Thomas M Hoffmann

Blutgefährtin 2


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Sorrano?»

      Die Stimme des Vampirs ist beherrscht und sachlich, er ist jemand, der auch in kritischen Lagen die Nerven behält. Er muss seine Frage noch einmal wiederholen, bevor der Mann, der offensichtlich Sorrano heißt, reagiert. und seinen leeren Blick Pierre zuwendet.

      «Er. Er war es. Aber ich weiß nicht warum.»

      Der Schock durchfährt mich wie ein Blitz. Wie kommt er dazu, Pierre zu beschuldigen? Pierre war die ganze Zeit bei mir, diese Behauptung ist eine glatte Lüge. Ich öffne meinen Mund, um ihm zu widersprechen, aber Pierre ist schneller.

      «Das ist eine Lüge. Ich war die ganze Zeit hindurch mit meiner Blutwirtin zusammen in unserem Ruheraum. Ich habe diese Vampirin kaum gekannt und heute auch nicht direkt mit ihr gesprochen.»

      Jean blickt uns nachdenklich an und wendet sich dann wieder Sorrano zu.

      «Hast du irgendwelche Beweise für deine Behauptung?»

      Sorranos Gesicht ist inzwischen wieder von Wut verzerrt.

      «Als Yvonne das Zimmer verließ hat sie gesagt, dass sie sich mit dem Gesandten treffen wolle, um eine geschäftliche Angelegenheit zu klären. Hier gibt es nur einen Gesandten und das ist der da.»

      Die Menge um uns herum hat dem Geschehen bisher lediglich zugeschaut, aber nach diesen Worten schlägt die Stimmung plötzlich um, es sind gemurmelte Kommentare zu hören, die ich kaum verstehe, aber der Tonfall ist nicht freundlich. Mehrere Vampire drängen sich nach vorne, darunter einer, den ich nicht kenne, der jetzt das Wort ergreift.

      «Was willst du wegen dieses ungeheuren Mordes unternehmen Jean? Ein Mitglied unserer Gemeinschaft ist von einem wie dem da getötet worden.»

      Jean erwidert diese Anschuldigung vollkommen ruhig.

      «Es gibt keine Beweise dafür, dass Pierre der Täter ist.»

      Damit deutet er an, dass das Wort von Pierre schwerer wiegt als das Wort eines Menschen, wie Sorrano. Zum ersten Mal bin ich froh über diese Diskriminierung in der vampirischen Gesellschaft. Doch das scheint die anderen nicht zu stören. Manche fangen an zu schieben, noch mehr Unruhe entsteht, einige Rufe ertönen.

      «Diese Amerikaner wollen uns doch nur beherrschen.»

      «Einen Mord zu begehen. Das darf nicht ungestraft bleiben.»

      «Eine solche Tat verdient den Tod.»

      Ich merke, wie Pierre sich versteift. Er packt mich, schiebt mich zur Wand und stellt sich schützend vor mich. Mein Herz schlägt bis zum Hals, der immer noch schmerzt, bestimmt sind Sorranos Fingerspuren dort deutlich zu sehen. Gegen diese Meute haben wir keine Chance. Vier, fünf Vampire haben sich vor uns aufgebaut und starren uns feindselig an. Fäuste sind geballt, einige Augen blitzen gelb. Jeden Augenblick können sie uns angreifen.

      Pierre geht in Verteidigungshaltung, er wird bis zum Letzten kämpfen. Ich selbst kann nichts zu unserer Verteidigung beitragen, noch nicht einmal mein Vampirjäger Messer habe ich dabei. Jede Bewegung kann einen Angriff provozieren und so stehen Pierre und ich stocksteif. Gibt es denn nichts, was wir tun können? Pierre scheint dieselben Gedanken zu haben, er hält seinen Vampir noch unter Kontrolle.

      «Wir haben Madame Delon nicht getötet. Wer immer mit diesen Gesandten gemeint war, wir sind es nicht.»

      Pierres Stimme ist vollkommen ruhig, ich habe immer an ihm bewundert, wie sehr er sich in problematischen Situationen beherrschen kann. Normalerweise wenigstens. Damals vor eineinhalb Jahren, als Gregori mich angriff, da hatte er sehr unbeherrscht reagiert und war deshalb fast getötet worden. Doch jetzt ist die Lage so aussichtslos, dass selbst die Tatsache, dass ich bedroht bin, nicht ausreicht, Pierre zum Kampf zu zwingen. Langsam rücken die feindlichen Vampire näher, sie knurren und zischen. Da baut sich Jean vor uns auf und herrscht die anrückenden Vampire an.

      «Wie könnt ihr es wagen, das Wort eines Vampirs in Zweifel zu ziehen. Diese stehen unter dem Schutz von Louis. Wer ihnen auch nur ein Haar krümmt, dessen Leben ist verwirkt.»

