Thomas M Hoffmann

Blutgefährtin 2


Скачать книгу

war. Heute ist das anders. Wohl aus Höflichkeit gegenüber den Menschen scheinen sich alle hier über Worte zu verständigen und das macht sich bemerkbar. Kaum haben wir den Saal betreten, wendet sich Madame Lorraine an Pierre.

      «Würdest du erlauben, dass ich Trish ein paar Augenblicke entführe, Pierre? Seit ich sie zuletzt gesprochen habe ist so viel passiert und ich bin neugierig.»

      «Wenn es dir Recht ist, Trish, dann schaue ich mich ein wenig um und versuche etwas von dieser neuen Gruppe zu erfahren.»

      «Solange du hier im Saal bleibst, habe ich nichts dagegen» erwidere ich.

      Pierre nickt und wendet sich nach links, während Madame Lorraine mich zu einem Diener zieht, der Champagner auf eine Tablett anbietet. Ich nehme mir ein Glas, während mich Madame Lorraine mit ihrem scharfen Blick mustert.

      «Du hast dich wirklich sehr gut entwickelt, Trish. Nicht nur, dass es Pierre prächtig geht, wie ich höre. Aber Nichte der Auserwählten, das ist schon ein Ding. Warum hast du mir damals nichts davon erzählt?»

      «Weil ich es selbst nicht wusste, Madame Lorraine.»

      «Komm, komm, ich bin Germaine. Du bist jetzt eine bedeutende Frau, Trish. Ich glaube mit Recht sagen zu können, dass du der wichtigste Mensch in der Vampirgesellschaft bist. Louis hätte dich sonst nicht so direkt angesprochen. Aber jetzt erzähl doch mal, was damals wirklich vorgefallen ist. Ich habe nur verschiedene Gerüchte und Berichte aus zweiter Hand gehört.»

      Irgendwie ist es ein gutes Gefühl, von einer Person wie Madame Lorraine für so wichtig genommen zu werden, aber bevor ich erzählen kann, erscheint Louis, klopft mit einem Löffel gegen ein Glas und das Stimmengewirr erstirbt. Er hält eine kurze Ansprache, in der er wiederholt, wozu dieser Empfang dienen soll, stellt explizit Pierre als Vertreter der Auserwählten vor und wünscht allen Beteiligten viel Vergnügen und gute Gespräche. Ich bin froh, dass er mich nicht ebenfalls in den Vordergrund geschoben hat, bei so vielen mächtigen Vampiren wäre mir das unangenehm gewesen.

      Als sich das Stimmengewirr wieder erhebt, wende ich mich Germaine zu und beginne, die Ereignisse von damals zu rekapitulieren. Germaine hört intensiv zu und stellt nur ab und zu eine Frage. Ich beende meinen Bericht meinerseits mit einer Frage.

      «Was hat es denn mit dieser neuen Gruppe um Madame Leblanc auf sich? Was haben sie denn gegen Pierre?»

      «Früher war Pierre unwichtig, ein Einzelgänger. Daher hat sich niemand darum geschert, wo er wohnt. Aber jetzt ist er Mitglied im Clan der Auserwählten und der Tod von Gregori hat gezeigt, wie stark deine Tante ist. Madame Leblanc benutzt diesen Umstand, um Einfluss zu gewinnen.»

      «Also geht es ihr gar nicht um die Sache an sich, das ist alles nur vorgeschoben.»

      «Möglich, aber sie vertritt ihren Standpunkt recht überzeugend. Daher ist sie auch zu einem Machtfaktor in der französischen Vampirgesellschaft geworden. So wie ich das einschätze, kann Louis gezwungen werden, deine Tante zu bitten, ihren Clan Standort hier in Frankreich aufzulösen.»

      «Und was soll das heißen?»

      «Eigentlich nur, dass Pierre nach San Diego oder wo immer deine Tante ihren Clan beheimaten will, hat umziehen müsste.»

      Ich verziehe das Gesicht.

      «Ich kann aber nicht nach San Diego umziehen, solange mein Großvater lebt.»

      «Wo du wohnst ist gleichgültig. Es geht hier ausschließlich um Pierre.»

      «Ich bin seine Blutgefährtin. Wo Pierre hingeht, werde ich auch hingehen.»

      Germaine lächelt leicht.

      «Das ehrt dich, Trish. Ich hoffe immer noch, dass es nicht so weit kommt. Komm, lass uns mit ein paar der anderen langjährigen Gefährten sprechen.»

      Während ich mich von Germaine durch diesen Empfang führen lasse, stelle ich fest, dass trotz der Liberalisierung immer noch keine Gleichheit zwischen Vampiren und Menschen erreicht ist. Die jeweiligen Gruppen bleiben fast nur unter sich. Zwischen einer theoretischen Gleichheit und einer tatsächlich gelebten Gleichheit ist eben noch ein gewaltiger Unterschied. Bei manchen Vampiren kann ich spüren, wie sie mich scharf ins Auge fassen, vermutlich weil sie wissen, wer ich bin. Aber ich bemühe mich, meine Augen zu senken und niemanden zu provozieren.

