Bettina Reiter

Die Geschwister Bourbon-Conti - Ein fatales Familiengeheimnis


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so ist.“

      „Ich bin gern für dich da“, sagte Henriette.

      Élisabeth schaute sie dankbar an. „Weißt du, für Maria tat ich nichts, weil wir uns nie verstanden haben. Doch nun ist Charlotte auf dem besten Weg, es ihr gleichzutun.“ Sie seufzte entmutigt. „Seitdem ihre Liebe zu Herzog von Richelieu zerbrochen ist, hat sie sich sehr verändert.“

      Henriette kratzte sich sacht an der Schramme, die der Zweig in ihrem Gesicht hinterlassen hatte. Die Wunde verheilte zwar gut, juckte jedoch manchmal. „Es stimmt also, dass sie seinetwegen zurückgekommen ist?“

      Élisabeth nickte. „Schon mit siebzehn hat sie sich unsterblich in ihn verliebt. Seitdem führen die beiden eine Liaison. Nicht einmal Charlottes Heirat hat etwas daran geändert. Richelieu besuchte sie sogar als Hausierer getarnt in Modena. Doch jetzt hat er sie verlassen, weil ihm seine Frau das Messer angesetzt hat. Angeblich mit den Worten, dass sie ihn lieber mit jeder Hure der Stadt teilen würde als mit Luzifers Tochter. Aber ich glaube nicht, dass das der Grund für Richelieus Entscheidung war. Er ist kein Mann, der sich etwas von einer Frau sagen lässt. Eher gehe ich davon aus, dass sich seine Gefühle geändert haben. Nicht nur das Leben, auch die Liebe ist vergänglich und stirbt früher oder später.“

      „Das muss nicht sein“, begehrte Henriette auf.

      „Nenn mir ein positives Beispiel“, forderte Élisabeth und wartete Henriettes Antwort erst gar nicht ab. „Dir fällt niemand ein, genauso wenig wie mir.“

      „Diana und Louis.“

      „Dein Bruder vergnügt sich außerhalb des Ehebettes, das ist allgemein bekannt. Aber könntest du jemanden betrügen, den du von Herzen liebst?“ Henriette senkte den Kopf. „Ach Mädchen, Liebe ist nicht nur schön. Vor allem dann, wenn sie unerreichbar ist. Das ist die schlimmste Form der Liebe. Aber bevor ich dich ganz verschrecke, sollte ich lieber meinen Mund halten. Egal, wie ich persönlich darüber denke, dir soll es anders gehen.“ Élisabeth warf ihr einen aufmunternden Blick zu.

      Auf einmal hörte Henriette, dass Diana ihren Namen rief.

      „Deine Schwester sucht mich.“ Sie kämpfte gegen das schlechte Gewissen an. Einerseits hatte sie mit Diana eine Verabredung, andererseits brauchte Élisabeth jemanden zum Reden. „Wir wollten einen Spaziergang machen, bevor das Fest beginnt. Möchtest du uns begleiten?“ Henriette stand auf und strich sich glättend über den veilchenblauen Faillestoff ihres Kleides. Dianas Rufe entfernten sich.

      „Ich schaue lieber nach Charlotte“, schlug Élisabeth ihr Angebot aus. „Sie mag es zwar nicht, wenn man sich einmischt, aber ich habe lange genug zugesehen und will denselben Fehler nicht noch einmal machen.“

      Nach längerem Suchen fand Henriette ihre Schwägerin in der Küche, wo sie sich gerade über ein Stück Brot hermachte. Ihre Haut war blasser denn je. Über dem rechten Arm lagen zwei Umhänge, wovon sie Henriette einen reichte.

      „Ich habe das ganze Schloss nach dir abgesucht.“ Kauend schaute Diana zum Brotlaib, der neben dem Herd lag. Die schwitzende Köchin beugte sich über die dampfenden Töpfe. Auf dem Boden lagen Federn und Bedienstete mit blutbesudelten Schürzen und toten Gänsen in den Händen hetzten an ihnen vorbei. Henriette schaute den Mägden angewidert nach, denn das Essen vor dem Verzehr blutüberströmt zu sehen nahm ihr jeglichen Appetit.

      Ansonsten war sie gern in der Küche, die eine flämische Tapisserie verschönerte. Der Duft von allerlei Gewürzen lag in der Luft. Im tonnenartigen Gewölbe hallten die Befehle der Köchin wider oder manchmal fröhliche Lieder der Dienstboten. Es gab sogar eine Geheimtür, die in unterirdische Räume führte oder in den Wald. Ob Lotti auf diesem Weg Wertgegenstände aus dem Schloss schmuggelte?

