Thomas M Hoffmann

Blutgefährtin 2


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Pierre, wenn er mich nicht hätte, in eines dieser machtgierigen, mordlüsternen Monster verwandeln würde, die ich in der Vampirgesellschaft schon zu oft gesehen habe. Er ist einfach nicht so, aber trotzdem gefällt mir die Vorstellung, Trish, die Wächterin des Guten, die Beschützerin der ahnungslosen Menschen zu sein. Unwillkürlich muss ich lächeln, eine schöne Vorstellung.

      Doch dann fällt mir wieder die Tatsache ein, dass ich alt werde. Wie viele Jahre mir wohl noch bleiben? Irgendwann muss ich eine Entscheidung treffen, will ich mich verwandeln lassen oder will ich ein Mensch bleiben? Eigentlich will ich nicht sterben, das Einzige, was mich davon abhält, schon jetzt den Weg in die übernatürliche Welt zu suchen, ist meine Sehnsucht nach Pierre. Würde ich zum Vampir, bräuchte ich einen menschlichen Partner, von dem ich leben könnte und Pierre müsste sich eine andere Frau suchen. Das will ich nicht, er gehört mir und ich werde ihn niemals teilen. Nicht nur ich binde Pierre an seine Menschlichkeit, Pierre bindet mich seinerseits an meine Menschlichkeit. Und so soll es auch bleiben.

      Ich muss doch an den Rand des Schlafes geraten sein, denn plötzlich schrecke ich hoch, weil mich jemand vorsichtig über das Gesicht streichelt.

      «Es ist Zeit», meint Pierre mit sanfter Stimme.

      Ich schaue ihn kurz an, wie er mich mit lächelnden, liebevollen Augen ansieht, und ergreife dann Besitz von seinem wundervollen Mund. Wie gut, dass wir den intimen Teil schon hinter uns haben, sonst wären wir mit Sicherheit nicht aus dem Bett und zu spät gekommen. Lachend löst sich Pierre.

      «Trish, du böses Mädchen. Es gehört sich nicht, seine Gastgeber warten zu lassen, nur weil du nicht genug bekommen kannst.»

      Ich boxe ihn gegen den Arm, wie immer ohne jeden sichtbaren Erfolg.

      «Dazu gehören aber immer zwei und ich habe das Gefühl, dass du bei einer Verzögerung auch mitwirken würdest.»

      «Bevor ich mich schlagen lasse», murmelt Pierre und nähert sich für einen weiteren Kuss. Doch da hat er die Rechnung ohne mich gemacht. Wenn ich ihn jetzt erneut küsse, komme ich nie raus. Also tauche ich unter ihm weg und schlüpfe aus dem Bett.

      «Du benimmst dich wie ein frischverliebter Jugendlicher. Wie alt bist du jetzt? 87? Da solltest du wissen, dass man seinen Gastgeber nicht warten lässt.»

      Ich versuche, vorwurfsvoll zu klingen, aber irgendwie gelingt mir das nicht angesichts der hochgezogenen Augenbrauen von Pierre. Eigentlich sind seine Augen sowieso verführerisch und wenn er diesen Gesichtsausdruck aufsetzt, dann könnte ich wirklich schwach werden. Mit einem Ruck wende ich mich ab und dem Waschbecken zu. Einer muss schließlich vernünftig sein. Nachdem ich mich ein wenig frisch gemacht, meine Haare geordnet und mich angezogen habe, drehe ich mich wieder zu Pierre und lande genau in seinen Armen. Er ist inzwischen ebenfalls aufgestanden, hat sich zurechtgemacht und nur darauf gewartet, dass ich fertig werde.

      «Aufgeschoben ist nicht aufgehoben», flüstert er mir ins Ohr, dass mir ein Schauder über den Rücken läuft.

      «Versprochen?» flüstere ich zurück.

      «Versprochen», sagt er und gibt mir einen Kuss.

      Mit einem Lächeln hake ich mich bei ihm ein und wir verlassen zusammen das Zimmer. Der Saal für den Empfang befindet sich auf der linken Seite den Gang runter, also wenden wir uns dorthin. In dem Augenblick, in dem wir fast die Tür des Saales erreicht haben, ertönt ein Schrei hinter uns, der so voll ist von Grauen und Verzweiflung, dass es mir kalt den Rücken herunter läuft.

      Wir wirbeln beide herum, um zu sehen, woher der Schrei gekommen ist. Genauso ergeht es anderen auf dem Gang, denn inzwischen haben die Gäste begonnen, ihre Räumlichkeiten zu verlassen. An einem Durchgang, etwa drei Türen jenseits des Zimmers, in dem wir uns aufgehalten hatten, entsteht eine merkliche Unruhe, ein Mann fängt dort an zu schluchzen und zu rufen, offensichtlich in allerhöchstem Entsetzen. Ich blicke zu Pierre, dessen Gesicht plötzlich verhärtet ist, mein Herz klopft heftig, meine Muskeln verkrampfen.

      Was ist dort passiert? Pierre scheint sich nicht rühren zu wollen, also ergreife ich die Initiative und eile vorwärts, vorbei an Menschen oder Vampiren, die offensichtlich nicht genau wissen, wie sie sich angesichts der Situation verhalten sollen. Pierre ruft etwas, aber ich ignoriere ihn, jemand weint und klagt und ich habe bislang keinen Vampir getroffen, der sich so verhält. Also muss es ein Mensch sein.

