Rainer Kilian

Regen am Nil


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nicht von ihr nehmen. Wie sie so vornüber gebeugt war, konnte er von oben tief in ihr Gewand sehen, ihre Brüste lagen frei. Er war plötzlich ganz woanders in seinen Gedanken. Ihr Duft füllte den Raum. Wenn er sie nur berühren könnte! Sie blickte von dem Papyrus auf und folgte seinem Blick. Ihre Augen wurden groß und dunkel.

      „Du musst mir mehr von deinen Eindrücken erzählen. Ich will alles über den Verrat wissen“, sagte sie laut. „Komm heute, nachdem du hier fertig bist, in den Palast!“

      Senenmut klopfte das Herz, er konnte das deutliche Ziehen in seinen Lenden spüren.

      „Ja, Herrin!“, antwortete er ebenso laut. Sie lächelte ihn an, dann drehte sie sich um und wandte sich zum Gehen. Sie trat ins Freie, und alle Anwesenden verneigten sich vor ihr. Senenmut blickte ihr hinterher und ließ einen lauten Seufzer.

      „Sie ist die schönste Frau, die ich je gesehen habe“, unterbrach Chep-Ra seine Gedanken. Er war wieder eingetreten.

      „Kümmere dich lieber darum, dass die neuen Speicher so errichtet werden, wie ich hier aufgezeichnet habe!“, fuhr er ihn an. Er fühlte sich ertappt. Außerdem ärgerte es ihn, dass ein anderer Mann sie so ansah.

      „Es geschieht, wie du es befiehlst, Herr.“ Er nahm den Papyrus und entfernte sich. Senenmut war mit seinen Gedanken alleine. Er konnte sich kaum konzentrieren. Für heute war es genug mit seiner Arbeit. Er wollte ja noch zum Tempel gehen. Er verschloss den Raum und machte sich auf den Weg. Bevor er das Heiligtum erreichte, traf er auf Hapuseneb.

      „Dein Werk ist schon im ganzen Tal bekannt. Ich bin froh, dass du den Tempel nicht angezündet hast, als wir dich aufgenommen haben!“, lachte er.

      „Da gibt es nicht so viele Ratten!“, nahm Senenmut den Faden auf.

      „Du hast recht, mein Freund, aber dafür sind sie dicker.“ Er wies auf einen Priester, dessen Leibesumfang bedenklich war. Sie lachten beide los, was ihnen tadelnde Blicke einiger Tempelbesucher einbrachte.

      „Ich kann mir denken, was du willst, Senenmut. Ich habe dir eine Abordnung an Bauhandwerkern bereitgestellt.“ Er war verblüfft, wie Hapuseneb seine Gedanken erriet. „Leider kann ich dir nicht so viele mitgeben, wie ich gerne möchte, da viele Männer mit Thutmosis in den Krieg gegen die Nubier gezogen sind.“

      Erst jetzt fiel es Senenmut auf, dass es deutlich ruhiger als sonst im Tempel war. Nur wenige Soldaten waren zu sehen.

      „Der Pharao ist heute Morgen aufgebrochen, um die Nubier zu strafen. Es war so geheim gehalten worden, dass nur die obersten Befehlshaber es wussten. Man vermutet einige Spione im Tempel, die es sofort weiterberichtet hätten.“

      „Schlimme Zeiten für Ägypten“, sinnierte Senenmut.

      „Ja, es war schon einmal friedlicher in unserem Land. Aber Thutmosis ist stark. Er wird die Nubier in die Schranken weisen, und danach wird Ägypten mächtiger sein denn je. Unsere Grenzen sind in alle Himmelsrichtungen gesichert. Die Maat ist gefestigt.“

      Über all der Arbeit mit den Kornkammern hatte Senenmut es gar nicht bemerkt, dass die komplette Armee Ägyptens abgezogen war. Aber die Nubier würden es auch nicht bemerkt haben, oder wenn, dann zu spät. Und die Zeit konnte ein wichtiger Verbündeter sein. Der Nil war niedrig. Das hieß, eine nur geringe Strömung setzte sich den Barken der Armee entgegen. Zu Lande rückte Thutmosis mit Fußtruppen und Streitwagen gegen Nubien vor.

      Senenmut dachte an die Erlebnisse in Mitanni. Er war froh, dass er nicht mehr dabei war. Jetzt war ihm auch klar, warum Hatschepsut ihn so einfach in den Palast beordern konnte. Nur wenige Bedienstete waren jetzt anwesend. Und außerdem war er ja offiziell bestellt worden. Er hoffte inständig, sie wenigstens einen kurzen Moment alleine sehen zu können. Er ging gemeinsam mit Hapuseneb zum Abendgebet ins Heiligtum des Amun. Sie brachten ein Opfer dar und beteten mit den anderen Priestern um einen glücklichen Ausgang der Schlacht. Hapuseneb lud Senenmut zum Essen ein.

