Rainer Kilian

Regen am Nil


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aber war ein Halskragen, der im Stoff eingewickelt war. Er bedeckte die ganze Schulter sowie die Brust und war aus Gold und kostbaren Steinen hergestellt. Sie leuchteten in allen Farben um die Wette. Senenmut schlüpfte rasch in das Gewand, nachdem er sich gereinigt hatte, und legte den Halsschmuck an. Das Armband, das ihm der Pharao geschenkt hatte, trug er ebenfalls. Dann ging er voller Stolz zum Hof des Pharaos.

      Schon von Weitem konnte er die Stimmen der Feiernden hören. Sie mischten sich mit den Instrumenten, die in hellen Tönen die Freuden des Sieges priesen. Der Innenhof des Palastes war erhellt von Fackelschein und war zum Bersten gefüllt mit den Festgästen, die aus allen Teilen des Reiches gekommen waren, um Thutmosis zu huldigen. Tänzer führten ihre mystischen Riten auf, die in den Sagen des alten Reiches ihren Ursprung hatten. Auf riesigen Feuerstätten wurden ganze Ochsen am Spieß gedreht. Der Duft des gebratenen Fleisches drang in Senenmuts Nase und machte Appetit auf mehr. Sklaven bedienten die Gäste und kamen kaum mit dem Füllen der Weinpokale nach. Gaukler und Artisten boten Kurzweil und vertrieben die Zeit, bis jeder etwas zu essen hatte.

      „Seht hierher, Herr!“, wurde Senenmut von einem Magier abgelenkt. Er hielt Senenmut am Arm fest und deutete mit der anderen Hand nach oben. Eine weiße Taube flatterte plötzlich in seiner Hand und erhob sich in die Luft. Alle Umstehenden klatschten begeistert Applaus. Senenmut wollte weitergehen, aber der Magier hielt ihn fest.

      „Wo ist denn dieses schöne Armband geblieben?“, fragte ihn der Zauberer. Senenmut erschrak und merkte, dass sein Arm leer war.

      „Was habt ihr da?“ Schneller als er etwas sagen konnte, griff ihm der Zauberer hinter das Ohr und hielt das Armband in der Hand. Die Zuschauer johlten begeistert. Senenmut fand es alles andere als witzig. Wenn das Armband verloren gewesen wäre, hätte er sich zu Tode geschämt. Er hätte niemals dem Pharao wieder unter die Augen treten können. Verärgert entriss er dem Magier das Armband und legte es wieder um. Er würde diesen Kerl nicht mehr zu nahe an sich heranlassen.

      Aber seine gute Laune wollte er sich auch nicht verderben lassen. Er nahm einen gereichten Weinpokal und nippte daran. Herrlich kühl war er. Sklaven verteilten kleine Miniaturamphoren mit kostbaren Düften, die aus verschiedenen Ölen bestanden.

      „Nehmt dieses Parfum, Herr. Er führt Euch zu den Göttern!“ Senenmut bediente sich und nahm eine Amphore. Er musste an die Lotosfrauen denken und schmunzelte. Er hielt Ausschau nach der königlichen Familie. Aber niemand war zu sehen. Wahrscheinlich feierten sie im Palast und würden erst später nach außen in den Hof kommen. Auf der oberen Terrasse vor dem Haupttor war auf jeden Fall ein breiter Tisch gedeckt, der mit Gold und Edelsteinen geschmückt war.

      Senenmut musste sich erst an die reiche Pracht gewöhnen, aber es gefiel ihm sehr bei Hofe. All die interessanten Menschen, die sich hier eingefunden hatten. Die Bewohner der Hauptstadt mischten sich mit den Besuchern aus allen Provinzen des Reiches. Hohe Offiziere aus Memphis in ihren prachtvollen Uniformen. Adlige aus dem Delta mit ihren Familien. Dunkelhäutige Fürsten aus Nubien, die sich als treue Verbündete des Pharaos erwiesen hatten. Statthalter aus Mitanni, deren Gesichtszüge sich deutlich von denen der Ägypter unterschieden. Auch Gesandte aus dem Norden, jenseits des ägyptischen Machtbereiches, konnte Senenmut ausmachen. Das schienen die minoischen Gesandten zu sein, von denen Chep-Ra bereits berichtet hatte.

      Senenmut erkannte Hapuseneb unter ihnen. Er war im Gespräch mit einem hochgewachsenen Mann, der mindestens zwei Köpfe größer war als alle anderen Anwesenden. Hapuseneb erkannte ihn ebenfalls und winkte ihn herbei.

      „Senenmut, komm zu uns. Darf ich dir einen guten Freund Ägyptens vorstellen? Der Sohn des minoischen Gesandten, Alexandros aus Knossos.“ Der Minoer reichte Senenmut die Hand. Sein Händedruck war fest und stark.

