Rainer Kilian

Regen am Nil


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einen frischen Verband erhalten, ohne dass er etwas davon bemerkt hätte. Aber noch mehr als sein Bein schmerzten ihn die Bilder, die ihm vor seinem geistigen Auge erschienen. Jubel drang von außen in sein Zelt. Senenmut erhob sich, so gut es eben ging, und näherte sich humpelnd dem Ausgang, wo er sich an einer Zeltstange abstützte. Er konnte Pharao Thutmosis sehen, der aus einem goldglänzenden Streitwagen Goldmünzen unter die siegreichen Soldaten warf.

      Senenmut glaubte zu träumen, aber neben Thutmosis stand Imen-Re! Er hatte eine frische polierte Rüstung an und blickte mit dem Pharao auf die Soldaten, die vor ihnen in Reih und Glied standen.

      „Soldaten Ägyptens!“, sprach der Pharao. „Höret meine Worte! Wir haben heute einen glanzvollen Sieg über die Mitanni erlangt. Ihr König wird es nie mehr wagen, seinen Fuß auf ägyptischen Boden zu setzen. Zum Dank werde ich eine Stele errichten lassen, die ich Amun-Re widme. Auch unseren Göttern Mut und Chons wollen wir danken. Sie haben uns heute einen besonders tapferen Soldaten zur Seite gestellt! Er hat heute nicht nur unzählige Hände erbeutet, sondern auch das Leben eines jungen und unerfahrenen Soldaten gerettet, in dem er drei Feinde gleichzeitig erschlug!“

      Senenmut konnte es nicht fassen. Imen-Re hatte ihn erst in diese Lage gebracht. Weil er sämtliche Befehle missachtete und Menschen tötete, die schon auf der Flucht waren und sich bereits ergeben hatten. Er hatte durch seine Mordlust ihre beiden Leben unnötig gefährdet. Und dann hatte er Senenmuts Ohnmacht genutzt, um die Geschichte in einem für ihn günstigen Licht erscheinen zu lassen. Er hatte ihm wohl das Leben gerettet, aber aus Gier zwei Menschen bei lebendigem Leib abgeschlachtet! Es widerte ihn an und er beschloss, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit seine Vorgesetzten zu informieren.

      Aber Thutmosis hatte noch nicht geendet. „Als Lohn für seine Tapferkeit ernenne ich Imen-Re zum Befehlshaber der Bogenschützen und Wagenlenker!“ Senenmut schwankte der Boden unter den Füßen. Damit war ihm jede Möglichkeit genommen, den wahren Sachverhalt zu klären. Vor Wut schossen Senenmut die Tränen in die Augen. Er wünschte sich jetzt nichts sehnlicher, als zu Hause zu sein. Seine Eltern hatten ihn immer gelehrt, dass das menschliche Leben das höchste Gut sei, aber in der Armee wurden die größten Schlächter zu Befehlshabern ernannt! Der Schmerz wütete in Senenmut und er legte sich zurück auf sein Lager.

      Die Steinmetze hatten alle Hände voll zu tun, den Befehl des Pharaos sofort umzusetzen und den Sieg in Stein zu hauen. „Ich dehnte die Grenzen Ägyptens aus, so weit die Sonne reicht. Ich habe Ägypten zur Krone über alle Länder der Erde gemacht ...“, verkündeten die Steine.

      Am Abend floss der Wein in Strömen und die Soldaten feierten den Sieg, allen voran Imen-Re. Etwas mitleidig betrachteten sie Senenmut, der vermeintlich so unglücklich agiert hatte. Er hatte sich bewusst abseits gehalten. Nach Feiern war ihm sowieso nicht zumute; sein Bein machte ihm ebenfalls zu schaffen. Nur kurz ließ er sich sehen, dann humpelte er wieder zu seinem Zelt zurück. Kurz vor dem Eingang wurde er an den Schultern gepackt und zu Boden geworfen. Im Fackelschein blitzte eine blutige Mitanni-Streitaxt.

      Es war Imen-Re! „Höre zu, du dummer Junge! Wenn du jemals auch nur ein Wort erzählst, werde ich dir mehr als deine Hand abschneiden, verstanden?“ Er zog die Schneide über Senenmuts Hals, wo sie eine dünne Blutspur hinterließ. „Das war meine erste und letzte Warnung. Morgen, bei Beginn des Tages, wirst du mit den Boten nach Theben zurückkehren. Wenn ich dich danach noch einmal sehe, sorge ich persönlich dafür, dass du bei Osiris sein wirst!“ Dann war er verschwunden.

       Santorin

      „Platz 19A!“, sagte die Dame am Checkin-Counter, wie das so schön auf Neudeutsch hieß. „Vielen Dank!“, sagte ich artig. Sie hatte meinem Wunsch gemäß einen Fensterplatz reserviert. Nichtraucher, in der Nähe des Notausganges. Nicht, dass ich Angst vorm Fliegen hätte, im Gegenteil. Aber die Plätze dort boten am meisten Beinfreiheit und beste Sicht nach draußen. Ich begab mich voller Freude durch die Sicherheitszone. Gepäck röntgen, abtasten. Mein Notebook und Handy hatte ich auch dabei, obwohl ich erst gezögert hatte. Schließlich wollte ich Urlaub machen. Aber mein Gewerbe verlangte mitunter schnelle Entscheidungen. Und so konnte ich auf eventuell notwendige Daten zugreifen. Und Monique war die optimale Abwehrmauer gegen lästige Zeitgenossen. Ich hatte volles Vertrauen zu ihr, was ihre Nachrichtensperre anbelangte. Sie würde nur lebensnotwendige Mails an mich weiterleiten, sonst hätte ich ja auch zu Hause bleiben können. Aber so würde das Notebook mehr meiner Beruhigung dienen. Ich gedachte, es nicht wirklich zu gebrauchen.