      Doch seine Worte rufen lediglich Unmut hervor.

      «Willst du einen Mord an den unseren ungestraft lassen, Jean?»

      «Wir wollen Rache, jetzt sofort.»

      Dann fällt kein lautes Wort mehr, die Spannung, die in der Luft liegt, hat jeden zum Schweigen gebracht. Ich merke, wie sich Pierres Muskeln anspannen. Ob ihm einer der Vampire in Gedanken Drohungen zugerufen hat? Mit zusammengepressten Lippen suche ich nach einem Ausweg, doch es gibt keinen. Jeden Augenblick kann hier die Hölle losbrechen.

      «Was ist hier los?»

      Die Stimme donnert so laut, dass ich zusammenzucke. Die Aufmerksamkeit ist nicht mehr auf Jean, Pierre und mich gerichtet, denn die Menge teilt sich und Louis tritt in den Raum, hinter ihm Germaine. Er lässt seinen Blick einen Moment schweifen, aber er verzieht keine Miene, als er die Leiche von Madame Delon sieht. Germaine allerdings schlägt sich eine Hand vor dem Mund, man kann erkennen, wie betroffen sie ist. Louis fixiert Jean und die anderen Vampire in aller Ruhe.

      «Also, was ist hier los?»

      Als die anderen nichts sagen, antwortet Jean.

      «Madame Delon wurde so von ihrem Blutwirt gefunden, Louis. Jemand hat sie umgebracht. Sorrano sagt, dass sie zu einem Treffen mit dem Gesandten wollte, um eine geschäftliche Angelegenheit zu besprechen. Er behauptet, Pierre wäre mit dem Gesandten gemeint, Pierre bestreitet das.»

      «Ich habe Madame Delon weder getroffen, noch hatte ich eine geschäftliche Angelegenheit mit ihr zu besprechen, Herr», wirft Pierre ein.

      Louis sagt nichts, sondern blickt zu den Vampiren, die eben noch drauf und dran waren, uns anzugreifen.

      «Und was habt ihr mit der Angelegenheit zu tun?»

      Die Angesprochenen schweigen betreten, aber als Louis nicht locker lässt, antwortet einer von ihnen, der wohl der Wortführer ist.

      «Eine solche Untat darf nicht ungesühnt bleiben, Herr. Wenn die sogenannte Auserwählte anfängt, hier unsere Leute zu ermorden, dann müssen wir dem entschieden entgegentreten.»

      «Ihr seid ein Idiot, Foutainbleau. Aber sei versichert, dass der Schuldige für diese Tat bestraft werden wird.»

      Louis wendet sich uns zu, meine Spannung steigt wieder. Wir sind durch sein Erscheinen gerettet worden, daran habe ich keine Zweifel. Aber auf welche Seite wird er sich in diesem Fall schlagen? Jetzt wird erkennbar werden, was Louis eigentlich für Ziele verfolgt.

      «Hast du diese Vampirin getötet, Pierre?»

      «Nein.»

      «Bist du bereit, mir deine Erinnerungen zu öffnen?»

      Pierre zögert. Wenn er seine Erinnerungen öffnet, dann kann Louis lesen, was wir die letzte Stunde gemacht haben, worüber wir geredet haben. Auch Stimmungen und Gefühle lassen sich auf diese Weise erkennen. Manchmal bin ich auf diese besondere Kommunikationsform neidisch, die Vampire untereinander haben, aber manchmal bin ich auch ganz froh, wenn Pierre nicht sehen kann, was in mir vorgeht. Aber wenn er jetzt seine Erinnerungen öffnet, dann kann Louis wesentlich mehr sehen, als nur dass er diesen Mord nicht begangen hat.

      «Ja.»

      Innerlich atme ich auf. Pierre ist genau wie ich zu dem Schluss gekommen, dass der Beweis unserer Unschuld wichtiger ist als die Offenlegung dessen, was wir in der letzten Stunde gemacht haben. Zumal das für Vampire völlig normal ist. Louis und Pierre sind für einen Moment in tiefem Augenkontakt miteinander verbunden. Dann wendet sich Louis an Sorrano.

      «Dieser Vampir hat den Mord nicht begangen.»

      Ein leises Murmeln geht durch die Menge. Jetzt ist wohl einigen klar geworden, dass sie hier fast Unschuldige ermordet hätten, nicht zu reden von dem Krieg der darauf mit den nicht-amerikanischen Vampiren losgebrochen wäre. Sorrano erbleicht, der Schreck steht ihm ins Gesicht geschrieben. Germaine hat sich neben ihn gestellt, ihre Hand liegt auf seiner Schulter. Jetzt drückt sie kaum merkbar zu, aber ich bin sicher,