Bettina Reiter

Die Geschwister Bourbon-Conti - Ein fatales Familiengeheimnis


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wird.“

      „Das ist ja etwas ganz Neues.“ Henriette griff sich an die Stirn, hinter der es zu pochen begann.

      Die Mutter erhob sich und schlenderte durch das Zimmer. Ihre Miene drückte Gelassenheit aus, aber die zitternden Hände verrieten Nervosität. Vor der Kommode blieb sie stehen und griff zur Seife, die sie abwechselnd von einer Hand in die andere nahm. Zögernd blickte sie Henriette in die Augen. „Sofern der Herzog tatsächlich um deine Hand bittet, werde ich ablehnen.“

      Erleichtert atmete Henriette aus. „Und ich dachte schon ...“

      „Stattdessen wirst du Philippe I. de Bourbon heiraten.“

      Henriette schnellte aus ihrer bequemen Haltung hoch. „Françoises Enkel? Den Herzog von Chartres? Diesen dummen Jungen, dessen riesiger Kopf nicht zum kurzen Körper passt? Mit einer Gesichtsfarbe, die an einen Gallensüchtigen erinnert und schütterem Haar, obwohl er fast im selben Alter ist wie ich?“ Kurz versagte ihr die Stimme, weil sie gegen einen Würgereiz kämpfte. „Maman“, presste sie dann hervor, „sein Körper stinkt nach faulen Eiern, er ist ständig schlecht gelaunt und despotisch. Außerdem nennt man ihn bei Hofe den grünen Affen, zudem sagt man ihm nach, dass er …“

      „Schluss damit. Ich will das nicht hören“, fiel die Mutter ihr ins Wort.

      Henriette sank kraftlos an die Mauer zurück. „Wie könnt ihr mir das antun?“

      „Man soll nicht immer zu viel auf andere hören. Bei Diana war es ähnlich. Wir waren alle nicht von ihr überzeugt und nun schau dir die beiden an. Wer weiß, vielleicht entpuppt sich Philippe auch anders als du denkst.“

      „Bei der Glückssträhne, die ich zurzeit habe?“, spottete Henriette und zog die Hand zurück, als ihre Mutter darüber streicheln wollte. „Ihr verkauft mich regelrecht und du verpackst das Ganze in die faule Ausrede, zwischen unseren Häusern vermitteln zu wollen.“

      „Das ist keine Ausrede.“

      „Ich bin nicht dumm, Mutter“, stieß Henriette erzürnt aus. „Selbst eine Hochzeit mit Philippe wird nichts ändern.“

      „Doch, das wird es. Deine Großtante hält viel von ihm und sucht eine Gemahlin für ihn.“

      „Händeringend vermutlich“, frotzelte Henriette. „Kein Wunder, bei dem Aussehen.“

      „Hinter jeder unscheinbaren Fassade kann sich ein wunderbarer Garten verbergen.“

      „Glaubst du das ernsthaft?“ Henriette merkte, dass ihre Mutter feuchte Augen hatte. „Nein, du tust es ebenso wenig wie ich“, fuhr sie leise fort. „Ich weiß schon jetzt, dass mein Leben die Hölle wird.“

      Abrupt erhob sich ihre Mutter. „Lass uns die Diskussion beenden“, forderte sie mit schneidendem Ton. „Lotti hat Philippe zu unserem Fest eingeladen. Er hat zugesagt. Du wirst dich beim Ball zuvorkommend um ihn kümmern und sobald sich die Gelegenheit ergibt, spreche ich mit ihm. Außerdem kannst du dich während seines Aufenthaltes selbst davon überzeugen, ob er tatsächlich so viel Spott verdient.“ Ohne ein weiteres Wort eilte ihre Mutter aus dem Zimmer.

      Die Kerze flackerte und drohte zu verlöschen. Aber nach einigen Sekunden loderte sie wieder in die Höhe, verschwamm jedoch hinter Henriettes Tränenschleier, die sich wie versteinert fühlte. Angesichts der haarsträubenden Pläne ihrer Familie wäre der Herzog sicher die tausendmal bessere Wahl gewesen als Philippe. Dieser Unhold würde ihr Ende sein, das ahnte sie nicht nur, sie wusste es. Hoffentlich kamen ihre Brüder schnell zurück. Sogar Louis würde sie nicht mit offenen Augen ins Unglück rennen lassen. Niemals! Denn dass sie heiraten musste, damit würde sie sich abfinden müssen. Doch über den Bräutigam war noch lange nicht das letzte Wort gesprochen!