      Der Kontrolleur schien sich auch seine Gedanken zu machen, was in aller Welt ein Mann mit Jeans und T-Shirt mit so einem elektrischen Hundehalsband im Urlaubsgepäck will. Also verlangte er den üblichen Funktionstest. Einschalten, Programm starten und wieder runterfahren. „Alles Okay, guten Flug.“ wünschte er mir und schon saß ich im Flieger. Ein Airbus A321, die Maschine war vertrauenerweckend neu. Wie schon gesagt, Angst vorm Fliegen kannte ich nicht, ich hatte sogar ein paar Jahre Gleitschirmfliegen betrieben. Aus Zeitgründen hatte ich es schweren Herzens aufgegeben. So war mir die Höhe vertraut, der Flug war für mich das halbe Urlaubserlebnis. Die Crew wies nur noch pantomimisch auf Sicherheitshinweise hin, eingebaute LCD-Bildschirme führten Alles vor, was wichtig war. Ich kannte es schon auswendig. Meine Sitznachbarin, eine Dame mittleren Alters, war eher beunruhigt.

      „Ich fliege zum ersten Mal heute“, versicherte sie mir. „Wenn meine Söhne mir den Flug nicht geschenkt hätten, wäre ich niemals in den Flieger rein. Mit der Schwimmweste käme ich nie zurecht. Und überhaupt, mit den Handys und so. Wenn die einer einschaltet, passiert wer weiß was. Ham Sie auch so was?“

      „Nein, nein!“, beruhigte ich sie und musste schmunzeln. Wie gut, dass sie das Lap nicht gesehen hatte, sie wäre wohl wieder ausgestiegen. Ich beschloss, sie ein wenig zu beruhigen, das würde auf dem Flug auch mir zugutekommen.

      „Schauen sie mal nach draußen“, sagte ich, während die Maschine zur Startbahn rollte, und deutete auf die Ruder in den Tragflächen. „Sehen sie, wie die sich bewegen?“ „Die werden doch nicht kaputt sein?“ „Nein, mit den Start- und Landeklappen vergrößert der Pilot die Tragfläche. Damit steigt die Maschine besser.“ Sie schien etwas beruhigter, als die Maschine die Startbahn erreichte und sofort Geschwindigkeit aufnahm. Unwillkürlich fasste sie dann doch nach meinem Arm und grub ihre Finger ein, als die Maschine abhob und in den Himmel stieg. Ab jetzt begann mein Urlaub! Mit einer Linkskurve schwenkten wir auf Kurs Richtung Süden. Aus dem Fenster konnte ich den Flughafen und die Frankfurter Skyline sehen. Sie verschwanden schnell aus unserem Blickfeld.

      „Über den Wolken, muss die Freiheit wohl grenzenlos sein ...“, summte ich vor mich hin. Schon bald konnten wir die Alpen sehen. „Meine Damen und Herren, herzlich willkommen auf unserem Flug nach Santorin“, meldete sich der Kapitän aus dem Cockpit. „Wir haben jetzt unsere Reiseflughöhe von 10700 Metern erreicht. Unsere momentane Geschwindigkeit beträgt derzeit etwa 800 km/h. Wir werden auf unserem Flug über Venedig an der italienischen Küste entlang fliegen. Nach Brindisi werden wir einen Schwenk nach links über das Ionische Meer nach Preveza machen. Dann werden wir über Athen zu den ägäischen Inseln fliegen und in Santorin landen.“ Momentan ruckelte es etwas und meine Nachbarin lächelte verkrampft zu mir herüber. „Wie Sie sicher merken ist es momentan etwas unruhig“, fuhr der Kapitän fort. „Aber wir haben etwas Rückenwind bekommen und werden ca. 20 Minuten früher landen können. Wenn wir die Alpen hinter uns haben, wird es etwas ruhiger werden. Also noch einen guten Flug und schönen Urlaub in Griechenland.“

      Das war sehr gut für mich, so kam ich wohl früh genug in den Hafen, um die Fähre nach Ios zu bekommen. Im Duty-Free an Bord suchte ich mir eine neue Uhr aus, die ich mir gleich ans Handgelenk band. Das war für mich schon ein Ritus geworden. Im Gegensatz zu irgendwelchen Staubfängern aus dem Touristen-Basar hatte ich mir als Symbol und Erinnerung an die „schöne Zeit“ angewöhnt, eine Uhr zu kaufen. So konnte ich meine Urlaubs-Erinnerungen am Arm tragen. Die Stewardess servierte uns anschließend eine kleine Mahlzeit aus der Bordküche, die sehr wohlschmeckend war. Putenschnitzel mit Gemüse, Schoko-Pudding mit Vanillesoße. Relativ schnell hatte ich meine Ration verputzt, während meine Nachbarin mit der Verpackungsfolie kämpfte. Ich half ihr, das Besteck zu befreien.

      Die Verpflegung