Rainer Kilian

Regen am Nil


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auch nicht. Aber wenn wir alles glauben wollten, was uns so erzählt wird, dann wäre die Ägyptologie die reinste Märchenstunde!“

      „Sie werden es besser wissen als ich“, gab ich nach. „Sie leben ja dort. Aber wenn Sie wollen, lade ich Sie zu einem Drink in Noda's Bar ein.“ Sie wollte. Ich bezahlte und wir erhoben uns. Sie hakte sich in meinen Arm ein und so schlenderten wir über die Uferpromenade entlang zu Noda. Ich spürte die neidvollen Blicke der anderen Männer. Nur Noda grinste wieder mal übers ganze Gesicht, als er uns erblickte. Irgendwie fühlte ich mich ein bisschen wie ein König ...

       Die Siegesfeier

      Ganz Theben war erfüllt vom Jubel des Sieges über die Nubier. Die Maat war gesichert. Die Feinde Ägyptens waren niedergeworfen und besiegt. Der Pharao hatte ihnen bewiesen, dass die Götter Ägyptens stärker waren und ein mächtiges Volk geschaffen hatten.

      Überall wurde gefeiert. Der Gesang der Menschen und die Musik rissen jeden Bewohner mit. Auch Senenmut war froh und glücklich darüber, dass der Aufstand der Nubier fehlgeschlagen war. Allerdings bedrückte es ihn auch, dass er nicht mehr alleine mit Hatschepsut im Palast sein würde. Der Palast wimmelte von Menschen. Der ganze Hofstaat war anwesend, um den großen Thutmosis als Sieger zu feiern. Die Soldaten hatten auch reichlich gestohlenes Korn zurückgebracht, das es nun einzulagern galt. Das Korn war der unbedeutendere Teil der reichen Kriegsbeute. Ganze Schiffsladungen voll Gold brachten die Sieger mit. In der Sprache der Nubier hieß Gold „Nub“, daher hatte die Provinz ihren Namen. Viele Goldminen waren dort zu finden.

      Im Moment war Senenmut voll damit beschäftigt, seinen Untergebenen Chep-Ra zu beobachten, der von einigen aufgebrachten Soldaten mit deren Schwertern bedroht wurde.

      „Mach den Weg frei, Sklave!“ Ein Soldat drohte Chep-Ra, der sich ihm in den Weg gestellt hatte. Chep-Ra war einen ganzen Kopf kleiner als der Soldat und unbewaffnet. Aber trotzdem ließ er sich nicht einschüchtern. Böse funkelte er den Offizier an.

      „Ich bin kein Sklave mehr, das ist vorbei! Und merk dir, in den Kornspeichern bin ich der Herr! Das Korn wird erst gewogen und dann eingelagert. Und wenn du Sohn eines Nilpferdes nicht gleich dein Schwert wegsteckst, erstatte ich dem Pharao Bericht. Dann wird aus deinem dummen Schädel ein hübscher Trinkbecher für nubische Sklaven werden!“

      Senenmut musste innerlich lächeln. Die frisch verliehene Freiheit hatte ihm wohl Löwenmut verliehen. Die Soldaten wollten das erbeutete Korn so schnell wie möglich abladen. Chep-Ra bestand darauf, es vorher zu wiegen und aufzuzeichnen. Das würde dauern. Denn das Korn wurde von frisch erbeuteten nubischen Sklaven getragen, die sich nur widerwillig in ihr Schicksal ergaben. Die Soldaten mussten die Sklaven bewachen, anstatt zu den Siegesfeiern zu gehen. Und jetzt dieser störrische Verwalter!

      Senenmut war unbemerkt hinzugetreten und hatte die Situation erfasst. Es amüsierte ihn, dass sich Chep-Ra in Senenmuts vermeintlicher Abwesenheit gleich zum „Herrn“ befördert hatte. Die beiden Streithähne hatten ihn noch nicht bemerkt. Die anderen Soldaten, fünf an der Zahl, beobachteten interessiert die Reaktion ihres Anführers. Der warf wutschnaubend sein Schwert in den Sand und ging direkt auf Chep-Ra los.

      „Um dich den Willen der Götter zu lehren, brauche ich kein Schwert!“ Er griff mit beiden Händen nach dessen Hals, aber Chep-Ra wich ihm schnell aus und landete mit seiner Faust einen Treffer im Magen. Der Offizier knickte leicht ein und bot sein Kinn zu einem weiteren Treffer, der sogleich erfolgte. Erst flog der Kopf nach hinten, dann folgte der massige Körper nach und stürzte kraftlos in den Sand. Jetzt zogen die anderen Soldaten ihre Schwerter und machten Anstalten, auf Chep-Ra einzudringen. Senenmut hatte genug gesehen und trat hinzu. „Genug jetzt! Halt im Namen des Pharaos! Wenn einer von euch Lust auf einen Kampf hat, soll er es mit mir tun. Und jetzt wird das Korn gewogen und verzeichnet!“

      Chep-Ra war erschrocken und erfreut zugleich über Senenmuts Beistand. Er hatte ihn nicht hier erwartet. Die Soldaten steckten murrend ihre Schwerter weg. Im gleichen Moment nutzte ein nubischer Sklave das Durcheinander und warf den schweren Krug mit Korn, den er auf seiner Schulter trug, auf seinen Bewacher. Der taumelte und stürzte. Der Nubier entriss ihm sein Schwert und schlug es dem Unglücklichen über den Schädel. Die restlichen Soldaten starrten fassungslos auf die Szene, bevor sie ihre Schwerter erneut zogen und die anderen Sklaven im Zaum zu hielten. Der Nubier eilte nun mit dem Schwert in der Hand auf den unbewaffneten Offizier zu, der gerade wieder dabei war, sich auf den Knien aufzurichten.

