Bettina Reiter

Die Geschwister Bourbon-Conti - Ein fatales Familiengeheimnis


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Zudem besaß sie einen Landsitz und verkaufte von dort aus die Kinder ihrer Huren. Für horrende Preise, aber auch hier stimmte angeblich der Umsatz. Was für Louis unerklärlich war, denn es musste sich um gutsituierte Familien handeln, die sich das leisten konnten. Doch wer holte sich freiwillig eine Brut ins Haus, die aus dem Bauch einer dreckigen Hure stammte?

      „Madame Gourdan widert mich an.“ Louis schüttelte sich, als hätte ihn der Tod gestreift. „Vermutlich spürt sie meine Abneigung, denn ihre feindseligen Blicke sagen alles.“ Umsichtig erhob er sich, damit er sich nicht erneut den Kopf anschlug und griff nach dem blauen Tuch, das auf der speckigen Bank über ihm lag. Es fühlte sich feucht an.

      „Du hast ihr Haus seit deiner Hochzeit mit Diana nur selten besucht und gehst etwaigen Abenteuern lieber woanders nach. Einer geschäftstüchtigen Frau wie der Gourdan missfällt das vermutlich.“ Voltaire verließ ebenfalls seinen Platz. „Ich lege mich kurz in den Kaltwasserbottich.“ Sprach´s und verschwand hinter der Nische, gleichzeitig kam der Bader zurück. Er hatte sein Hemd ausgezogen.

      „Möchtet Ihr eine Rasur? Aderlass? Schmerzt ein Zahn?“, fragte er. Wie Denis schüttelte auch Louis den Kopf, was der Bader wohl als Aufforderung sah, sie wieder alleinzulassen.

      „Jetzt da wir unter uns sind, kannst du offen sprechen“, sagte Denis leise. „Du weißt, dass ich kein Verräter bin.“

      Louis trocknete sich ab, ließ das Tuch auf den Boden fallen, bückte sich und zog seinen ledernen Beutel unter der Bank heraus. „Das ist nicht einfach für mich“, erwiderte er, während er die Bänder lockerte und nach seinen Strümpfen suchte. Seit jeher hatte er mit Denis mehr besprochen als mit Voltaire, obwohl er beide mochte. Doch Denis hatte nicht Voltaires spitze Zunge. „Henriette wird Dianas Neffen Philippe I. heiraten“, rückte er mit einem Detail heraus und unterdrückte gleichzeitig den Wunsch, ihm auch den Rest zu erzählen.

      „Daher deine Einsilbigkeit. Du machst dir Sorgen um Henriette. Berechtigte, wie ich finde. Dieser Mann ist nicht gerade beliebt in der hiesigen Gesellschaft.“

      Louis musste zugeben, dass ihm tatsächlich nicht ganz wohl war bei der Sache. Seit Luc fort war, hatte Henriette ihn bewusster wahrgenommen und er mochte sie. Doch die Hochzeit mit Philippe war auch finanziell gesehen wichtig wie erforderlich und letztendlich war es ohnehin nötig, dass Henriette so schnell wie möglich heiratete, damit sie aus der Schusslinie war.

      „Das ist nicht alles, habe ich recht?“, erkundigte sich Denis.

      So ist es, hätte Louis am liebsten gesagt. Mein verdorbener Bruder hegt verbotene Gefühle für Henriette! Sein Mund fühlte sich trocken an, weil er wieder an Dianas Vater denken musste. Voltaire konnte sagen, was er wollte. Eine Nachricht wie diese würde sich auch er irgendwann zunutze machen. Dieser verdammte Mistkerl Luc! Warum konnte er nicht auf dem Schlachtfeld sterben? Was Louis jedoch am meisten aufregte, war die Tatsache, dass die Mutter seinem Besuch zugestimmt hatte. Eigentlich müsste sie Luc verdammen. So, wie es Lotti und er taten. „Doch, das ist alles“, antwortete Louis. „Außer, dass ich müde bin. Es gab viel zu tun in Paris.“

      „Zu müde?“ Denis zwinkerte ihm zu.

      „So gefragt … für Madame Gourdans Huren bin ich wach genug.“

      Je weniger von Lucs Zuneigung wussten, desto besser. Sein Schwiegervater, der während seiner Amtszeit durchaus gute Arbeit für Frankreich geleistet hatte, war das beste Beispiel dafür, dass selbst große Siege durch menschliche Schwächen zerstört werden konnten. Auch in hundert Jahren würde seine Regentschaft mit dem Wissen besudelt sein, dass er seine Gelüste mit dem eigenen Fleisch und Blut ausgelebt hatte. Das hatte Louis sogar kurzzeitig schwanken lassen, ob er Diana überhaupt zur Frau nehmen sollte. Bis er sich in sie verliebte und ungeachtet dessen waren sie ohnehin miteinander verwandt. Er wurde so oder so mit dem Schwiegervater in Verbindung gebracht. Doch das war eine Sache. Eine völlig andere war es jedoch, ähnliche Abgründe in der eigenen Familie zu haben. Damit würde er niemals fertig werden. Wie sehr er Luc hasste! Schon immer war er ihm ein Dorn im Auge gewesen. Nun wusste er auch weshalb: Sein Bruder war krank. Wie sonst ließ sich das erklären?

