Rainer Kilian

Regen am Nil


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Deshalb mussten sie sterben.“

      „Uns?“ Senenmut wurde hellhörig. „Warst du dabei?“

      „Nein, Gnade, Herr! Ich war nicht dabei.“

      „Ich glaube dir nicht!“ Senenmut schob den glühenden Kessel näher unter ihn, was seine Gesprächsbereitschaft verbesserte.

      „Ja, ja, ich war es!“ Hass erfüllte auf einmal das Gesicht des Beamten. „Die Nubier hatten uns viel Gold und Silber geboten. Aber Chep-Ras Vater wollte uns verraten. Ich selbst habe ihm die Kehle durchgeschnitten!“

      Senenmut widerte dieser Mensch an. Er hatte genug gehört und war bereit zu gehen. Der Offizier schob den Kessel ganz unter den Gefangenen. Grässliches Schreien erfüllte den Raum. Senenmut wollte schnell ins Freie und traf am Eingang auf Chep-Ra.

      „Ich habe dich gesucht, Herr. Man hat mich hierher geschickt.“

      Senenmut legte seine Hände auf Chep-Ras Schultern. „Du hast alles gehört?“

      „Ja, Herr.“ Trauer und Wut spiegelten sich in seinem Gesicht. Der Offizier trat aus dem Raum. Immer noch waren die Schreie des Gefolterten zu hören. Der Geruch des brennenden Fleisches drang mit ihm nach draußen.

      „Was sollen wir mit ihm machen, Herr?“ Senenmut zog das Schwert des Offiziers aus der Scheide und gab es Chep-Ra. Der nickte stumm und ging in den Raum hinein. Sekunden später verstummte das Schreien. Chep-Ra trat wieder hinaus. Tränen liefen ihm das Gesicht herunter. Er wischte das Schwert im Sand sauber und gab es dem Offizier zurück.

      Senenmut dankte dem Offizier. „Ich werde deiner Herrin berichten. Du hast Ägypten einen großen Dienst erwiesen. Die Götter sollen dich reich belohnen.“ Dann ging er mit Chep-Ra zurück zur Verwaltung der Kornkammern.

      „Du hast meiner Familie und mir große Ehre erwiesen Herr.“ Er fiel vor Senenmut auf die Knie und küsste ihm die Hände. „Ich stehe für immer in deiner Schuld.“

      Senenmut war es unangenehm. „Steh auf, Chep-Ra. Es ist unsere Pflicht, die Feinde Ägyptens zu strafen. Und jetzt wollen wir uns um die Kornernte kümmern!“

      Chep-Ra verschwand unter unzähligen Verbeugungen. „Die Götter seien mit dir, Herr. Amun segne dich.“

      Senenmut machte sich auf zum Palast, um Hatschepsut Bericht zu erstatten. Große Unruhe herrschte im offenen Vorhof. Sklaven eilten hin und her. Offiziere schrien Befehle. Soldaten bemühten sich so schnell es ging, sie auszuführen. Ein Ochsengespann hätte ihn beinahe überfahren. Schnell sprang er zur Seite. Er stieg die Treppen zum Hauptportal empor. Die Wachen machten keine Anstalten, ihn aufzuhalten. Ein Sklave eilte voran und brachte ihn in die Empfangshalle. Er sah Hatschepsut auf der Terrasse sitzen. Umgeben von Sklavinnen, die sie mit Ölen beträufelten und ihre Arme und Beine massierten. Er trat näher heran. Als sie seiner Anwesenheit gewahr wurde, schickte sie alle weg und kam ihm entgegen. Nachdem die letzte Sklavin den Raum verlassen hatte, warf sie sich in seine Arme und sie küssten sich lange und innig. „Liebster, ich bin so glücklich, dich zu sehen. Heute ist ein schöner Tag. Wir haben Meldung erhalten, dass mein Vater heute noch zurückerwartet wird. Unsere Armee war siegreich.“

      „Das ist die zweitschönste Sache der Welt heute. Am schönsten ist es für mich, dich zu sehen! Wo ist dein geliebter Bruder?“

      „Halbbruder bitte! Er ist nach dem Eintreffen der Botschaft auf seine Barke gestiegen, um meinem Vater entgegen zu segeln. In Wahrheit ist er wohl geflüchtet, weil seine Frau ebenfalls hier erwartet wird.“

      „Er ist verheiratet? Das wusste ich nicht.“

      „Sie ist auch nicht reinen Blutes. Ihr Name ist Isis. Aber in ihren Adern fließt kein göttliches Blut.“ Verächtlich rümpfte sie die Nase. „Ihre Familie ist aus Memphis und dient in der Garnison. Dort wird sie ihn mit dem Duft des Lotos verzaubert haben.“

      Senenmut musste schmunzeln. Die Garnison in Memphis war berüchtigt für die Lotosfrauen. Sie tauchten den Lotos in starken Wein und gaben ihn dem Auserwählten zu riechen. Der freiwerdende Duft ließ die Soldaten das wahre Aussehen der Angebeteten vergessen. Sie waren in diesem Moment die größte Versuchung vor den Göttern selbst.

