Rainer Kilian

Regen am Nil


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      War ich dabei, den Verstand zu verlieren? Ich hatte natürlich irgendwann am Anfang einen Arzt aufgesucht, als ich merkte, dass das Erlebnis mit dem Skarabäus nicht das Einzige war. Mein Muttermal spielte dabei eine zentrale Rolle. Mein Arzt erklärte mir, dass die starke Durchblutung verantwortlich war für das Brennen in meiner Brust. Und die wiederum trat immer dann auf, wenn ich in irgendeiner Weise erregt war. So hatte ich das Ergebnis meinem Freund Jo mitgeteilt, der entsprechend kommentierte, dass eine Erregung von meiner Seite nur dann auftreten konnte, wenn es sich um eine Frau handelt, die nicht in unserem Jahrtausend lebt.

      Teilweise stimmte es, denn seit ich sie im Traum gesehen hatte, schien mir kein anderes weibliches Wesen auch nur annähernd so begehrenswert. Auch wenn ich zuvor nicht gerade wie ein Mönch gelebt hatte, als meine Träume begannen, interessierte ich mich tatsächlich immer mehr für die Person meiner Träume. Aber was ich mit all diesem zu tun hatte, war mir immer noch nicht klar. Vor allem waren ja die körperlichen Erscheinungen noch die geringsten. Mein Seelenleben war völlig durcheinandergeraten. Ich wusste manchmal nicht mehr, in welcher Zeit ich lebte, wenn ich aufwachte.

      Also führte mich mein nächster Gang zu einem Therapeuten, der sich von mir das Erlebte beschreiben ließ. Irgendwann, nach einer Unzahl von Sitzungen, erklärte er mir medizinisch verbrämt, was mein Kumpan mir etwas direkter in seinem Vortrag vor meiner Urlaubsreise klarzumachen versuchte. Er sprach von einer hochgradigen Psychose, ausgelöst durch zu intensivem, häufigerem Kontakt mit vorwiegend älteren Gegenständen.

      Ich war ihm direkt dankbar, dass er nicht auch das Wort Trödel-Laden gebrauchte. Als Krönung der Therapie erklärte er mich noch für kontaktarm und gehemmt im Umgang mit Frauen. Der Beweis war ja, dass ich meine Traum-Frau allen anderen real Existierenden vorzog. Er empfahl mir zunächst einmal, jemanden einzustellen der mein Geschäft führt, damit ich vorerst keinen Kontakt mehr mit Antikem hätte. Und anschließend einen Tanzkurs machen, das würde mir Gelegenheit geben, einmal unverfänglich Kontakt mit Frauen zu haben.

      Ich bedankte mich herzlich bei ihm, ging nach Hause und warf die von ihm verschriebenen Tabletten in den Mülleimer und seine Telefonnummer hinterher. Ich führte weiterhin meine Geschäfte alleine mit meiner Assistentin, verkaufte Antiquitäten und berührte sie, ohne irgendwelche Anfälle zu bekommen. Ich traf mich mit Frauen, ohne Angst vor ihnen zu bekommen und sprach nicht nur mit ihnen ... Sie gingen irgendwann wieder, aber meine Träume waren geblieben.

       Das Mumienritual

      Früh am Morgen ging Senenmut nach Karnak zum Tempel des Amun, wie er es Hapuseneb zugesagt hatte. Er hatte die ganze Nacht nicht geschlafen. Seine Gefühle waren so durcheinander, wie sie nur sein konnten. Diese Erscheinung im Tempel war so tief in sein Herz gedrungen, dass er für einige Zeit den Schmerz vergaß, der so in ihm wütete. Nie zuvor war ihm ein Augenpaar so unvergesslich ins Gedächtnis gebrannt. Dieser warme, fast zärtliche Blick schien ihn beinahe vergessen zu lassen, welche Pflichten auf ihn im Tempel warteten. Auch das raubte ihm den Schlaf. Er wusste genau, dass die Mumifizierung seines Vaters eine Prüfung für ihn sein würde, ohne die man ihn nicht in den Tempel aufnehmen würde.

      So kämpfte er die ganze Nacht mit seinen widersprüchlichen Empfindungen. Seinem Schmerz über den Verlust, seine Angst vor der Prüfung und dem Gefühl der Zuneigung zu dieser bezaubernden Gestalt im Tempel.

      Doch mit dem Morgengrauen überwog die Angst vor dem kommenden Tag. Er hatte seiner Mutter gesagt, dass man ihn vielleicht im Tempel aufnehmen wollte, aber nicht um welchen Preis. Hatnofer war erfreut darüber und deutete die Sorgenfalten in Senenmuts Gesicht als Trauer. Senenmut hatte sich von seinem Lager erhoben und wusch sich in einer Schale mit Wasser, die ihm seine Mutter brachte. Dann war er seinen wohl schwersten Gang gegangen und stand nun vor dem Eingang des Tempel-Bezirks. Schon sehr früh erwachte das Leben im Tempel. Die Priester vollzogen ihre Gebete und brachten ihre Opfer für die Statuen der Götter dar. Bauern brachten ihre Abgaben zu den Kornspeichern und stritten mit den Beamten lautstark um den ihnen verbleibenden Anteil. Handwerker zogen in den Tempel, um Bilder zu restaurieren, Inschriften zu vervollständigen und neue Obelisken und Statuen zu vollenden. Lediglich die Halle mit dem Heiligtum, der Barke des Amun, war den Priestern und Pharao Thutmosis I. vorbehalten.