      „Ich war bei Élisabeth“, setzte Henriette zu einer Erklärung an. „Du siehst übrigens schlecht aus“, fügte sie sorgenvoll hinzu und schlüpfte wie Diana in den Umhang aus warmer Futaine. Mit den toten Tieren vor Augen konnte sie es kaum erwarten, die Küche zu verlassen.

      „Danke für das Kompliment.“

      „Du weißt, wie ich das meine.“

      „Sicher.“ Diana legte ihr kurz die Hand auf die Schulter, bevor sie aus der Küche gingen. „Ich habe nicht gefrühstückt, aber jetzt geht es mir besser.“

      Henriette glaubte ihr nicht. Diana verharmloste gern Dinge. Dabei litt sie an geschwollenen Füßen. Auch ihr Rücken tat weh und seit einigen Tagen wurde sie von heftigen Kopfschmerzen geplagt. „Aber du hast mir erzählt, dass …“

      „Du solltest mein Gerede nicht allzu ernst nehmen“, riet ihre Schwägerin mit forschem Ton. „Es ist alles in Ordnung. Eine Schwangere pendelt eben ständig zwischen Himmel und Hölle, das ist völlig normal. Eines Tages wirst du an meine Worte denken.“ Diana hakte sich bei Henriette unter, als sie aus dem Schloss traten. Die Luft war kalt und frisch. Den Winter mochte Henriette lieber als den Sommer, weil sie das Gefühl hatte, dass die Kälte alles reinigte. Auch die Gedanken.

      „Hast du Lotti und Babette heute schon gesehen?“, begann Diana ein Gespräch, als sie über die Stufen hinunterstiegen.

      „Nur kurz.“

      „Und? Hast du ihnen die Meinung gesagt?“

      „Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee gewesen wäre. Im Augenblick sind wir alle zu aufgewühlt. Deswegen warte ich lieber ab. Und du? Konntest du mit deiner Mutter sprechen?“

      „Eher friert die Hölle ein, als dass ich noch ein Wort mit ihr wechsle. Es sei denn, um ihr zu sagen, dass sie zum Teufel gehen kann. Das gilt auch für Charlotte.“

      „Manchmal sind die Dinge anders, als sie scheinen.“ Henriette dachte an Messalina.

      „Verteidigst du die beiden Hexen etwa?“

      „Deine Mutter nicht.“

      „Aber Charlotte?“

      Einige Höflinge kamen des Weges, als sie in Richtung Wald marschierten. Henriette war froh, dadurch einer Antwort zu entgehen, denn sie war durcheinander und hatte keine Ahnung, ob sie Diana von Charlottes Problemen erzählen sollte. Wer wusste, ob es Élisabeth überhaupt recht wäre? Auf der anderen Seite hätte Dianas Schwester wenigstens noch jemanden, mit dem sie über ihre Schwester sprechen könnte.

      Doch bei allem Mitleid für Charlotte, Élisabeth hatte auch kein einfaches Leben gehabt, trotzdem war sie ein warmherziger Mensch. Dasselbe galt für Diana. Charlotte war in dieser Hinsicht anders, und eine lebenslange Abneigung schlug nicht plötzlich in Sympathie um. Denn Mitleid war das eine, jemanden zu mögen das andere. Dazwischen lagen Welten. Aber Charlotte hatte zumindest an Schrecken verloren.

      Die Männer zogen ihre Hüte, die Damen deuteten einen Knicks an. Henriette und Diana erwiderten die Grüße und übersahen die stehengebliebenen Frauen geflissentlich, als hätten sie sich abgesprochen. Unter ihnen befand sich auch die Marquise de Lion. Sie ging am Stock und wärmte mit Vorliebe alte Gerüchte auf. Begleitet wurde sie von Lottis Busenfreundinnen Madame de Rohan, die eine Vorliebe für Puder hatte, und deren Schwester Rosalie.

      Als sie die Damen hinter sich ließen, hörte man entrüstete Ausrufe, dann ein Tuscheln. Henriette konnte sich lebhaft vorstellen, wie die Frauen ihre Köpfe zusammensteckten und lästerten.

      „Ich habe überhaupt keine Lust auf den Ball“, bekannte Diana, als sie im Wald waren. Kurz trennten sie sich voneinander, da ihnen ein kolossaler Felsen im Weg stand. Der Schnee war ungehindert auf die kleine Lichtung gefallen. Auf beiden Seiten des Monuments wuchs Moos, einige Pilze ragten heraus. Die meisten waren abgebrochen. Als Henriette und Diana den Stein hinter sich ließen, lächelten sie sich an und hakten sich erneut unter.

      „Unsere Fußabdrücke haben sich verewigt“, stellte Henriette mit einem Blick über ihre Schulter fest.

      Diana wandte kurz den Kopf. „Stimmt.“

      „Ich rede Blödsinn, entschuldige. Aber ich muss mich irgendwie ablenken.“

      „Was schwer sein