Mit großer Freude beobachtete die Seniorchefin des Hotels, als die sie sich im Gespräch entpuppt hatte, wie ich genussvoll den Teller leerte.

      „Orea, Orea! Sehr schön!“, lobte sie meinen Appetit. Ich weiß nicht wie, aber plötzlich war der Teller leer. „Bravo!“, kommentierte sie das Ergebnis und erinnerte mich an meine eigene Großmutter, die ähnlich auf geleerte Teller reagierte. Als Lohn stand sofort ein Ouzo auf dem Tisch. Die „Jajoula“, so bezeichnen die Griechen ihre Großmütter, goss sich ebenfalls sein und hob ihr Glas. „Yamas, auf unser Wohl!“ Ich setzte ebenfalls zum Trinken an.

      Das Hupen eines Reisebusses erinnerte mich daran, dass es Zeit zum Aufbruch war. Meine Reiseleiterin von gestern kam zu uns auf die Terrasse. „Sie brauchen sich nicht zu beeilen“, verkündete sie mit betrübtem Gesicht. „Der Meltemi macht uns einen dicken Strich durch die Rechnung. Die Fähren sitzen alle im Hafen fest. Bei diesem Wellengang ist ein sicheres An- und Ablegen nicht gewährleistet. Ich fürchte, Sie werden noch einen Tag hier bleiben müssen. Für morgen ist etwas weniger Wind gemeldet. Ich halte Sie auf dem Laufenden. Im Normalfall hole ich Sie morgen nach dem Frühstück zur selben Zeit ab.“ Sprachs und verschwand wieder.

      Wir waren etwa zwanzig Reisende, die das gleiche Schicksal teilten. Im Gegensatz zu den anderen war ich gar nicht so abgeneigt, einen weiteren Tag hier zu verbringen. Ich nahm den nächsten Bus nach Thira zum Kraterrand und reihte mich in den Strom der Touristen ein. Die Aussicht hier oben war grandios. Santorin besteht aus dem sichelförmigen Rest eines ehemals runden Vulkans, der in der Antike regelrecht explodiert war und nach innen zusammenbrach. Das Kraterinnere füllte sich mit Wasser und bildete ein gigantisches, 300 Meter tiefes Becken. Ebenso hoch steigt der Kraterrand fast senkrecht empor und bietet den einfahrenden Kreuzfahrtschiffen ein Bild, das wohl einmalig ist und seinesgleichen sucht. Schichtförmig wechselt die Farbe von roter und schwarzer Lava bis hin zu weißem Bimsstein. Weithin leuchtet die Ascheschicht mit den gleichfalls weißen, kubischen Häusern um die Wette. Dazu bilden das tiefblaue Wasser und der Himmel einen Kontrast, wie man ihn kaum intensiver auf eine Leinwand bannen könnte. Kein Wunder, dass die meisten Bilder, die man von Griechenland sieht, von Santorin stammen.

      Von oben am Kraterrand konnte ich die Luxus-Liner wie Spielzeugschiffchen sehen. Gigantische Anker-Bojen boten den Schiffen Halt, denn hier fand kein Schiffsanker Grund. Das Meer war wirklich sehr unruhig. Weiße Gischt krönte die hohen Wellen. Kein Schiff war in Fahrt zu sehen. Nur ein Narr hätte das gewagt.

      Und hier oben am Kraterrand blies der Meltemi so stark, dass ich das Gefühl hatte, er wolle alles über den steilen Rand in die Tiefe reißen. Mit einigen Hüten und Schirmmützen gelang ihm das auch, die sich allzu sorglose Touristen auf den Kopf gesetzt hatten. Mehrfach konnte ich sehen, wie solche „flugfähigen“ Objekte ihren Weg über den Abgrund in die Tiefe nahmen. Ich stand an einem Geländer ganz vorn und verfolgte die Mützen mit den Augen. Aber es war unmöglich, sie bis nach unten im Blick zu behalten. Irgendwann waren sie einfach zu klein. Dieser gähnende Schlund hatte etwas Beängstigendes und Faszinierendes zugleich.

      Obwohl keine Gefahr bestand, hielt ich das Geländer vor mir fester in der Hand. Der Wind pfiff und rauschte hier oben recht laut, aber ich glaubte plötzlich, das Tosen der Wellen zu hören ...

      Tosende Wellen warfen die Barke hin und her, sie war längst Spielball des Sturmes geworden ...

      Ich sah die Wellen direkt vor mir, die Bilder vermischten sich. Ich stand immer noch dreihundert Meter über dem Meeresspiegel auf einer Terrasse. Der Boden schien zu schwanken. Ein Erdbeben? War mein erster Gedanke.

      Er klammerte sich an das Ruder, um nicht vollends die Balance zu verlieren. Er wusste nicht mehr, wo er war. Die Richtung war auch egal. Er hielt das Boot gegen die Wellen an, um nicht zu kentern.

      Stöhnend sank ich zu Boden. Das Wackeln hatte aufgehört. Ich spürte wieder dieses Glühen in meiner Brust. Mein Muttermal fühlte sich heiß an. Dass mich meine „Erinnerungen“ tagsüber quälten, war sehr ungewöhnlich. Normalerweise traten sie eher im Halbschlaf auf. Nur mühsam brachte ich meine zitternden Beine wieder unter Kontrolle. Ich fühlte immer noch den Seegang unter meinen Füßen und beschloss mich vom Kraterrand zu entfernen. Ich hatte wenig Lust, den Hüten nachzufolgen. Um mich herum waren zwar genug andere Touristen, aber keiner hatte sich recht für meinen Zustand interessiert. Wenn überhaupt, hatten sie wohl eher zu viel Ouzo für mein Schwanken verantwortlich gemacht.

      Genau den konnte ich jetzt brauchen. Der nächste Platz in einer Taverne war mir. Ich änderte meine Bestellung kurzfristig in einen Kaffee zur Stärkung. Insgeheim hatte ich erhofft, auch etwas Urlaub von meinen Träumen zu bekommen. Nicht nur, dass ich mich getäuscht hatte, sondern auch eine mir vollkommen neue Art war dazu gekommen. Bisher hatte ich eher kleine Episoden geträumt. Manchmal war die Erinnerung an den Traum so stark, dass ich Mühe hatte, in die Gegenwart zurückzufinden. Aber dass eine solche Vision meine gegenwärtigen Wahrnehmungen