      Der Lotos war streng untersagt für alle Soldaten, denn mancher hatte sich so stark an den Duft gewöhnt, dass er nicht mehr ohne ihn leben konnte. Er sah am hellen Tage Göttererscheinungen, wenn er zu viel gerochen hatte. Und ohne den Duft quälten grässliche Dämonen seinen Geist. Er fror erbärmlich, als wenn er des Nachts nackt in der Wüste liegt. Die Glieder zitterten, als wenn das krokodilköpfige Monster selbst das Totengericht verlassen hätte und vor ihm erschienen wäre. Und dann wieder floss Feuer durch die Adern, als wenn Ra selbst in ihm wäre.

      Einige Lotosfrauen hatten es aber trotz des Verbots geschafft, in hohe Kreise der Offiziere vorzudringen. Es war eher unwahrscheinlich, dass auch der junge Thutmosis am Lotos gerochen hatte. Aber in der Fantasie von Hatschepsut war es so.

      „Ist sie so hässlich, dass er sie schön riechen musste?“, nahm er den Faden belustigt wieder auf.

      „Wer sonst würde sich ihm freiwillig ergeben? Du hast ihn gesehen. Er ist schwach und krank. Alles, was er kann, ist Befehle zu geben. Dabei ist sein Geist auch nicht von Stärke gezeichnet. Er trägt den Namen des Gottes der Weisheit in seinem Namen, aber Thot hat ihn vergessen!“

      Senenmut schauderte etwas. Wenn ihr Halbbruder auch nur ahnen würde, was Hatschepsut über ihn dachte, würde ihr Schicksal besiegelt sein; sie würde nicht mehr lange leben.

      „Ich danke dir auf alle Fälle für deine Fürsprache gestern, geliebte Hatschepsut. Ohne dich wäre ich schon bei den Göttern. Aber dein Eingreifen hat sich gelohnt. Wir haben alle Verräter entlarvt.“ Er klärte sie über das Verhör des Beamten und das Ergebnis auf. Ebenso erwähnte er auch das Verhalten des Offiziers und Chep-Ras.

      „Du hast diesen Sklaven in dein Herz geschlossen, nicht wahr?“

      „Ja, er ist von außergewöhnlichem Eifer und sehr schlau. Ich werde ihn zu meinem Stellvertreter machen“, lobte ihn Senenmut.

      „Ein Sklave und dein Stellvertreter? Ich werde ihm und seiner Familie die Freiheit schenken. Seiner Familie ist mit dem Tod seines Vaters großes Unrecht geschehen. Als Lohn für seine Verdienste soll er uns als freier Mann dienen.“

      „Du errätst meine Gedanken, Geliebte. Ich habe mich nicht getraut, dich zu bitten.“ Sie sah ihn mit ihren großen, wundervollen Augen an. „Geliebter Senenmut. Ich werde dir jeden Wunsch, den du hast, erfüllen. Solange ich deiner Liebe gewiss sein kann und sie genießen darf, bist du mein Gebieter!“

      Sie zog ihn an sich und gierig nach Liebe erforschten sie mit ihren Händen gegenseitig den Körper des anderen.

      „Komm mit mir!“ Schnell zog sie ihn in ihre Privatgemächer und verriegelte die Türen. Senenmut küsste jeden Zentimeter ihrer Haut, den er von den Gewändern befreite. Sie ließ es geschehen. Ihr beider Verlangen machte sie Zeit und Raum vergessen. Ermattet fielen sie, dicht aneinander gedrängt, in einen leichten Schlaf. Erst ein Klopfen an der Tür holte sie in die Wirklichkeit zurück.

      „Herrin, beeilt euch. Der Pharao ist angekommen!“ Erschrocken fuhren sie hoch.

      „Es ist Inet, meine Amme. Zieh dich an und folge ihr schnell!“ Rasch sammelten sie ihre Gewänder zusammen, die auf dem Boden verstreut waren. Senenmut zog sich eilig an. Hatschepsut öffnete den Riegel der Tür und schob ihn hinaus.

      „Folgt mir, Herr.“ Inet nahm ihn wie ein Kind bei der Hand und zog ihn in einen seitlichen Flur. Sie schob einen reich bestickten, mit den Göttern Thebens bestickten Teppich an der Wand beiseite, der eine geheime Tür verbarg. Eine Fackel in der Hand haltend, zog sie ihn durch einen schmalen Gang, der leicht gewunden abwärts führte. Sie mussten ein paar Fallgruben überwinden, die unerwünschte Eindringlinge fernhalten sollte. Im Dickicht des Papyrus endete der Gang unvermittelt am Nilufer.

      „Ich danke dir, Inet. Ich bin froh, dass Hatschepsut eine so treue Dienerin hat.“

      „Ich habe sie bei