Rainer Kilian

Regen am Nil


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      Die Familie des Pharaos nahm Platz an der gedeckten Tafel. Der Pharao und sein Sohn schienen sehr glücklich zu sein. Aber Hatschepsut schien merkwürdig gedrückt. Ihre Blicke suchten ihn. Als sie ihn erblickte, waren ihre Augen fast flehentlich. Die Festgäste jubelten dem göttlichen Herrscher zu, aber Senenmut hatte ein ungutes Gefühl. Die Menge schien sich kaum zu beruhigen.

      „Heil dir, Pharao! Heil dir, Thutmosis!“, schrien alle in Ekstase. Thutmosis senkte mit einer beruhigenden Geste beide Arme und gebot, zu schweigen. Alles verstummte und wartete auf die Rede des Pharaos.

      „Bewohner von Theben! Volk von Ägypten! Gäste aus allen Provinzen! Freunde und Verbündete Ägyptens! Wir haben einen glanzvollen Sieg errungen. Die Götter waren mit uns. Amun hat uns geholfen, die Maat wieder zu festigen!“ Alle jubelten erneut. „Amun! Amun!“

      „Es war sein Wille, uns den Sieg zu schenken! Höret meine Worte! Es soll zum Jubel und Gedenken an den heutigen Tag Folgendes verkündet sein: Ich habe beschlossen, meinen Sohn als meinen Nachfolger zu erwählen. Und er wird eine starke Frau au seiner Seite haben. Die göttliche Linie der Pharaonen wird gesichert sein. Es ist der Wille der Götter, den ich hiermit verkünde! Er soll einst Herrscher über das rote und schwarze Land sein. Und wenn er die Krone der beiden Länder trägt, sollen ihm viele starke Nachkommen geboren werden. Ich gebe ihm mit dem heutigen Tag meine geliebte Tochter Hatschepsut zur Frau!“

      Senenmut gefror das Blut in den Adern. Er starrte entsetzt auf die Szene, die in dem frenetischen Jubel des Volkes unterging. Er musste sich am Tisch festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Er suchte den Blick von Hatschepsut, aber sie blickte aus leeren Augen in die Menge. Darum hatte sie so verzweifelt ausgesehen! Sie lächelte verkrampft und sah zur Mauer gegenüber. Wie von Weitem hörte er Alexandros sprechen.

      „Ein weiser Entschluss von Thutmosis. Er hat die pharaonische Linie erhalten. Die Götter haben es so gewollt.“ Senenmut hielt es nicht länger aus und versuchte dem grausamen Anblick zu entfliehen. Sie war so nah und doch nun für immer unerreichbar. Er murmelte eine Entschuldigung und entfernte sich aus dem Innenhof des Palastes. Ziellos floh er zum Ufer des Nils.

      Tränen der Verzweiflung standen in seinen Augen. Mitten in seinem größten Glück schien ihn dieses Unglück zu überfallen. Er sank kraftlos am Schilf nieder und setzte sich verzweifelt in den Ufersand. Er fühlte sich, als stürze er ins Bodenlose.

      Ihr Bild war in sein Herz unauslöschlich eingebrannt. Nie würde er jemanden anders lieben können als sie. Wie sollte er nur ohne sie leben können? Der Schmerz war so groß. Es wollte sein Herz zerreißen. Alle Momente, die sie gemeinsam erlebt hatten, zogen an ihm vorbei. Ihre Augen, ihr Gesicht so nah an seinem. Der Duft ihrer Haare und ihres Körpers. Ihre Zärtlichkeit, ihre Stimme, wenn sie ihm Worte ins Ohr flüsterte, die nur für ihn bestimmt waren. Die Momente, wenn sie zusammen lachten. Die Nächte voller Liebe. Sie in den Armen zu halten, sollte es nie mehr sein? Das konnte nicht der Wille der Götter sein, sonst hätten sie es nicht zugelassen, dass sie sich so nah gekommen waren. Sie hatten sie zusammen geführt und sich etwas dabei gedacht, davon war er überzeugt.

      „Gebt sie mir zurück, ich bitte euch um nichts anderes!“, flehte er die Sterne an. „Mein Leben hat keinen Sinn, wenn ich sie nicht mehr in den Armen halten kann. Ich bin nichts ohne sie!“

      Aber die Götter gaben ihm keine Antwort. Nur das undeutliche Geräusch der feiernden Menschen drang zu ihm aus dem Palast herüber. Er starrte auf die Fluten des Nils, der träge vorüberfloss. Er dachte daran, sich einfach hineinzustürzen. Das sollte das Ende ihrer Liebe sein? Die Maat wollte es so. Und er war so erzogen wie alle Ägypter, dem Willen des Pharaos zu folgen, dem Horus, dem leibhaftigen Gott.

      Ein Rascheln im Schilf schreckte ihn auf. Ein Krokodil? Ein Licht erschien, das von einer Öllampe gespeist wurde. Ein Geist? Jetzt war es Senenmut bewusst, dass er in der Nähe des geheimen Ganges war. Er verbarg sich hinter einem dichten Strauch Papyrus und beobachtete eine Gestalt, die sich vorwärts tastete. Im Schein der Lampe erkannte er ein Gesicht.