      Senenmut waren dieser Anblick vertraut. Für einen Moment dachte er, dass er in diesem Ameisenhaufen seinen Vater erblicken würde. Aber schmerzlich wurde ihm bewusst, dass er ihn hier nie mehr sehen würde. Er musste nicht lange nach Hapuseneb suchen, der ihn freudig begrüßte.

      „Senenmut! Sei gegrüßt. Ich freue mich, dass du gekommen bist. Bist du bereit?“ „Ja, ich stehe zu deinen Diensten“, antwortete er ihm.

      „Dann lass uns keine Zeit verlieren. Wir haben viel zu tun. Der Krieg gegen die Mitanni hat uns viel Arbeit gebracht. Es gilt, die Körper unserer tapferen Krieger zu bewahren. Ich werde dir unterwegs alles erzählen, was du wissen musst!“ Gemeinsam begaben sie sich ans Nilufer, wo die Hütten zum Präparieren der Mumien standen.

      „Warst du schon einmal dabei, wenn unsere Körper für die Ewigkeit bereitet werden?“, fragte er Senenmut.

      „Nein, aber mein Vater hat mir viel darüber erzählt.“

      „Dann werde ich dir alles erklären. Nur Anubis selbst, der Totenwächter, darf die Toten berühren.“ Sie waren an den Hütten angekommen. Er reichte Senenmut eine Maske aus Holz, die den schakalköpfigen Anubis darstellte.

      „Setz sie auf, bevor wir den ersten Raum betreten“, forderte Hapuseneb ihn auf. Er reichte ihm einen Papyrus und Tinte. „Du musst als Schreiber dokumentieren, was wir bei der Mumifizierung vornehmen. In der Maske nehmen wir die Gestalt des Anubis an und handeln anstelle der Götter. Folge mir nun!“ Senenmut war sehr schnell klar, warum die Hütten direkt am Nilufer waren. Senenmut hatte im Krieg gegen die Mitanni den Geruch erlebt, den der Tod verbreitet. Aber der Gestank, der ihm nun entgegenschlug, war unbeschreiblich.

      Hapuseneb betrat mit Senenmut den Raum, in dem ein Toter auf einem steinernen Tisch lag. Zwei Priester hatten bereits alle Instrumente zur Präparation bereitgelegt. Senenmut schwankte, er traute sich kaum, zu atmen. Die Luft schien in seiner Lunge zu kleben.

      „Setz dich hierher, von hier kannst du alles sehen und aufschreiben“, sagte Hapuseneb. „Beginnt nun mit der Öffnung!“, forderte er die beiden Priester auf, die ebenfalls in der Maske des Anubis verkleidet waren. Sie beugten sich über den Toten auf dem Tisch, der in einer wannenförmigen Vertiefung lag. Mit einem Obsidian-Messer stach der Priester in die Seite und machte einen tiefen Schnitt von den Rippen abwärts bis an die Hüfte. Zischend entwichen Gase aus dem Leib. Der zweite Priester nahm eine flache Schale und zog die hervorquellenden Organe heraus. Der süßliche Verwesungsgeruch verstärkte sich noch mehr.

      Senenmuts Magen rebellierte, aber er konzentrierte sich auf seine Schrift. Hapuseneb erklärte ihm die weiteren Schritte: „Um unsere Körper für das Binsengefilde zu bewahren, müssen wir den Leib entleeren. Die Organe werden in Salz gelegt und in eigenen Gefäßen versiegelt.“ Die Priester entfernten durch den Schnitt alle Organe und legten jedes in eine Schale, die mit Salzen angefüllt war. Danach bogen sie den Kopf des Toten nach hinten und führten einen Haken aus Bronze in die Nase ein. So zogen sie Stück für Stück das Gehirn heraus. Senenmut sehnte sich nach frischer Luft, aber er tat sein bestes, um sein Talent als Schreiber darzustellen. „Jetzt füllen wir den leeren Leib mit Salzen aus dem Tal der Salzerden, welches sich in Richtung des Sonnenuntergangs, seitlich vom Delta des Nils befindet“, erläuterte Hapuseneb.

      Die Priester hatten den Körper gewaschen und gereinigt, bevor sie die Leibeshöhle nun mit Natronsalz füllten. Dann hoben sie ihn vom Tisch herunter in eine sargartige Wanne, die etwas mit Salzerde gefüllt war. Die Arme wurden am Körper entlang angelegt. Anschließend wurde die Wanne mit feuchter Salzerde ganz gefüllt, bis der Körper bedeckt war. Hapuseneb öffnete jetzt die Türen und ein frischer Lufthauch empfing Senenmut, dem der Schweiß in Strömen über das Gesicht lief. Die Holzmaske war ihm sehr schwer geworden. Er war glücklich darüber, als Hapuseneb ihm bedeutete, sie abzunehmen. Gierig sog er die Luft in seine Lungen. Hapuseneb nahm die Papyrusrollen, die Senenmut beschrieben hatte.

      „Das