Rainer Kilian

Regen am Nil


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und die Rötung ließ nach, aber wie eingebrannt waren mir die Worte im Gedächtnis. „Die Ketzer sind besiegt!“

      Allmählich verblasste das Bild vor meinem inneren Auge und ich saß immer noch auf dem Rothenberg. Mit einem Seufzer erhob ich mich von der Bank und machte mich auf den Heimweg. Es war fast Mittag geworden, als ich am Marktplatz ankam.

       Die Schlacht in Mitanni

      Jahre waren ins Land gegangen. Senenmut war zu einem Jüngling herangewachsen und in die Armee eingetreten. Er war mit seinem Pharao Thutmosis bis über den Grenzstein gegangen, der das Reich der Mitanni markierte. Sie hatten den Fluss Euphrat überquert. Viele Feinde hatten Sie niedergestreckt und reiche Beute gemacht. Damit man die Zahl der getöteten Feinde besser überblicken konnte, war es Brauch geworden, ihnen eine Hand abzuhacken.

      Auch Senenmut hatte Hände zu zählen, was Ausdruck der Tapferkeit eines Soldaten war. Aber die rechte Freude darüber wollte bei ihm nicht aufkommen. Ihm war dieser Ritus zuwider, aber er hütete sich, darüber mit den älteren Soldaten zu sprechen, denen es vollkommen normal geworden war. Abends saßen sie alle am Feuer und brüsteten sich mit ihren Taten. „Heute war ein Fest für uns!“, jubelte Imen-Re, ein erfahrener Soldat, der schon viele Jahre als Söldner in der Armee gedient hatte. „Sachmet, die Löwenköpfige, war an unserer Seite. Horus ist mein Zeuge, ich habe mit dem Blut unserer Feinde die Erde reingewaschen!“, brüstete er sich.

      Senenmut hatte schon ein paar Schlachten erlebt und es fiel ihm schwer, all das Leid zu erleben, den ein Krieg mit sich bringt. Er freute sich zwar, dass der Pharao die Grenzen Ägyptens erweiterte und festigte. Aber er hatte heute an der Seite von Imen-Re erlebt, was der Krieg aus einem Menschen machen konnte. Die ganze Zeit schon hatte er sich abseits gehalten und dachte mit Schaudern an das Erlebte. Die Mitanni waren geschlagen. Ihre Formation hatte sich aufgelöst und sie flüchteten planlos vor den Kampfwagen des Pharaos, die sie verfolgten. Imen-Re war Wagenlenker, Senenmut war ihm als Bogenschütze zugeteilt. Er hatte den Bogen aber längst niedergelegt und seine Pfeile im Köcher gelassen, denn Imen-Re trieb die Pferde so schnell vor sich her, dass ein Zielen unmöglich geworden war. Statt dessen hatten sie ein kurzes Schwert gezogen.

      Imen-Re steuerte den Streitwagen dorthin, wo die flüchtenden Mitanni am dichtesten liefen. Er schrie vor Freude auf, wenn die schweren Räder des Wagens zwei oder drei Feinde niedermähten. Senenmut musste sich festhalten, um nicht selbst in das Geschirr zu stürzen. Imen-Re schien es nichts auszumachen, einhändig das Gespann in wilder Fahrt mit den Zügeln zu jagen und gleichzeitig einem Mitanni den Schädel zu spalten, der dem Streitwagen seitlich zu entkommen suchte.

      „Imen-Re, halt ein!“, schrie Senenmut gegen den Lärm der galoppierenden Hufe an. „Die Herolde haben lange schon zum Rückzug geblasen!“ Wie ein Wahnsinniger trieb Imen-Re den Streitwagen in die Front der Feinde. Senenmut blickte kurz zurück und sah, dass die anderen Streitwagen des Pharaos weit entfernt abgedreht hatten und die flüchtenden Feinde schonten.

      Im gleichen Moment, als er sich zurückdrehte, sprang der Wagen mit einem Rad über den Körper eines unglücklichen Mitanni und geriet ins Schlingern. Senenmut verlor das Gleichgewicht, seine Hände verloren den Halt, und er stürzte nach hinten aus dem offenen Teil des Wagens. Er schlug auf den Boden auf, der in der Sonne hart getrocknet war. In seinem Blutrausch fuhr Imen-Re einfach weiter.

      Senenmut hatte das Gefühl, als wären alle Knochen in seinem Leib gebrochen; er hatte jedoch keine Zeit, darüber nachzudenken. Er war mitten in der Front der Mitanni-Krieger gelandet. Zwei Soldaten hatten ihn entdeckt und kamen ihm bedrohlich nahe. Er lag noch auf dem Rücken, als der Erste mit erhobener Streitaxt und wildem Geschrei auf ihn eindrang. Die Angst verlieh Senenmut übermenschliche Kräfte. Er warf sich zur Seite und riss sein Schwert nach oben.

      Die Axt drang Funken sprühend in den steinigen Untergrund neben seinem Kopf ein. Das Schwert hingegen hatte sein Ziel nicht verfehlt und stieß tief in den Bauch des Angreifers. Kraftlos stürzte der getroffene Körper über ihn und bedeckte Senenmut mit einem blutigen Schwall aus seinem Mund. Durch die Wucht des Sturzes war das Schwert bis ans Heft eingedrungen. Senenmut schob den zuckenden Leib über sich zur Seite, um sich zu befreien. Er versuchte das Schwert zu lösen, aber der Mitanni schrie aus Leibeskräften auf und klammerte seine Hände um den Griff des Schwertes. Sein Schrei wurde von seinem Blut erstickt, das mit dem Mageninhalt zusammen aus seinem Mund strömte.

