Minja, lass uns die Ballons genau angucken. Es geht los.“
Minja stimmte nickend zu und so schritten sie mit ihrer zweiten Bonbontüte zwischen all den staunenden Leuten hindurch. Sie hielten Ausschau nach einem vertrauensseligen Ballonführer, und als sie endlich einen entdeckt hatten, gingen sie schnurstracks auf ihn zu. Sein feuerroter Ballon sah aus der Nähe betrachtet, ziemlich alt und notdürftig zusammengeflickt aus.
„Ich bin doch nicht lebensmüde! Das Ding bekommt er doch niemals in den Himmel.“ Mellow verdrehte ungläubig seine Augen. Aber er ließ sich nicht entmutigen und fragte den einen oder anderen Ballonfahrer, ob er ihn denn mitnehmen könnte. Seine Bemühungen blieben erfolglos, denn keiner wollte ihn mit zu den Wolken nehmen. Abermals fragte er einen Ballonfahrer. Der drehte geschäftig am Regler seines Gasbrenners, überprüfte durch das Ziehen der Kordeln, ob die Gondel fest am Ballon vertäut war. Das dicke Seil war mit einem schweren Eisenpflock in den Boden eingeschlagen und verankert, hielt den Korb sicher auf der Erde. Doch auch er schüttelte nur seinen Kopf. Aber Aufgeben, niemals, das entsprach nicht Mellows Wesen. Unterschiedliche Ballons bereiteten sich für ihren aufsehenerregenden Flug in den weiten Himmel vor. Blaue und grüne, rote und gelbe, alte und moderne. Das Surren der Aufrüstgebläse, die sommerlichen Ventilatoren ähnelten, presste kalte Luft in die Hüllen, bis sie zu einer stattlichen Größe anschwollen. Unzählige Besucher verfolgten neugierig die bombastische Show. Die ersten Ballons stiegen bereits auf. Am unteren Ende des weitläufigen Geländes befand sich eine steinige Schlucht, die einstmals einen tosenden Fluss mit sich geführt hatte, mittlerweile aber ausgetrocknet war. Die prall gefüllten Ballons erhoben sich in die Lüfte, flogen über dem gähnenden Abgrund, und die begeisterten Menschen jubelnden zu den Körben hoch.
„Gut, dann hilft nur noch Plan B.“, entschloss Mellow kurzerhand.
Minja stupste ihn aufgeregt in die Seite.
„Weißt du denn schon, welchen du nehmen willst?“
Mellow zeigte auf einen großen blütenweißen Ballon, auf dem das Bild eines fliegenden Engels prangte.
„Ja klar. Jetzt geht es los. Das wird ein Spaß!“
Er grinste breit übers Gesicht, überreichte Minja die Bonbontüte und atmete tief durch, während er seine Beine und Arme zum Aufwärmen schüttelte. Das Luftgefährt war ganz in der Nähe und es dauerte nicht lange, da löste die Bodencrew das vertäute Seil vom Haken. In diesem Augenblick rannte Mellow los, geradewegs auf das herabstürzende Gefälle zu. Er preschte vor, mit all der Geschwindigkeit, die er aufbrachte, während der Ballon an Höhe gewann. Unausweichlich kreuzte der Abgrund seinen Weg, dennoch flitzte er zum baumelnden Seil. Der Ballonfahrer holte es Stück um Stück ein, bis es nur noch knapp über den Boden hing. Mellows Herz schlug wie verrückt. Er richtete seine Augen auf das untere Ende des Seils, dass die Schlucht nur noch wenige Meter entfernt vor ihm lag, nahm er kaum war. Beherzt griff er nach dem Seil, aber verpasste es um ein paar Zentimeter. Die Menschen wurden auf ihn aufmerksam und schrien hektisch los.
„Haltet den Jungen fest! Der ist doch verrückt. Gleich stürzt er in die Tiefe! Fangt ihn, sonst geschieht ein Unglück!“
Als Minja sah, dass Mellow dennoch unaufhaltsam weiter rannte, ließ sie die halbvolle Bonbontüte fallen und hielt vor Schreck die Augen zu. Im letzten Augenblick sprang er mit einem großen Satz vom sicheren Boden ab, die steinige Schlucht unter seinen wedelnden Beinen und streckte seine Arme aus, soweit er nur konnte. Er schnappte mit seiner Hand zu, erwischte mit aller Mühe das Seilende, und hielt sich am baumelnden Strang fest. Trotz des Schwungs schaffte er es, das Seil auch mit seiner zweiten Hand zu fassen. Mellow schaukelte unbeholfen in der Luft. Der Kapitän des Ballons wurde durch das Geschrei der vielen Leute neugierig und bemerkte, dass sein Korb wippte. Er blickte nach unten, sah Mellow hin und her pendeln und zog den Jungen mit den silbernen Haaren hastig nach oben. Als Mellow endlich im sicheren Korb war, schüttelte ihn der alte Mann kräftig durch.
„Mensch, Junge! Bist du denn komplett wahnsinnig? Was ist mit euch Kindern nur los.“, schrie er ihn an.
