Bettina Reiter

Die Geschwister Bourbon-Conti - Ein fatales Familiengeheimnis


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Mutter ihm vor Augen hielt, dass er ihrer Tochter nicht das Leben bieten könne, das ihr zustünde. Leider hatte Henriette vom Rest des Gespräches nur Bruchstücke verstanden, als sie an der Tür gelauscht hatte und fand es widersinnig, dass sie den Herzog für nichts und wieder nichts den weiten Weg zugemutet hatten. Vor allem, da die Argumente gegen eine Hochzeit eine Farce waren! Der Herzog war ein steinreicher Mann. Das wusste er, das wussten sie. Am liebsten wäre sie ihm nachgelaufen, denn mit ihm hätte sie sich anfreunden können. Ein stiller und bescheidener Mann. Zwar bezweifelte Henriette, dass sie ihn jemals würde lieben können, doch mit Philippe im Nacken wäre sie sogar vor dem Herzog auf die Knie gefallen, um ihm für den Antrag zu danken. Wie schnell sich das Blatt wenden konnte!

      „Luzifer ist im Anmarsch“, verkündete Lotti und wollte aus dem Fenster zeigen, blieb aber mit ihrem Spitzenärmel an den Blumen hängen. Feiner Blütenstaub wirbelte hoch. Die Vase fiel um. Das Wasser verteilte sich in alle Richtungen und durchweichte die Briefe. Doch die Mutter regte sich nicht auf, sondern starrte auf den gelben Blütenstaub, der wie hauchzartes Pulver auf die glänzende Tischplatte oder in die Lache rieselte. „Macht euch bereit.“ Als hätte Lotti mit diesem Satz einen Schuss abgefeuert, sprangen plötzlich alle in die Höhe. Antoine stolperte über sein Spielzeug und drängte sich an Diana, die wie Lotti und die Mutter ans Fenster trat. Henriette blieb, wo sie war.

      „Ich bin froh, wenn die Kutsche wieder in die andere Richtung fährt“, ließ Diana verlauten.

      „Wem sagst du das“, stimmte die Großmutter zu. „Himmel, sogar die Pferde sehen hochnäsig aus. Seht nur, wie sie den Kopf nach oben halten.“ Mit spitzen Fingern betastete Lotti die Löckchen, die sie sich kunstvoll in die Stirn kämmen und zu einem Halbmond modellieren lassen hatte. Das übrige Haar türmte sich über eine Fontange, als hätte sie auf ihrem Kopf die Notre Dame verewigt. Damit begann der Kampf zwischen den Schwestern. Je höher die Frisur, desto mehr wurde die Gegnerin ausgestochen. Dass diese himmelhohe Haarpracht längst unmodern war, trübte dieses lächerliche Spiel nicht im Mindesten. „Schafft Ordnung und kommt dann zu mir ins Foyer“, befahl Lotti und verließ den Raum mit schlurfenden Schritten.

      Henriette erhob sich lustlos vom Stuhl, bückte sich nach dem Spielzeug und warf es in den danebenstehenden Korb aus Birkenzweigen. Auch die anderen räumten in Windeseile auf und kurz danach stellten sie sich neben Lotti auf. Alle machten lange Gesichter. Unmerklich schüttelte Henriette den Kopf. Ihrer Familie war wirklich nicht mehr zu helfen.

      Der neue Diener eilte herbei und verharrte dann wie ein Zinnsoldat vor der Pforte.

      Als das Knirschen des Kieses verstummte, schnippte Lotti mit den Fingern. Sie hatte ihre eigene Art, Anweisungen zu geben. Der Diener öffnete die Tür bis zum Anschlag.

      Ein Fuhrmann half der Großtante gerade aus der Kutsche. Ein unkontrolliertes Zittern ging durch Françoises Körper, woran sie seit Kindesbeinen litt.

      „Was für eine Tonne“, flüsterte Henriette. Antoine kicherte.

      Françoise schaute sich pikiert um und fächelte sich mit der wurstigen Hand Luft zu. Trotz der vorherrschenden Temperaturen trug sie einen Mantel, hatte ihn jedoch nicht zugeknöpft. Ihr üppiger Busen war wie üblich in ein zu enges Oberteil gepresst. Blauer Brokat mit aufdringlichem rotem Blumenmuster. An der Taille schloss ein brauner Taftrock an. Am schlimmsten war jedoch ihre Turmfrisur, die jedem Bergfried Konkurrenz machte. Es war ein Wunder, dass im Kutschendach kein riesiges Loch klaffte. Aber vermutlich hatte sie die Fahrt im Liegen hinter sich gebracht. „Wir hätten in Paris bleiben sollen“, echauffierte sich Françoise an ihre Tochter Charlotte gewandt, die ebenfalls die Kutsche verlassen hatte. „Stattdessen müssen wir uns dieser Siedehitze aussetzen. Lotti hätte mich ruhig warnen können!“

      Henriette blickte zur Großmutter, die ihre Nase rümpfte und vermutlich kurz vor einem Kollaps stand. Zugegeben, sie war etwas schadenfroh.