      Der Samstagvormittag war erfüllt mit hektischem Treiben, da am Abend der Ball stattfinden sollte. In der großen Eingangshalle im Ostflügel und im Gardensaal – mit den beeindruckenden Deckenmalereien, die wie Marmor wirkten – roch es nach Seifenlauge.

      Auch die große Galerie im Südteil war eindrucksvoll, die Henriette kurze Zeit später betrat. Die Großmutter legte großen Wert darauf, dass alles festlich geschmückt war und hatte ausgerechnet sie dazu verdonnert, alles zu inspizieren. Dabei wäre sie lieber in ihrem Zimmer geblieben, denn sie fühlte sich unwohl unter den vielen Höflingen. Wenigstens verwickelte sie niemand in ein Gespräch. Das führten die Herrschaften lieber unter sich und unterhielten sich unweit von Henriette über die Brüsseler Tapisserien, die es im Schloss Ussé überall zu bestaunen gab. Manche standen bei der Büste von Ludwig XIV., die sich in der Mitte des Raumes befand und sprachen über die neuen Entwicklungen in Nordamerika.

      Und da war noch Philippe! Henriette fing seinen Blick aus sicherer Entfernung auf. Demonstrativ drehte sie sich um und schob die zurückgestülpten Ärmel nach vorne. Kalte Schauer jagten über ihren Rücken, weil sie seinen bohrenden Blick zu spüren glaubte. Doch als sie sich umwandte, weil sie vom Grafen von Milloy nach dem Weg zum Gardensaal gefragt wurde, stellte sie erleichtert fest, dass Philippe fort war.

      Freundlich gab sie dem Grafen Auskunft, beruhigte sich allmählich und nahm das polierte Silberbesteck in Augenschein. Währenddessen trug das Personal Tische und Stühle für die über hundert geladenen Gäste herein. Auf Blumendekoration mussten sie allerdings zum Leidwesen der Großmutter verzichten. Über Nacht hatte es geschneit und die Temperaturen waren empfindlich gesunken. Ein harter Schlag für die Bauern und viele andere, die ohnehin nicht viel hatten. Es hieß, dass die Ärmsten unter ihnen sogar Unkrautsamen zu Mehl vermahlen und gekochtes Gras sowie Ungeziefer essen würden. Hunger und der Mangel an Reformen sowie hohe Zinsen führten zu einer immer stärker werdenden Unzufriedenheit unter dem Volk. Es ging die Angst um, dass es über kurz oder lang zu einer Revolution kommen würde.

      Eine Revolution, die führte auch sie innerlich, denn es musste doch eine andere Lösung geben als Philippe! Aber vorerst galt es gute Miene zum bösen Spiel zu machen, bis sich die erhitzten Gemüter beruhigt hatten. Einschließlich ihrem eigenen. Dann wollte sie ein Gespräch mit Lotti und der Mutter suchen, um in Ruhe darüber zu reden. Gemeinsam würden sie bestimmt einen Kompromiss finden, der allen gerecht wurde. Und immerhin war da noch Luc. Egal, wie sehr sie sich voneinander entfernt hatten, früher hatte sie immer auf ihn zählen können. Hoffentlich kam er bald zurück!

      „Kindchen, da bist du ja.“ Henriette blickte hoch. Ihre Tante Alexandrine, die am Vorabend angereist war, rauschte auf sie zu. Scheinbar war sie in Hochstimmung und merkte deswegen nicht, dass ihr pikierte Blicke folgten. Sie trug lediglich die Chemise! „Ich habe dich überall gesucht.“

      „Brauchst du meine Hilfe beim Anziehen?“, fragte Henriette schmunzelnd. Ihre Tante war ziemlich vergesslich, hatte blondes kurzes Haar, einen dunklen Flaum über den wulstigen Lippen und ihr faltiges Gesicht wirkte wie zerknittertes Pergament. Außerdem reichte sie normal gewachsenen Menschen kaum bis zur Brust.

      „Das schaffe ich schon selbst, so alt bin ich auch wieder nicht. Außerdem habe ich meine Zofe dabei. Aber mir ist langweilig. Hast du Lust auf ein Spielchen? Deine Großmutter und Babette sind so beschäftigt, dass ich meine ganze Hoffnung in dich setze. Irgendwie muss ich mir die Zeit bis zum Ball vertreiben.“

      „Zuerst werde ich dich auf dein Zimmer bringen. Du trägst lediglich ein Unterkleid“, klärte Henriette ihre Tante auf. „Deine Zofe scheint ziemlich nachlässig zu sein, sofern dich tatsächlich eine begleitet hat.“ Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass Alexandrine eine dabeigehabt hatte, da es wie in jedem Jahr genügend Kammermädchen im Schloss gab, die den Gästen zur Verfügung standen.

      „Welche Zofe?“, fragte Alexandrine wie zur Bestätigung und schaute an sich herunter. „Ach herrjeh, ich habe ja kaum etwas an“, entsetzte sie sich dann, grinste jedoch, als sie den Kopf hob. „So schlecht