      4. Kapitel

Grafik 9

      Die Bäume warfen bereits lange Schatten und die Abendsonne ließ ihre Kronen golden aufleuchten, als Luc querfeldein auf den Ehrenhof des Schlosses Chambord zuritt. Das braune Hauptportal öffnete sich. Sein Freund Hermann eilte die zwei Stufen herunter und schritt ihm entgegen. Dabei hob er die Arme und machte eine Handbewegung, als ob er ihn aufhalten wollte. Luc lachte und trieb sein Pferd zum Galopp an. Der prächtige Araberhengst hetzte auf Hermann zu, der sich nicht von der Stelle rührte. Im letzten Moment zog Luc die Zügel herum, da er wusste, dass sein Freund nicht freiwillig ausweichen würde.

      „Brrrr“, Luc sprang vom Pferd und eilte auf seinen Kriegsgefährten zu. Lachend umarmten sie sich und schlugen sich gegenseitig auf die Schultern.

      „Wie schön, dass du mein Angebot angenommen hast“, freute sich Hermann.

      „Um nichts auf der Welt hätte ich das ausgeschlagen. Im viel gerühmten Schloss Chambord eingeladen zu sein ist eine Ehre.“ Luc nahm sein Pferd an den Zügeln, dessen weißes Fell glänzte. Dann blickte er sich um. Das Schloss galt als eines der herrlichsten in der Gegend des Loire–Tales. Der weiße Steinbau mit einer Vielzahl von Türmen, Kuppeln, Giebeln, Arkaden und Verzierungen ragte hoch in den blassblauen Himmel hinauf. Die Dachlandschaft erinnerte an eine zerklüftete Hochebene in gewaltigem Ausmaß. Genauso weitläufig war die Grünfläche, die das Schloss umgab, das sich im träge dahinfließenden Cosson spiegelte. „Die Leute haben nicht übertrieben. Ein Prachtbau, ganz wie es einem großen Kriegshelden wie dir gebührt.“

      „Und du hast ein Prachtpferd. Aus Ungarn?“

      „Ja, seit einem Jahr sind wir unzertrennlich.“ Luc tätschelte den Kopf seines Hengstes. „Ich nenne ihn Air.“

      „Wind?“ Hermann fuhr sich durch die graue Lockenpracht, die zerzaust aussah, als wäre er gerade aus dem Bett gestiegen. „Kurz und bündig, wie man es von dir gewohnt ist.“

      „Ja, ich mag es bescheiden. Genau wie du.“ Luc grinste zweideutig. „Wie viele Zimmer hat dein Schlösschen denn? Eins oder zwei?“

      „Nur vierhundertvierzig Zimmer und vierundachtzig Treppen.“

      „Für einen alleinstehenden Mann viel zu wenig Platz. Wie hältst du die Enge bloß aus?“

      „Das frage ich mich auch. Aber im Ernst, du hast keine Ahnung, wie oft ich mich am Anfang verirrt habe. Es gibt eine doppelläufige Wendeltreppe, Verstecke, Geheimtüren und was weiß ich noch alles. Sogar die Umgebungsmauer erfordert einen ganzen Tagesmarsch, und der Wald ist fast so groß wie Paris. Komm, ich zeige dir alles.“

      „Alles?“, tat Luc entsetzt.

      „Witzbold.“ Hermann zog ihn mit sich und rief nach dem jungen Mann, der bei der Pferdekoppel stand. Eilig rannte er herbei. Luc übergab ihm die Zügel seines Hengstes, hob seinen Beutel herunter, schulterte ihn und schaute dem dürren Burschen flüchtig nach, der sein Pferd in Richtung Wassertrog führte.

      „Keine Sorge, dein Araber ist in guten Händen.“

      „Ich mache mir keine Sorgen.“

      „Seit ich dich kenne, machst du dir ständig welche.“

      Luc fühlte sich ertappt. Nun war er wieder auf französischem Boden und je näher er dem Schloss Ussé gekommen war, desto ruheloser wurde er. Obwohl es in der Ferne an manchen Tagen nicht viel besser gewesen war. Doch der Krieg hatte ihn wenigstens zeitweise abgelenkt. „Es wird langsam“, schwindelte Luc. „Von Tag zu Tag.“ Ein zweifelnder Blick traf ihn. Seit Prag wusste Hermann Bescheid über seine Gefühle für Henriette. Eines Abends hatte er zu viel getrunken und ihm alles erzählt. Es hatte einige Zeit gedauert, bis sein Freund die Sache verdaut hatte. Doch seither stand er ihm treu zur Seite und dass er ihn nicht dafür verurteilte, hatte Luc noch mehr für ihn eingenommen. Einen besseren Freund als Hermann würde es auf dieser Welt kaum geben.

      „Dein Wort in Gottes Ohr. Und jetzt komm.“ Einträchtig schlenderten sie zur Menagerie, in der Hermann an die hundert Rehe hielt. Stolz erzählte er, dass sie aus seinem Heimatland stammten. Der Kurfürst von Sachsen hatte ihm