war riesig und hätte einem Bürgerhaus Platz geboten. Der Treppenturm stellte ein fantastisches Meisterwerk da Vincis dar und Schächte zur Entlüftung der sanitären Einrichtungen führten vom Keller bis zum Dach hinauf. Eine Erfindung wie diese hatte Luc nie zuvor gesehen.
„Damit werden schlechte Gerüche nach außen getragen“, erklärte Hermann mit stolzgeschwellter Brust und zog ihn weiter. Es gab viele Appartements, auch in den Türmen. Hermann hatte eines davon nach seinem Geschmack umbauen lassen. Die Wände waren mit Holzvertäfelungen und kostbaren Wandteppichen geschmückt, die Möbel aus exquisitem Walnussholz und überall standen exotische Mitbringsel aus aller Herren Länder.
„Was für ein imposanter Kachelofen.“ Luc ging auf das weiße Ungetüm mit sächsischem Wappen zu. Jede Kachel zeigte ein hellbraunes Motiv. „Meißner Porzellan, nehme ich an.“
„Nicht ganz. Der Ofen ist aus Fayence gefertigt. Vier dieser Prunkstücke habe ich mir aus meiner Heimat liefern lassen, da die Räume damit besser beheizbar sind. Wie findest du ihn?“
„Etwas zu überladen für meinen Geschmack, aber dir muss er letztendlich gefallen.“
„Jeder andere hätte mir Honig um den Bart geschmiert. Umso mehr schätze ich deine Ehrlichkeit“, sagte Hermann lächelnd. „Und nun ruh dich etwas aus.“
Vor dem Kachelofen befanden sich ein Tisch und zwei Bänke. Hermann bedeutete Luc sich zu setzen, was er umgehend tat. Die Müdigkeit steckte in seinen Gliedern, da er die letzte Nacht fast durchgeritten war und sich auch untertags keine Pause gegönnt hatte.
„Ich gebe in der Küche Bescheid. Du hast bestimmt Hunger. Lehn dich inzwischen an den Ofen. Chantal wird dich wärmen, bis ich wieder da bin.“
Luc deutete ungläubig auf den Ofen. „Du nennst ihn Chantal?“
„In diesem Schloss kann man ziemlich einsam sein.“ Grinsend verließ Hermann den Raum.
Lachend zog sich Luc den Beutel von der Schulter und legte ihn neben sich auf die Bank. Jetzt war er froh, dass er sich für die Stippvisite bei Hermann entschieden hatte. Ein Mann, der aus der Nähe noch beeindruckender war und auf eine glänzende Karriere zurückblickte. Die Soldaten an den Fronten – sogar die der feindlicher Lager – waren voller Respekt für ihn. ´Das Wunderkind von Halleˋ nannte man ihn mitunter immer noch, denn Hermann war der illegitime Sohn von August dem Starken und hatte mit zehn Jahren ein Studium in Musik und Philosophie begonnen.
Doch seine Karriere machte er auf dem Schlachtfeld. Im Regiment von Prinz Eugen hatte alles seinen Anfang genommen, dann war er zum Marschall ernannt worden und ihm unterstand ein eigenes Heer. Doch trotz seiner Erfolge blieb er ein bodenständiger Mann, für den die Anerkennung seiner Untergebenen die höchste Auszeichnung war.
Luc wandte sich kurz zum Kachelofen um und grinste. Chantal!
Hermanns einziges Laster waren die Frauen und es tat gut, dass auch er schwache Seiten hatte. So räumte er freimütig ein, dass er Frauen beglückte wie er Feinde in die Flucht schlug. Nur in der Liebe schien ihn das Glück zu verlassen. So hatte sich seine Ehe mit der reichen Gräfin Löben als lieblos erwiesen. Über das Ende war er noch heute erleichtert. Anders verhielt es sich mit seiner großen Liebe Adrienne Lecouvreur. Hermann schwärmte oft von ihr. Von der begnadeten Schauspielerin, die vor allem als tragische Heldin vom Publikum und vielen Künstlern gefeiert, jedoch von der Kirche geächtet wurde, die ihr Gotteslästerei unterstellte. Doch ihr größter Feind war die eifersüchtige Herzogin von Bouillon gewesen. Adriennes plötzlicher Tod wurde deshalb ihr zugeschrieben. Sie hatte Hermanns Geliebte angeblich vergiftet. Aber nicht nur Adriennes Tod quälte Lucs Freund, auch die Tatsache, dass die Kirche eine Bestattung in geheiligtem Boden verweigert hatte. Man ließ ihre Leiche auf den Schindanger werfen. Hermann und viele ihrer Anhänger hatten Adrienne dann heimlich am Ufer der Seine beigesetzt. Seitdem hatte er der Liebe abgeschworen.