      „Es war ein Glück für dich, dass du den Komplott entdeckt hast.“

      „Das war eher ein Zufall. Ich war nur etwas irritiert über die geringen Kornreserven. Ich habe lediglich laut gedacht, was ich davon halte.“

      „Und die Götter haben es gehört ...“, warf Hapuseneb ein.

      „Ja, die Götter ...“, echote Senenmut.

      „Ihre Wege sind unergründlich“, fuhr Hapuseneb fort. „Vor allem dann, wenn sie uns ihre Ratschlüsse durch ihre irdischen Nachkommen übermitteln.“

      „Du meinst ...“

      „Ich bin nicht blind, Senenmut. Und ich freue mich für dich. Ich bin dein Freund und ich glaube, dass die Götter es gut mit dir meinen. Aber es wird Neider geben, die dir dein Glück nicht gönnen. Du musst vorsichtig sein. Wenn du gegen die Maat verstößt, werden dich die gleichen Leute den Krokodilen zum Fraß vorwerfen, die dich eben noch auf Händen getragen haben. Ich bete zu den Göttern, dass sie dich weiterhin beschützen.“

      Senenmut tat es gut, dass er sich nicht vor Hapuseneb verstecken musste. Es hätte ihm leidgetan, Versteck vor ihm spielen zu müssen. Aber er war ein zu guter Beobachter, als dass es überhaupt möglich gewesen wäre.

      „Ich danke dir, Hapuseneb! Ich werde in den Palast gehen und Bericht erstatten über meinen ersten Tag als Imir Schenuti en Imen!“

      „Der Titel geht dir über deine Lippen, als hätte Amun ihn dir in deine Wiege gelegt“, lächelte Hapuseneb.

      „Ich bin Amun dankbar dafür, dass er mir diese Gnade erweist“, antwortete Senenmut. „Aber darum gebeten habe ich ihn nicht.“

      „Ich weiß es. Aber er wird sich etwas dabei gedacht haben. Irgendwann wirst du es erkennen.“

      „Du hast soeben gesprochen wie mein Vater. Aber ich danke dir nochmals für die Handwerker. Morgen bei Sonnenaufgang werden wir beginnen“, verabschiedete sich Senenmut von ihm.

      „Sie werden bereitstehen für dich. Sag ihr Grüße von ihrem treuen Diener.“ Hapuseneb drehte sich um und ließ den verblüfften Senenmut stehen.

      Kopfschüttelnd nahm Senenmut seinen Weg zum Palast. Atum, die Sonnenscheibe des Abends, war dabei, ihren Weg in die Unterwelt anzutreten, als er die äußeren Mauern des Palastes durchschritt. Die Wachen salutierten und gaben den Weg frei, ohne ihn aufzuhalten. An der großen Pforte geleitete ihn ein Diener ins Innere des Gebäudes.

      Reich verzierte Wände mit Gemälden fesselten den Blick. Der Boden war aus glänzendem Stein, mit eingelegten Mosaiken. Kostbar glänzende, goldene und bronzene Vasen geleiteten Senenmut in den großen Saal des Palastes. Überall waren Statuen aufgestellt, die die Vorfahren Hatschepsuts in der Form der Götter darstellten. Pures Gold verkündete den Reichtum Ägyptens. Mächtige Säulen aus Stein trugen die Dachkonstruktion. Senenmut war fasziniert von der Fülle dieser Macht und Schönheit, die der Palast ausstrahlte. Er stand vor einer lebensgroßen Statue der Göttin Selket, der Skorpiongöttin. Sie war aus purem Gold. Ihre Augen waren mit Edelsteinen eingelegt und schienen zu leben. Mit ausgebreiteten Armen versprach sie Gesundheit und Schutz für die Bewohner des Palastes.

      „Gefällt sie dir?“ Senenmut zuckte zusammen. „Das ist das zweite Mal, dass du dich an mich heranschleichst!“ Er strahlte sie an. Sie war nahe an ihn herangetreten, ohne dass er sie bemerkt hatte.

      „Wenn du immer nur den ganzen Tag träumst, kann ich auch nichts dafür. Jedes Mal, wenn ich dich sehe, bist du mit deinem Geist woanders.“ Sie trat direkt auf ihn zu und küsste ihn. Er nahm sie in den Arm und drückte sich innig an sie. Sogleich wurde ihm bewusst, wo er sich befand und ließ sie erschreckt los.

      „Keine Angst, ich habe die Wachen vor den Eingang geschickt. Wir sind vollkommen allein. Ich habe dich so vermisst!“

      Sie schmiegte ihren Kopf an seine Brust.

      „Auch ich habe mich nach deiner Nähe gesehnt. Aber ich hatte so viel zu tun. Die Kornspeicher waren in einem entsetzlichen Zustand. Möge die Brut von Nef-Sobek auf ewig aus den Feldern von Iaru verbannt bleiben. Aber ich habe nicht einmal bemerkt, dass unsere