      Der Durchgang, an dem all die Unruhe entstanden ist, ist der Eingang zu einem weiteren Zimmer. Ich dränge mich zu dem Eingang, der durch verschiedene Personen blockiert ist. Kaum habe ich freie Sicht, bleibe ich ebenfalls geschockt stehen, die Hände vor den Mund geschlagen, um nicht aufzuschreien. In dem Zimmer liegt eine Mumie, ein Toter oder eine Tote, die aussieht als wäre sie bereits über 100 Jahre tot. Ich kenne diese Art von Mumien, das da war ein Vampir gewesen. Und da seine sterblichen Überreste zu sehen sind, kann das nur eines bedeuten. Er oder sie wurde von einem anderen Vampir getötet, getötet durch Aussaugen.

      Vor der Mumie hockt ein Mensch, ein Mann, die Stirn auf den Boden gelegt, in allergrößter Verzweiflung weinend. Ich kenne den Mann flüchtig, er ist einer aus dem Bekanntenkreis von Germaine, er war heute in unserer Gruppe mit dabei, hat aber nicht viel gesagt. Seine Vampirin ist Schatzmeisterin bei Louis. Nur sein Name will mir nicht einfallen. Seine Vampirin ist Schatzmeisterin? Nach dem, was ich sehen kann, war sie die Schatzmeisterin, denn offensichtlich ist diese Mumie der Überrest seiner Vampirin. Ich habe sie vor gar nicht einmal zwei Stunden noch auf dem Empfang gesehen.

      Grauen erfüllt mein Herz. Eben noch war sie eine lebendige, freundliche Vampirin gewesen, eingebunden in eine feste Beziehung zu ihrem Blutgefährten, der sie offensichtlich von ganzem Herzen geliebt hat. Und jetzt ist sie tot, getötet von wem auch immer. Der grausamen Welt der Vampire zum Opfer gefallen, so wie es vor eineinhalb Jahren auch Pierre fast ergangen wäre. Ich kann die Trauer dieses Mannes nachempfinden, wenn Pierre so vor mir läge, dann wäre ich nicht bloß traurig, ich wäre zerstört.

      Ich kenne den Mann nicht wirklich, aber es erfasst mich eine Traurigkeit, als hätte ich ihn und seine Vampirin schon lange gekannt. Keiner der Umstehenden scheint sich rühren zu wollen, also trete ich nach vorne, knie neben dem Mann nieder und lege ihm eine Hand auf die Schulter. Ob ich irgendetwas sagen soll? Mir fällt nichts ein, deshalb schweige ich. Der Mann scheint durch seinen Schmerz hindurch meine Berührung wahrzunehmen und richtet sich auf. Sein tränenüberströmtes Gesicht wendet sich mir zu, er schaut mich an, als wäre alle Kraft aus ihm entwichen. Ich bin mir nicht sicher, ob er mich erkennt, aber ich finde es wichtig, dass jemand bei ihm ist.

      Plötzlich werden seine Augen groß, sein Gesicht verwandelt sich in Sekundenbruchteilen von mutloser Trauer in grenzenlose Wut. Bevor ich überhaupt begreife, was vor sich geht, schießen seine Hände vor, packen mich am Hals und ich werde von seinem Gewicht zu Boden geworfen. Er wirft sich auf mich, fängt an zu schreien.

      «Warum? Warum habt ihr sie umgebracht? Was hat sie euch getan, dass ihr sie töten musstet? Sprich endlich, sag es mir. Warum, warum nur?»

      Seine Finger drücken mir die Luft weg, Panik schießt durch meinen Körper, ich kann nicht mehr atmen, geschweige denn etwas sagen. Verzweifelt zerre ich an seinen Fingern, aber gegen seine wahnsinnige Wildheit komme ich nicht an. Die Welt fängt an sich zu drehen. Luft! Ich muss Luft holen. Mit aller Kraft versuche ich zu atmen, aber seine Finger drücken unbarmherzig zu. Er schreit weiter wie ein Verrückter.

      Dann ist das Gewicht plötzlich weg, seine Finger lösen sich von meinem Hals und ich kann endlich keuchend Luft holen. Ich muss ein paar Mal tief ein- und ausatmen, bevor ich in der Lage bin zu begreifen, was eigentlich vor sich geht. Pierre steht schützend vor mir, er hat den Mann von mir gerissen und zur Seite gestoßen, so dass er an der Wand zusammengesackt ist, immer noch wimmernd.

      «Warum, warum nur?»

      Keuchend und voller Entsetzen starre ich ihn an. Was hat er? Warum hat er mich angegriffen? Ich kann nur vermuten, dass der Schmerz ihn wahnsinnig gemacht hat. In diesem Augenblick drängt sich jemand nach vorne, den ich als Jean erkenne, der Vampir von Germaine. Er bleibt einen Moment stehen, um die Lage zu erfassen. Dann kniet er bei der Mumie nieder und untersucht sie. Was immer seine Erkenntnisse sind, sein Blick