„Worüber sinnierst du nach?“ Hermann schob mit dem Fuß die angelehnte Tür auf. In den Händen hielt er jeweils einen Holzteller. Den größeren stellte er vor Luc ab. Speck, unförmig geschnittener Käse, dicke Brotscheiben und Wurst befanden sich darauf, sowie Sauerkraut und ungeschälte Kartoffeln. Hinter Hermann trat ein dunkelhäutiges Hausmädchen ein, das einen weißen Porzellankrug und zwei Gläser brachte. Als sie alles auf dem Tisch platziert hatte, zog sie sich mit einem förmlichen Knicks zurück.
„Hast du die Mahlzeit selbst zubereitet?“, erkundigte sich Luc.
Wie erwartet nickte Hermann, der sich zu ihm setzte und seinen Teller ein paar Mal drehte, als könnte er sich nicht entschieden, womit er beginnen sollte. „Meine Köchin hat Bauchschmerzen. Ich habe gerade den Doktor rufen lassen und sie ins Bett geschickt.“ Hermann biss herzhaft vom Brot. „Dabei hätte ich sie dir gern vorgestellt“, sprach er mit vollem Mund weiter. „Marlene ist bezaubernd, aber wählerisch. Wenn ich nicht zu alt wäre … du hingegen hättest sicher Chancen. Außerdem würde dir etwas Ablenkung guttun.“
„Danke für das Angebot.“ Nicht zum ersten Mal versuchte Hermann ihn zu verkuppeln. Luc wusste, dass er es gut meinte. Trotzdem ging ihm das allmählich auf die Nerven. Liebe ließ sich nicht erzwingen, aber leider auch nicht zum Teufel jagen. Insofern war es vielleicht tatsächlich ein Fehler, seine Familie besuchen zu wollen. In Ungarn hatte es sich einfacher angefühlt und er hatte das Gefühl gehabt, sich wieder halbwegs im Griff zu haben. Obendrein wollte er wissen, ob es allen gut ging. Doch jetzt in diesem Augenblick wurde ihm klar, dass er sich nur etwas vorgemacht hatte, denn wozu gab es Briefe. Nein, es war die Sehnsucht, Henriette zu sehen, die ihn hergeführt hatte. Und sei es nur für einen kurzen Augenblick. „Die Kartoffeln sind roh“, stellte Luc fest und hob eine davon in die Höhe. Es schadete nicht, das Thema zu wechseln.
Hermann schluckte seinen Bissen hinunter, schaute ihn verwundert an und klopfte auf die Kartoffel. „Und steinhart.“
Nun musste Luc schmunzeln. „Mich wundern die Bauchschmerzen der Köchin nicht, wenn ihr eure Mahlzeiten auf diese Weise zubereitet.“
„Sie wird es überleben und du auch. Gegessen wird, was auf den Tisch kommt“, meinte Hermann ungerührt, nahm den vor sich stehenden Krug und verteilte den purpurschimmernden Wein in beide Gläser, deren Kristall–Schliff ebenfalls das sächsische Wappen zeigte. Dann stellte er den Krug ab. Seine rauchblauen Augen suchten Lucs Blick. „Wie lang bleibst du?“
„Willst du mich schon wieder loswerden?“
„Im Gegenteil. Also, wie lange darf ich dich um mich haben?“
„Ein, zwei Tage. Dann reise ich zu meiner Familie weiter“, erwiderte Luc und schob sich ein Stück Wurst in den Mund, obwohl ihm der Hunger vergangen war, denn er war zwischen seiner Vernunft und seinem Herzen hin– und hergerissen.
„Bleib lieber bis Sonnabend.“ Hermann griff zu seinem Glas, neigte es ein wenig zur Seite und hielt es wieder gerade. Ein öliger Fleck blieb an der bauchigen Glaswand zurück. Eingehend betrachtete Hermann den Wein, bevor er einen Schluck trank. Mit genießerischer Miene stellte er das Glas zurück, behielt es jedoch in der Hand. „Ein Hausierer ist heute dagewesen. Er kommt jedes Jahr mit den schönsten Teppichen, edlem Email und anderen Dingen vorbei. Ich habe ihm fast alles abgekauft, aber du kennst diese Leute ja. Sie sind wie Plaudertaschen, wenn man ihnen den kleinen Finger reicht.“ Er räusperte sich. „Am Wochenende gibt deine Großmutter ihren Sommerball, zu dem auch ich eine Einladung erhielt. Allerdings habe ich sie wieder vergessen, weil ich ohnehin aus Termingründen nicht teilnehmen könnte.“ Er schaute Luc zwingend in die Augen. „Du solltest es auch bleiben lassen. Arbeite stattdessen mit mir eine Taktik gegen die Österreicher aus und begleite mich.“ Hermann fixierte wieder das Glas und drehte es. Vermutlich feilte er in Gedanken bereits an einem Angriffsplan.
„Beteiligt sich Sachsen am Erbfolgekrieg?“ Luc schob den Teller von sich und lehnte sich zurück. Hermanns verlorener Feldherrenblick konzentrierte sich wieder voll und ganz auf ihn.
„Das wird sich zeigen, aber die Österreicher werden es schwer haben, nachdem sie in der Schlacht gegen die Türken viele Männer einbüßten. Maria Theresias Heer ist geschwächt, das der Preußen zu allem bereit und