Catrina Balis

Löwenschwester


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euch beide mal alleine und sehe mal nach Drake. Der kippt schon wieder einen Martini nach dem anderen.« Ehe ich mich versehe, hat die tanzende Menge Damien verschluckt.

      »Vielleicht sollten wir nach nebenan gehen. Da ist es etwas ruhiger.« Sie gibt mir zu verstehen, ihr zu folgen. Wobei ich vorhin schon feststellen musste, dass ich die Musik eigentlich allgemein lauter erwartet hätte.

      »Wie findest du die Party?«, fragt sie mich.

      »Ganz gut. Ich gehe nicht so oft weg. Sollte ich aber öfter tun.« Und Wodka Cola light trinken, mich befreien. Und alles vergessen.

      »Das hört man doch gerne. Ich bin ja von der ganzen Idee gar nicht so begeistert«, gibt sie schließlich zu.

      »Welche Idee?«

      »Na in meinen Geburtstag reinzufeiern. Ich bin kein Partytyp, aber sag das mal meinem Schwesterherz.« Sie lacht.

      »Du bist also wirklich Suzan, ja?«, frage ich sicherheitshalber. Sie nickt grinsend.

      »Ja. Aber alle nennen mich Suzie. Oder Sue. Such dir etwas aus.« So hatte ich mir Madison Rolands ältere Schwester eigentlich nicht vorgestellt. Eher einen Kopf größer und sportlicher. Eben wie Maddie selbst.

      »Naja, ich feiere nicht so gern.« Suzan wendet den Blick ab und schaut auf die Tischplatte.

      »Ist Damien dein Freund?« hake ich nach, ohne darüber nachzudenken. Was macht dieses Getränk aus mir? Und wie kannst du diese Frage nur so frei von der Leber weg stellen, Helena?

      »Damien? Oh Gott, nein, nicht Damien! Aber sein Bruder. Drake. Deshalb ist er doch überhaupt hier. Weil Maddie und Drake die ganze Partysache eingefädelt haben.« Suzan lacht sich schlapp. Ich kann mir allerdings nicht erklären wieso, kann den Witz nicht finden. »Ohne Drake wäre er wahrscheinlich gar nicht hier. Das ist genauso wenig sein Ding wie unseres.«

      »Ich dachte nur. Hätte ja sein können.«

      »Nein, nein. Damien ist schon lange überzeugter Single. Der interessiert sich echt für keine. Aber woher kennt er dich eigentlich?« Ich berichte Suzan die Fahrradgeschichte, und dass ich an diesem Tag ebenfalls Geburtstag hatte, woraufhin sie mich in den Arm nimmt und mir herzlich gratuliert. Das alles geht so schnell, dass mir die Zeit fehlt, vor ihr zurückzuweichen. Wir unterhalten uns noch über dies und das und setzen uns später an die Bar. Ich beschließe jedoch, dass es für heute genug Erfahrungen waren und ich nicht noch betrunken sein muss, weshalb ich mir eine normale Cola light bestelle – ohne Wodka. Suzan dagegen trinkt sich durch die halbe Cocktailkarte, aber die alkoholfreie, woran sie mich immer wieder erinnert. Weil sie zu verantwortungsbewusst ist und keinen Alkohol anrührt. Sie ist allgemein sehr gesprächig, erzählt mir von Maddie und ihrem Studium. Ich bin so viel Offenheit und Kontaktfreude von anderen Menschen überhaupt nicht gewöhnt. Auf einmal wird die Musik auf ein Minimum reduziert.

      »Hallo? Ist dieses Mikro an? Hiihiihii« Maddie steht in der Mitte eines Halbkreises aus Menschen, der sich ganz von selbst gebildet hat. Erst nachdem sie dreimal mit der Handfläche auf das Mikrofon geschlagen und ein unangenehmes Geräusch erzeugt hat, redet sie weiter.

      »Alle wissen ja, dass das heute hier Suzans großer Tag ist. Weshalb ich sie augenblicklich zu mir bitte!« Madison betont das Adjektiv so stark, als würde Suzan bei Verweigerung in großer Gefahr schweben. Diese bewegt sich nur widerwillig von ihrem Platz neben mir an der Bar weg und stellt sich neben ihre Schwester. Halbschwester, auch das hat sie mir erzählt. Als Damien auf einmal wieder neben mir auftaucht, bleibt mir - augenblicklich- die Luft weg.

      »Die arme Suzie.« Ich lächele ihn nur ungläubig an.

      »Also, meine liebe Suzan«, beginnt Madison. »Es ist gleich Mitternacht und deshalb setze ich dir jetzt diesen Hut auf.« Alle applaudieren, als Maddie ihrer Schwester eine große Geburtstagstorte aus Plüsch, auf der eine Zwanzig an einer Feder hin und herschwingt, auf den Kopf setzt. Ich klatsche allerdings nicht. Weil Damien es auch nicht tut.