      „Hatschepsut! Ich bin es!“ Sie erschrak und ließ die Lampe beinahe fallen. Sie eilten zueinander und weinend sank sie in seinen Arm.

      „Welch ein Unglück für uns, Geliebter!“, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme. „Ich wusste es selbst nicht bis heute Abend. Mein Vater wusste, dass sein Sohn ein schwacher Mann ist. Also musste er uns vermählen, weil er die Zukunft Ägyptens retten muss. Er hatte keine Wahl. Ich liebe nur dich! Aber ich werde dem Willen der Götter folgen müssen.“

      „Bist du dir sicher, dass es der Wille der Götter ist, uns zu trennen? Ich glaube es nicht!“

      „Ich bin auch verzweifelt, Liebster. Ich kann auch nicht ohne deine Liebe leben. Aber wir dürfen den Zorn der Götter nicht auf uns ziehen. Wenn sie es gut mit uns meinen, werden sie uns wieder vereinen.“

      „Vielleicht gehe ich weg nach Iuni, meiner Heimat. Ich kann den Anblick nicht ertragen, wenn er dich anfasst.“

      Panik stand in ihren Augen. „Bitte gehe nicht! Ich vermisse deine Liebe ebenso und brauche dich! Senenmut, du weißt es, du bist mein wahrer Gebieter!“ Weinend bedeckten sie gegenseitig ihre Gesichter mit Küssen. „Ich muss zurück in den Palast, Liebster! Man wird mich suchen.“ Sie verabschiedete sich schnell von ihm und verschwand wieder im Tunnel.

      Senenmut blieb einsam mit seinen Gedanken am Nilufer zurück. Er war immer noch unglücklich über die Situation, aber solange er nur wusste, dass sie ihn liebte, hatte sein Leben noch einen Sinn.

       Die Legende

      Die Tage auf Ios vergingen auf einmal wie im Flug. Melina war daran nicht ganz unschuldig. Sie leistete mir Gesellschaft, wann immer es ging. Ich genoss ihre Anwesenheit. Ungeduldig saß ich morgens am Strand vor der Surfstation und wartete auf sie. Wir hatten uns zum Surfen verabredet. Sie war aber nicht erschienen und so schnappte ich mir missmutig das Surfbrett. Eigentlich war ich gar nicht so wild aufs Surfen, aber am Strand zu sitzen und nur zu warten machte mich irgendwie nervös. Auf dem Brett hatte ich wenigstens Ablenkung. Und so war mir der Meltemi zum Freund geworden. Ich hatte wieder Übung bekommen und freute mich auf die Böen, die mich vorwärts trugen. Noch dazu konnten wie so oft im Sommer die Fähren nicht so pünktlich fahren. Die Bucht war sozusagen frei für die Surfer.

      Nachdem ich so einige Zeit verbracht hatte, gesellte sich vom Strand her ein buntes Segel zu mir. Diese gekonnte Art kam mir bekannt vor. Mein Herz beschleunigte sich etwas, als ich sie erkannte. Wie selbstverständlich lenkte sie das Surfbrett mit einer Hand und winkte mir zu, als sie an mir vorüberglitt. Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen und winkte zurück. Im gleichen Moment lag ich im Wasser. Das Segel begrub mich unter sich und drückte mich unter die Oberfläche. Ich schluckte kräftig Salzwasser und kam prustend wieder hoch. Melina hatte seelenruhig eine Wende gemacht und kam zu mir gesurft. Elegant stoppte sie die Fahrt und bremste ihr Board ab.

      „Brauchen sie Hilfe?“, lachte sie mich an. Ich wusste nicht, ob ich mich ärgern oder freuen sollte.

      „Danke, es geht. Wo zum Teufel haben sie so gut surfen gelernt?“ Sie schmunzelte.

      „Ich bin hier aufgewachsen. Der Meltemi war mein Lehrer!“

      „Ein hervorragender Lehrer, wie ich meine.“

      „Danke für das Kompliment. Aber jetzt ist, glaube ich, nicht die richtige Zeit dafür.“ Sie deutete auf die Hafeneinfahrt, in der sich laut tutend eine Fähre bemerkbar machte. Wir schwangen uns auf unsere Bretter und nahmen Kurs auf den rettenden Strand. Das Training zeigte gute Erfolge, rasch erreichten wir schnelle Fahrt und lieferten uns ein Wettrennen, das sie natürlich gewann. Aber das war mir egal. Sie sah einfach zu gut auf dem Surfbrett aus. Wir legten die Segel am Strand ab und setzten uns in den Sand.

      „In zwei Tagen ist unser Inselfest. Ich hoffe doch sehr, dass Sie uns Gesellschaft leisten werden.“

      „Also offen gesagt, Noda hat mir das auch schon angedroht. Aber Ihre Einladung klingt irgendwie verlockender!“

      Sie lachte mich an. „Das ist schon