      „Ich habe dir gleich gesagt, dass diese Reise unnütz ist, Mutter.“ Charlotte schob den Umhang über ihrer Brust auseinander. Der Apfel fiel nicht weit vom Stamm. Unter dem ebenso enggeschnürten Oberteil ihres ockerfarbenen Kleides zeigten sich ähnliche Rundungen wie bei der Großtante. „Ich schwitze regelrecht unter meiner Kleidung.“

      „Das riecht man.“ Die Großtante wandte sich den Stufen zu, während Charlottes Tochter Maria Fortunata d’Este – ein pummeliges und hübsches Mädchen mit leuchtend blondem Haar – übermütig auf einem Bein um die rothaarige Élisabeth herumhüpfte, die so reglos dastand wie der Diener vorhin. Aber ihre Gegenwart war ein kleiner Lichtblick.

      „Was du riechst, ist die grauenhafte Landluft, Mutter.“ Charlotte klatschte mahnend in die Hände. „Hör endlich mit dem Rumhüpfen auf, Maria! Das ist schlecht für meine Nerven.“

      Das Mädchen machte keine Anstalten, ihr zu gehorchen.

      „Hast du deine Mutter nicht gehört?“, kreischte die Großtante mit schriller Stimme. Fast in derselben Sekunde verschwand die Kleine hinter Élisabeth, die sich zu ihr umdrehte und leise auf sie einsprach. „Was ist das überhaupt für ein Empfang?“, regte sich Françoise weiter auf, hob den Rock an und stieg unter lautem Schnaufen die ersten Stufen herauf. Dabei hatte sie Henriettes Familie fest im Blick. „Aber was wundere ich mich. Etikette war nie Lottis Stärke.“

      „Wie gesagt, wir hätten nicht herkommen müssen.“ Charlotte folgte der Großtante und strich sich dabei über die Brüste, als würde sie eine Kostbarkeit berühren. Dann drapierte sie einige Locken ihres hüftlangen schwarzen Haares über die rechte Schulter, der Rest der Pracht steckte in einer Hochsteckfrisur, die allerdings um einiges schlichter war.

      „Charlotte wird ihrer Mutter immer ähnlicher“, bemerkte Lotti nicht gerade leise, was Dianas Schwester prompt mit einem entrüsteten Blick kommentierte. Die engliegenden Augen waren ohnehin ständig auf der Suche nach Gemeinheiten, die sie abfällig unter das Volk bringen konnte. Um ihren kleinen Mund lag ein böser Zug und ihr Gesicht drückte diese Garstigkeit auch bildlich aus.

      „Das wird ein Fiasko, Babette“, sagte Lotti zu Henriettes Mutter. „Und dafür musste ich mein Zimmer räumen? Nur weil die feine Madame glaubt, Anspruch auf den prunkvollsten aller Räume zu haben?“

      Inzwischen walzte die fettleibige Familie ins Foyer. Keuchend stellte sich Françoise vor Lotti, Charlotte und ihre Tochter bezogen dahinter Stellung. Élisabeth hingegen küsste Diana auf beide Wangen, sprach einen allgemeinen freundlichen Gruß aus und bedankte sich für die Einladung. Sie war warmherzig, aber sehr scheu. Ihr Kopf neigte sich ständig nach rechts, als würde ihr die Kraft fehlen, ihn gerade zu halten.

      „Stell dich gefälligst zu den anderen“, verlangte die Großtante. Mit einem verlegenen Lächeln kam Élisabeth der Aufforderung nach. „Du hast zugenommen, Lotti“, hob Françoise dann zur nächsten Gemeinheit an.

      „Solange ich mich nicht seitlich durch jede Tür zwängen muss wie du, bin ich zufrieden“, konterte die Großmutter und strich sich über die schmalen Hüften. „Kinder, erinnert mich beizeiten daran, dass ich Ludwig darum bitte, die Türen verbreitern zu lassen. Ansonsten muss meine Schwester beim nächsten Ball leider draußen bleiben.“

      Françoises Stirn runzelte sich. „Ein Umbau wäre unnötig. Erstens ist das meine letzte Teilnahme an dem unsinnigen Ball, der jedes Mal gähnend langweilig ist, und zweitens erschüttert mich die Kargheit des Hauses. Lässt es Ludwig jedes Jahr räumen, bevor du kommst? Aber wie dem auch sei, ich hoffe, dass es wenigstens Betten gibt.“

      Lotti lächelte spöttisch, aber in diesem Punkt hatte Françoise nicht ganz unrecht. Das Schloss wurde mit jedem Jahr leerer, denn während ihrer jährlichen Aufenthalte wanderten immer wieder wertvolle Bildteppiche, Gobelins und teures Dekor in die Hände eines Hausierers. Nur die Prunkräume blieben vom Diebeszug der Großmutter verschont und wenn Besuch kam, wurden die verbliebenen Wertsachen auf jene Zimmer verteilt, die den Gästen zur Verfügung standen. Dass sie monarchisches Eigentum verkaufte, wies Lotti weit von sich. Als Tochter des verstorbenen Königs stünde ihr das zu und sie würde nicht daran denken, alles Françoise in den gierigen Rachen zu schieben. Allerdings sah Henriette das Ganze mittlerweile in einem anderen Licht. Die Großmutter brauchte