      Ich bekomme auch Madame Leblanc zu Gesicht, eine schlanke, ernst dreinblickende Vampirin, die einen gewissen Hochmut ausstrahlt. Sie redet gerade mit Pierre, allerdings ohne Worte zu benutzen. Das zeigt bereits, welche Einstellung sie hat. Ich will die Diskussion nicht schwierig machen, indem ich mich aufdränge, also wende ich mich wieder der Gruppe der langjährigen Blutgefährten zu.

      Germaine ist dabei die weitaus älteste. Die meisten sind nur wenige Jahre älter als ich, manche sind so Mitte vierzig. Seit Gregori getötet wurde, ist auch die Gruppe der Menschen nicht mehr zweigeteilt. Bei jenem ersten Empfang damals musste man als Mensch aufpassen, nicht mit den falschen Gefährten zu reden, sonst konnte man der Spionage bezichtigt werden. Eigentlich ist die Situation in Frankreich durch den Tod von Gregori unter der Führung von Louis viel besser geworden.

      Wir Menschen diskutieren ganz zwanglos verschiedene allgemeine Themen, nur menschliche Politik ist so gut wie nicht darunter. Eigentlich ist das komisch, denn wir sind ja Menschen, aber wenn man mit der übernatürlichen Welt verbunden ist, dann werden die Unterschiede zwischen menschlichen Gruppen irgendwie unbedeutend. Wieso sollte es denn wichtig sein, ob die Sozialisten oder die Konservativen im Elysee-Palast regieren, wenn wir wissen, dass die eigentlichen Herren dieser Welt die Vampire sind. Was interessieren uns die Gesetze zu Familienplanung, zur Arbeitslosigkeit oder zur Ausländerintegration, wenn wir sowieso keine Kinder bekommen können, von unseren Vampiren versorgt werden oder mit Werwölfen und Gestaltwandlern noch wesentlich fremdere Wesen kennen, als Afrikaner oder Asiaten.

      Vampirische Politik wird allerdings auch nicht diskutiert, denn die ist Sache der Vampire. Nur Germaine hat hier einen Einfluss, der von Bedeutung ist. Aber ich habe das Gefühl, dass die meisten Menschen ihrer neuen Bedeutung in der Gesellschaft noch nicht trauen. Sie sind es nicht gewohnt, sich in die Angelegenheiten der Vampire zu mischen und haben es daher wohl verlernt, sich darum zu bemühen.

      Etwas anderes, das ich feststellen kann, ist, dass meine Beziehung zu Pierre auch etwas Besonderes ist. Viele Blutgefährten sind ihren Partnern in Liebe zugetan, aber so gleichberechtigt, wie Pierre meine Wünsche berücksichtigt, macht das fast keiner der Vampire. Erst aus diesem Kontrast heraus kann ich ermessen, wie sehr Pierre mich achtet und liebt. Unwillkürlich setze ich mich von den Menschen ab und suche die Nähe von Pierre. Ich mische mich nicht in seine Gespräche ein, aber kaum stehe ich neben ihm, fühle ich seine Hand auf meiner Hüfte.

      Ich weiß nicht genau, wieviel Zeit bereits vergangen ist, als Louis ein Zeichen gibt. Bei jeder Vampirparty ist der Programmpunkt „Festessen für die Vampire beginnt“ fest eingeplant. Da Vampire nur eines als Essen akzeptieren und das Trinken von Blut immer mit gewissen intimen Handlungen verbunden ist, ist dieser Programmpunkt ein wenig delikat. Aber wie in einer vornehmen Gesellschaft üblich, hat man für jeden Geschmack etwas vorgesehen. Da ich keinerlei Lust habe, an einer wilden Orgie teilzunehmen, ziehe ich mich mit Pierre in eines der bereitstehenden Zimmer zurück.

      6. Der Anschlag

      Zufrieden schmiege ich mich an Pierre. Ich fühle mich müde und würde am liebsten einschlafen, aber so viel Zeit haben wir nicht. Also bleibt mir nur ein Moment der Träumerei. Ich kann gar nicht beschreiben, wie verrückt ich nach diesem Mann bin. Es ist egal, ob das die normalen, menschlichen Dinge sind, wie wenn ich ihm bei seinem Shop helfe oder wie wenn wir über die besten Methoden diskutieren, unsere Weinstöcke zu pflegen, oder die eher speziellen Momente, wie die körperliche und intime Nähe. Ich fühle eine so tiefe Verbundenheit mit ihm, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass das jemals endet. Natürlich weiß ich, dass ich alt werde und Pierre nicht, aber das wird sich erst in ein paar Jahren bemerkbar machen. Warum sollte ich schon jetzt darüber nachdenken?

      Ich denke an das zurück, was mir Germaine damals gesagt hat, dass