Mellow zuckte seine schmalen Schultern, war überglücklich, dass er mit seiner heilen Haut davonkam. Er stellte sich dem Ballonfahrer vor, doch der verstand aufgrund des tosenden Lärms kein einziges Wort. Mit Fingerzeichen machte er Mellow verständlich, dass sie jetzt unmöglich umkehren konnten. Das war ganz in Mellows Sinn, schließlich wollte er bis in die bauschigen Wolken fliegen und weit darüber hinaus. Der kalte Wind pfiff ihm gnadenlos um die Ohren. Das brennende Gas verursachte einen ohrenbetäubenden Krach, trotzdem genoss er den atemberaubenden Ausblick. Er ließ seine Sicht nach unten schweifen, wartete nervös auf seinen wichtigen Einsatz. Die Hügel, die Täler und die Berge waren aus der Höhe wunderschön anzusehen, und die Menschen wuselten wie kleinen Ameisen umher.
Mellow griff angespannt in seine Brusttasche. Der neugierige Kapitän tippte wortlos auf Mellows Jacke und verzog grinsend seine Mundwinkel, als er bemerkte, dass sich darin etwas bewegte. Mellow holte BigBig hervor, hielt ihn fest an sich gedrückt, bis sich vor ihm endlich eine große weiße Wolke auftat. Dicht vor dem gewölbten Wolkenberg warf Mellow seinen Eisvogel kraftvoll, wie einen Tennisball, durch die Luft. Dem flatternden BigBig hing der blaue Brief am zarten Beinchen fest. Er winkte BigBig nach und wünschte ihm viel Erfolg. Der kleine Briefbote flatterte angestrengt auf die Wolke zu. Mellow verfolgte nervös den Flug. Mit aller Mühe kämpfte BigBig dagegen an, dass der Brief ihn nicht in die bedrohliche Tiefe zog. Als er endlich in die Wolke eintauchte, blähte diese sich auf, und ein grünliches Flimmern überzog die weiße Oberfläche. Der Pilot rieb sich ungläubig die Augen, schüttelte den Kopf und tat es als Sinnestäuschung ab. Nur Mellow allein wusste, dass dieses wundersame Schauspiel tatsächlich stattfand, so wie der grünliche Blitz, der den Pfeil getroffen hatte. Mellow jubelte und schrie freudig in den Himmel, seine Anspannung löste sich. Den Rest des Fluges kam er aus dem Staunen nicht mehr raus und fand es jammerschade, als sie nach zwei Stunden zur Landung ansetzten. Noch bevor der Korb die Erde berührte, sprang Mellow mit einem riesigen Satz heraus. Er spurtete davon, so schnell ihn die Beine trugen, schließlich wollte er keinen Ärger mit den Beamten der Flugsicherheit riskieren. Denn ihm war klar, dass seine Großmutter ihm für alle Zeiten Hausarrest geben würde, wenn sie das rausbekam. Noch bevor ihn einer ergriff, verschwand er in die schützende Menge der jubelnden Menschen. Er rannte schnurstracks zu seinem Versteck. Minja wartete, hielt die Ungewissheit kaum aus. Angespannt lief sie kleine Kreise im Unterschlupf, naschte zappelig von der Schokolade. Mellow sprang aufgeregt die Treppen hinunter und stürzte in den Kellerraum. Er war so unter Strom, dass er nicht wusste, wo er mit seiner Erzählung anfangen sollte. Also platzte er einfach heraus. „Geschrien haben sie, die Leute. Ich habe die Menge tosen gehört. Irre, sag ich dir. Das war ein Ritt durch die Wolken. Ich dreh durch, es hat geklappt.“
Minja schob sich den Riegel süßer Schokolade ganz in den Mund
und bot Mellow etwas von dem leckeren Naschwerk an.
„Hattest du keine Angst, als du am Seil hingst und der Wind dich hin und her schleuderte?“, fragte sie schmatzend nach.
„Oh, doch. Für einen kurzen Moment drehte es mir gewaltig den Magen um und mir wurde schlecht.“, erwiderte Mellow und kugelte dabei überzogen seine Augen. „Sehr schlecht.“ Minja prustete vor Lachen.
„Egal, es ist geschafft. Und das ist das Wichtigste. BigBig war spitze. Er flog furchtlos in die Wolke und diese antwortete prompt mit einem grünlichen Flimmern.“
Minja blickte ihn stutzig an, aber Mellow, zufrieden mit seiner waghalsigen Leistung, stopfte sich ebenfalls einen Riegel in seinen Mund.
„Ic hahe es atsächlich gesaft.“, fügte er mit vollem Mund hinzu und tanzte durch das Zimmer. Minja schlug ihm aufgeregt auf den Rücken.
„Mellow, du bist der Beste und ziemlich verrückt.“
In dieser Nacht des Triumphes fielen so unglaublich viele Sternschnuppen vom Himmel, dass Mellow das Zählen aufgab, da es unmöglich für ihn war, im glühenden Schnuppenregen den Überblick zu behalten. Es verschlug ihm die Sprache.
Am nächsten Tag, Aurilia war schon auf den Beinen, sie bereitete wie meist das Frühstück vor, bummelten Minja und Mellow müde aus dem Zimmer. Nachdem