      Voll Entsetzen starrte Senenmut auf die grausige Szene, als der zweite Mitanni ihn erreicht hatte. Dieser war mit einem Speer bewaffnet und zielte auf ihn. Panisch ergriff Senenmut die Streitaxt des ersten Angreifers und warf sie mit Wucht gegen den Feind. Mit einer Rolle zur Seite suchte er dem tödlichen Speerwurf zu entrinnen. Er hörte das Sirren in der Luft und spürte, wie der Speer in seinen Oberschenkel eindrang. Im ersten Schock verspürte er keinen Schmerz; er drehte sich vielmehr nach dem Speerwerfer um, als er aus dessen Richtung ein knirschendes Geräusch hörte. Die Axt war auf der rechten Seite in Höhe des Schlüsselbeines in den Brustkorb des Mitanni eingedrungen. Wie in Zeitlupe sackte dieser zusammen.

      Erst jetzt verspürte Senenmut den ohnmächtigen Schmerz in seinem Bein, er sank stöhnend zu Boden. Der Speer steckte immer noch in seinem Oberschenkel und macht ihn jetzt bewegungsunfähig. Das Blut in seinem Schädel dröhnte, der Boden schien unter ihm zu erbeben. Plötzlich war über ihm ein weiterer Mitanni, der mit der Axt zum Todesschlag ausholte. Das Beben übertönte alle Geräusche, als schlagartig ein großer Schatten die Sonne verdunkelte. Senenmut erwartete den tödlichen Schlag, als ein scharfes Zischen die Luft zerschnitt. Gleichzeitig schlug es dem Mitanni den oberen Teil seines Helmes mitsamt seiner Schädeldecke weg. Mit ungläubigem Blick fiel dieser leblos zu Boden. Als Senenmut den offenen Schädel neben sich sah, aus dem pulsierend Blut drang, umfing ihn gnädig tiefe Ohnmacht.

      Imen-Re war aus seinem Wahn erwacht und war umgekehrt, um dem jungen Soldaten beizustehen. Er kam gerade noch rechtzeitig, um den letzten Angreifer auszuschalten. Er hielt an und sah den Speer in Senenmuts Oberschenkel stecken. Er stellte seinen Fuß auf dessen Bein und riss den Speer aus der Wunde. Der tiefe Schmerz ließ Senenmut erwachen. Stöhnend und unfähig, klar zu denken, beobachtete er, wie Imen-Re sein Bein verband, um das Blut zu stoppen.

      „Du kannst den Göttern danken, dass ich bei dir war. Amun war mit dir, du Narr!“, schimpfte er los. „Wenn ich nicht gekommen wäre, hätten die Mitanni dich in Scheiben gehackt und den Geiern zum Fraß vorgeworfen!“ Senenmut war wütend, aber der Schmerz lähmte seine Zunge. Mehr als ein Stöhnen brachte er nicht heraus. Imen-Re packte ihn an seiner Rüstung und zog ihn unsanft nach oben. Dann schleifte er ihn ohne Rücksicht zu seinem Streitwagen und warf ihn unsanft auf die offene Standfläche.

      „Bleib hier sitzen, ich habe noch etwas zu tun!“, forderte er ihn auf.

      Was dann geschah, konnte Senenmut nicht fassen. Imen-Re stapfte durch den Sand auf den Mitanni zu, den Senenmut mit der Axt getroffen hatte. Die Axt steckte immer noch in der Brust des Soldaten, der sterbend auf dem Rücken lag. Imen-Re stellte wie zuvor bei Senenmuts Oberschenkel einen Fuß auf die Brust des Mitanni und riss die Axt aus dessen Lunge, worauf die Luft sofort pfeifend aus dem Spalt entwich. Blutroter Schaum drang aus der Wunde und aus dem Mund hinaus und erstickte die Schreie des Sterbenden in einem grausigen Blubbern. Gnadenlos hob Imen-Re die Axt und schlug ihm die rechte Hand ab. Er hob sie auf und steckte sie an seinen Gürtel. Dann ging er zu Senenmuts erstem Angreifer, der im Todeskampf seine Hände um das Schwert geklammert hatte. Er lebte ebenfalls noch, war aber schon zu schwach, um sich zu bewegen. Auch ihm schlug Imen-Re die Hand ab, nachdem er zuvor mit einem Tritt gegen den Arm dafür gesorgt hatte, dass dieser gestreckt dalag. Ohne Rührung ging er auf den Mitanni zu, den er selbst zuvor getötet hatte, und vollendete sein unmenschliches Werk.

      Ohne sich um die sterbenden Krieger zu kümmern, bestieg er seinen Streitwagen und lenkte ihn zurück ins Lager des Pharaos. Senenmut wehrte sich indes nicht mehr gegen die aufsteigende Übelkeit in ihm aufgrund des Blutverlustes, und noch mehr wegen dessen, was er mit ansehen musste. Er erbrach sich und erneut fiel er in Ohnmacht, als sie das Lager erreichten. Nur durch einen Nebel der Erinnerung konnte er die Jubelschreie der Soldaten hören, die Imen-Re und seine Kriegsbeute begrüßten, dann wurde es dunkel um ihn.

      Er