      »Und jetzt ... Bill, machst du bitte mal den Beamer an ... COUNTDOWN!«, trällert Maddie und an der Wand hinter ihr erscheint eine übergroße Uhr. Suzan tut mir wirklich leid. Sie steht da vor den ganzen Menschen, die nur sie anschauen. Ab und zu holt sie tief Luft, die sie dann schwer wieder ausatmet.

      Zehn, neun, acht.

      Ich muss erschrocken feststellen, dass Madisons Stimme noch kreischender ist, wenn sie angetrunken ist und damit auch noch unerträglicher.

      Drei, zwei, eins.

      Mit einmal bricht ein lautstarkes Jubeln aus. Alle stürzen auf Suzan zu, umarmen sie, gratulieren ihr. Ein paar Jungs heben sie hoch, feiern sie wie den größten Star dieser Welt. Ich stehe nur am Rand und schüttele innerlich den Kopf. Nur zu gut kann ich mir vorstellen, wie unangenehm Suzan das sein muss, fühle mit ihr. Aber da muss sie durch. Mir fällt mein eigener Geburtstag wieder ein und fast verfalle ich in meine gewohnte, depressive Stimmung. Doch die Realität ist auf einmal da und stützt mich, als sei ich gerade beinahe ohnmächtig geworden.

      Zeit vergeht. Die anfängliche Euphorie verläuft sich wieder, als die Masse auseinandergeht.

      Es wird später. Maddie hat den Karaokeabend eröffnet, hat Suzan gezwungen, mit ihr ein Duett zu singen. Ich stehe immer noch an der Bar, trinke eine Cola light nach der anderen, als das Geburtstagskind plötzlich wieder neben mir auftaucht.

      »Ich bringe Madison irgendwann um!« Daraufhin bestellt sie erst einmal knallhart eine Apfelschorle.

      »Du bist auch kein Partymensch, oder?« Ich schüttele den Kopf. Nein, aber dabei bin ich doch heute schon wirklich gut drauf!

      »Wie lange geht die Feier eigentlich?«, frage ich, weil es mittlerweile schon nach zwei ist und ich müde werde. Und weil ich gern wissen möchte, wie lange ich noch ohne große Erklärung wegbleiben kann.

      »Weiß nicht. Ich gehe generell um drei Uhr nach Hause, weil Drake nie viel länger durchhält. Hast du mal beobachtet, was der in sich reinkippt, wenn die Nacht lang ist?« Sie lacht, ich schüttele den Kopf.

      »Ich denke, ich gehe dann auch. Wobei ich gar nicht weiß, wie ich nach Hause kommen soll.« Ich habe einen Plan. Der ist ganz plötzlich in meinem Kopf. Ohne Ursprung. Ohne Zusammenhang. Mein Unterbewusstsein leistet gute Arbeit. Und Suzan springt tatsächlich darauf an.

      »Also wenn du willst, kannst du auch bei uns übernachten. Das Gästezimmer ist frei und Maddie kennst du ja ein bisschen besser.« Ich bin gerettet. Fast zwanzig Stunden keinen Gedanken an den Hammer, der langsam zur Axt geschliffen wird.

      »Wenn das geht ... ich meine, meine Eltern würden mich zwar auch abholen, aber das dauert halt ...« Suzan strahlt mich an.

      »Du kommst mit, Helena. Ich kenn dich zwar seit ungefähr zwei Stunden, aber du scheinst irgendwie die einzig normale Person hier zu sein ... und die Einzige, die nicht betrunken ist!« Dann wäre das ja geregelt. Ich bin ... zufrieden, nahezu glücklich. Für einen kurzen Moment ohne Blut und Zeichnungen auf meiner Seele. Ich bin frei für diese Nacht, bin ein ganz normales Mädchen. Ich werde akzeptiert, gehöre auf fast schon skurrile Weise zu einer Gruppe dazu, die Interesse an mir als Person zeigt. Nicht als Gegenstand, nicht als Schatten, den keiner sieht, vor dem sich aber trotzdem alle erschrecken. Ich bin Helena und ja! Es geht mir gut! Suzan packt plötzlich meinen Arm und zieht mich auf die Tanzfläche. Aber am Ende stellen wir uns doch wieder an die Wand und reden. Weil wir die Einzigen sind, die das noch können, ohne zu lallen.

      Ich gehe mit Suzan allein nach Hause, unbehaglich und gar nicht mehr so gut gelaunt. Wir sind nur zu zweit, weil Damien seinen Bruder mit zu sich genommen hat, damit Suzie in ihrer Geburtstagsnacht ruhig schlafen kann. Ganz offensichtlich hat der einen über den Durst getrunken. Meiner Mutter habe ich eine kurze Nachricht geschickt und Tyler einen winzigen, schadenfrohen Gedanken: Du kriegst mich nicht, nicht heute Nacht.

      Ich bin sechzehn. Ich bin schon groß und in einigen Dingen stärker, als ich mir selbst eingestehe. Wenn ich will, kann ich kämpfen. Ich habe schon Dinge gesehen, die niemand kennt. Weil Geheimnisse Schnittwunden hinterlassen. Ich bin