      „Ich freue mich, dich kennenzulernen. Die Götter mögen dich segnen, Alexandros!“ Er trug einen Bart, was in Ägypten absolut ungewöhnlich war und Senenmuts Neugier erregte. Noch dazu diese hünenhafte Gestalt. Er war in strahlend weiße Gewänder gekleidet, die seine muskulöse Gestalt betonten. Er trug eine goldene Kette mit einem Fisch auf seiner breiten Brust. Senenmut hatte so etwas noch nie gesehen.

      „Auch ich bin erfreut, dich zu sehen. Ich habe vieles von dir gehört. Chep-Ra hat mir in den höchsten Tönen von dir erzählt!“ Seine Stimme war voll und dunkel. Ein Lächeln prägte seine Züge.

      „Lasst uns etwas zu essen nehmen!“, forderte Hapuseneb sie auf. Sie nahmen an einer Tafel ihren Platz ein, die sich vor raffinierten Speisen bog. Gemüse und Fleisch aller Art, Früchte und exotische Getränke.

      „Lang lebe der Pharao!“ Alexandros hob seinen Pokal. „Lang lebe Thutmosis!“, stimmten alle ein.

      „Was ist das für ein Fisch an deiner Kette?“, wollte Senenmut von Alexandros wissen.

      „Es ist ein Delfin, das Wappentier unseres Königs!“

      „Ich habe noch nie einen solchen gesehen! Warum hat er nicht einen Löwen oder etwas Ähnliches als Wappentier?“

      „Weil es bei uns keine Löwen gibt! Aber der Delfin ist ein ungewöhnliches Tier. Er gebärt seine Jungen lebend, so wie wir Menschen. Und wenn wir über das Meer fahren, begleiten die Delfine unsere Schiffe. Es sind sogar schon Männer gerettet worden, die im Sturm gekentert sind. Sie wären ertrunken, aber Delfine brachten sie an Land. Wir glauben, dass sie so wie wir Menschen Verstand haben.“ Senenmut bekam seinen Mund nicht zu. Er hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, wie Fische ihre Jungen bekommen. Für ihn war es so, dass die Götter die Fische den Menschen geschickt hatten. Und die Geschichten über die Errettung von Schiffbrüchigen waren gewiss erfunden. Aber er war zu höflich, um es anzuzweifeln.

      „Wie gefällt es dir in Ägypten?“, wechselte er das Thema.

      „Ich bin schon fast ein Ägypter! Mein Vater hat mich als kleinen Jungen mit auf die Reise nach Ägypten genommen. Meine Familie stammt von einer Insel, die sie früher „Kalliste“ nannten. Sie wurde durch einen Vulkanausbruch zerstört.“

      Senenmut kam sich etwas dumm vor. Aber er war zu neugierig und hing an den Lippen des Minoers. „Was ist ein Vulkanausbruch?“

      „Ein Feuer spuckender Berg! Er speit flüssige Steine und Asche. Er hat die Insel zerstört. Nur ein schmaler Rand der Insel ist geblieben. Der Rest ist im Meer versunken. Aber die Bewohner der Insel konnten sich alle retten. So kamen wir nach Knossos und fanden eine neue Heimat.“ Senenmut glaubte ihm kein Wort. Aber es war faszinierend.

      „Auch wir haben unser Mythen in Ägypten. Du wirst sie kennen?“, prüfte er ihn.

      „Natürlich. Wir haben unsere Götter. Und wenn man sie vergleicht, sind sie sich sehr ähnlich.“

      „Aber unsere Berge spucken kein Feuer!“, entgegnete er ihm.

      „Das ist der Gott Hephaistos. Er ist der Hüter des Feuers! Er kann Steine schmelzen.“

      Senenmut wusste nicht, ob er einen Schwindler vor sich hatte oder einen Märchenerzähler. Aber wenn es nur einen wahren Kern daran gab, würde er gerne dieses Land kennenlernen.

      „Du musst mir bei Gelegenheit mehr von deinem Land erzählen.“

      „Gerne, Senenmut. Ich wollte auch morgen bei den Kornspeichern vorbei sehen, um meinen alten Freund Chep-Ra zu begrüßen. Und die neuen Kornspeicher will ich auch sehen.“

      „Das ehrt mich, Alexandros. Aber jetzt lass uns trinken!“ Senenmut hob seinen Pokal und prostete ihm zu. Alexandros hob den Pokal.

      Fanfaren unterbrachen ihre Unterhaltung. Die Gespräche verstummten und alles blickte auf die Treppe zum Palast. Dort verkündeten die Fanfaren das Erscheinen der königlichen Familie. Alle erhoben sich von den Plätzen. Die breiten Türen wurden geöffnet. Der Hofstaat trat hinaus und machte Platz für den Pharao. Sklaven mit goldenen Lanzen gingen voran. Ein Zeremonienmeister verkündete das Erscheinen.

      „Der Sohn des Horus! Der lebende Gott auf Erden! Der Herrscher des roten und des schwarzen Landes! Kniet nieder vor dem Eroberer, dem Einiger der beiden Länder!“ Trommeln und Sistren steigerten die Geräuschkulisse und die Untertanen knieten nieder. Der Pharao trat ins Freie,