      Voll Entsetzen registrierte der, dass er ja sein Schwert weggeworfen hatte. Senenmut hatte die gefährliche Situation als Erster begriffen und sprang zu dem Schwert, das noch immer im Sand lag. Er riss es nach oben und warf sich dem Nubier entgegen. Der hatte den Offizier erreicht und holte zum tödlichen Schlag aus. Unfähig sich zu bewegen, mit vor Angst geweiteten Augen, erwartete er den Tod. Scharf zischend schoss die Klinge nach unten. Im gleichen Moment trafen die Schwerter krachend aufeinander. Funken sprühend verfehlte der Hieb sein Ziel. Mit einem wütenden Schrei holte der Nubier erneut aus. Senenmut hielt mit aller Kraft dagegen. Durch den wuchtigen Zusammenprall zerbrach das Schwert des Nubiers. Senenmut wollte den Nubier schonen, aber der versuchte einen erneuten Angriff mit dem stumpfen Rest. Senenmut stieß zu und versenkte seine Klinge in der Brust des Angreifers.

      Er zog das Schwert wieder heraus. Ungläubig stierte der Nubier auf das Blut, das aus seiner Brust quoll, dann brach er tot zusammen. Schwer atmend warf Senenmut dem Offizier das Schwert vor die Füße.

      „Und jetzt räumt hier auf! Und seid gewiss, dass ich dem Pharao Bericht erstatte, wenn Ihr meinem Verwalter nicht gehorcht.“

      „Ja, Herr. Ich stehe in deiner Schuld“, stammelte der Soldat verlegen.

      Senenmut ging ins Verwaltungsgebäude und widmete sich den Aufzeichnungen. Er konnte von draußen die Stimme Chep-Ras vernehmen, dem es alle Freude der Erde bereitete, die Soldaten zu kommandieren. Schon nach kurzer Zeit brachten ihm andere Sklaven die Papyrusrollen mit den Aufzeichnungen. Den ganzen Tag lang folgte nun eine Kornlieferung nach der anderen. Langsam befürchtete Senenmut, dass die Lager voll seien, aber die neuen Kornspeicher erwiesen sich als sehr geräumig. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn trotzdem. Er rief Chep-Ra zu sich.

      „Ich will wissen, ob das nubische Korn essbar ist!“ Chep-Ra blieb gelassen.

      „Das habe ich auch bedacht, Herr. Ich habe zuerst den nubischen Sklaven davon zu essen gegeben. Wenn sie es vergiftet haben sollten, werden die Götter sie strafen.“

      Senenmut war beruhigt. „Du hast meine Gedanken erraten, Chep-Ra. Du hast dir deine Freiheit verdient. Woher hast du den Faustkampf gelernt?“

      „Von dem Sohn des minoischen Gesandten. Wir haben als Kinder zusammen gespielt. Aber Ihr versteht dagegen etwas davon, das Schwert zu führen, Herr. Der Soldat wäre jetzt bei Osiris ohne Euch.“

      „Danke für dein Kompliment. Aber woher hast du den Sohn des minoischen Gesandten kennengelernt?“

      „Wir haben uns als Kinder am Nilufer getroffen. Er ist plötzlich aus dem Papyrus aufgetaucht wie Sobek, der Nilgott. Er hat mir einen geheimen Gang gezeigt, aus dem er kam. Er endet im Palast!“ Senenmut staunte nicht schlecht. Scheinbar war der Geheimgang doch nicht so geheim.

      Ihr Gespräch wurde von einem Diener aus dem Palast unterbrochen.

      „Herr, ich habe frohe Botschaft für Euch. Unser aller Herr, der von den Göttern gesegnete Pharao Thutmosis, lädt dich zu einem Fest im Hof des Palastes heute Abend. Wir wollen den Sieg gebührend feiern.“ Mit einer tiefen Verbeugung entfernte er sich wieder. Senenmut war geehrt, an den Hof geladen zu sein. Es war das erste Mal. Rasch vollendete er sein Tagwerk und eilte in den Tempel, um sein Abendgebet zu verrichten. Danach ging er nach Hause, um sich zu waschen. Vor dem Eingang des Hauses wartete Inet, die Amme auf ihn. Sie drückte ihm ein großes, mit Leinen umwickeltes Bündel in die Hand.

      „Meine Herrin schickt dir dies, mit Grüßen von ihr!“, erklärte sie geheimnisvoll und war schon wieder enteilt. Neugierig öffnete er es sofort, nachdem er die Tür verriegelt hatte. Ein kostbares, fein plissiertes Gewand kam zum Vorschein. Seine Farbe war strahlend weiß. Es