Bettina Reiter

Die Geschwister Bourbon-Conti - Ein fatales Familiengeheimnis


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      „Da muss ich leider passen, Lotti. Mit menschlichen Abgründen kennst du dich besser aus, da kann selbst ich dir nicht das Wasser reichen.“

      Henriettes Sinne waren geschärft, vor allem da die Mutter kreidebleich geworden war und wie in Trance den Löffel ablegte.

      „Lass sie endlich in Ruhe“, bat Élisabeth.

      Françoise machte eine wegwerfende Handbewegung. „Du hältst am besten dein Schandmaul. Apropos Schandmaul: Wo ist eigentlich dein Mann, Diana? Vergnügt sich Louis lieber im Freudenhaus als hier zu sein?“

      „Was erlaubst du dir?“, entfuhr es Lotti.

      „Führst du jetzt schon die Gespräche anstelle meiner Tochter?“

      „Tochter? Das setzt voraus, dass sie eine Mutter hat. Die hat sie aber leider nie gehabt.“

      „Du sprichst mit einer völlig Unbeteiligten“, sagte Diana. Ihr Atem kam stoßweise, als würde sie kaum Luft bekommen. Das schwarze Samtkleid ließ sie noch blasser wirken. „Diese Frau hat uns zwar geboren, aber damit ist ihre Schuldigkeit getan. Außer meinen Bruder, für den sie alles tut, hörte sie uns Töchter weder noch stand sie uns bei, als es nötig war. Für sie sind wir nicht mehr wert als der Dreck unter ihren Schuhen.“

      „Was erlaubst du dir, du undankbares Gör?“

      „Fühlst du dich betroffen, Mutter?“

      „Hör sofort auf in diesem vulgären Ton mit mir zu sprechen!“, befahl Françoise mit zusammengezogenen Augenbrauen.

      „Ich passe mich dir nur an.“

      „Das hast du schon als Kind getan und Pflichten erfüllt, die …“

      Diana schoss vom Stuhl hoch. Die Serviette flatterte von ihrem Schoß auf den Boden. Ihr Glas war umgefallen. Der Wein ergoss sich über die weiße Tischdecke. „Mir ist übel und ich möchte mich zurückziehen.“

      Die Gespräche waren verstummt. Viele starrten zu ihrem Tisch.

      „Geh nur.“ Lotti nickte Diana zu.

      „Du bleibst gefälligst!“ Françoise schlug mit der Faust auf den Tisch.

      „Schluss jetzt!“, stieß Henriettes Mutter zwischen zusammengebissenen Zähnen aus. Nie zuvor hatte Henriette sie zorniger erlebt. „Wenn es dir bei uns nicht gefällt, Françoise, dann geh! Es wird dich niemand aufhalten. Solltest du bleiben, verschone uns mit weiteren Gemeinheiten. Ich habe es satt, wie du dich aufspielst und von jedermann erwartest, dass man deine Gehässigkeit wie ein stummer Sünder duldet.“

      Diana murmelte eine Entschuldigung und verließ beinahe fluchtartig den Saal.

      „Diesmal will ich dir die Beleidigung durchgehen lassen“, sagte die Großtante gefährlich leise. „Ein nächstes Mal wäre jedoch gleichbedeutend mit dem Ende deiner verdorbenen Sippe! Überlege dir also gut, wie du mich behandelst. Quid pro quo.“

      Auf einmal erhob sich Jeanne in der hintersten Ecke und hielt ihr Glas in die Höhe. „Lasst uns auf Babette und ihre bezaubernde Familie trinken“, forderte sie und blinzelte Henriette verschwörerisch zu, die sich bei ihrem Anblick sofort besser fühlte. Die Gäste hoben ihre Gläser und bald darauf waren sie wieder in Gespräche versunken. Als hätten sie vergessen, was sich soeben vor ihren Augen abgespielt hatte. Doch der Schein trog. Heute wollten sie auf ihre Kosten speisen und trinken, morgen würden sie sich auf ihre Kosten lustig machen. Sie musste raus hier und zwar sofort!

      Henriette zog die Fackel aus der Verankerung und öffnete die schwere Eisentür zum Bergfried. Jeanne war dicht hinter ihr. Sich hierher zu flüchten war die Idee ihrer Freundin gewesen, die ihr gefolgt war, nachdem sie den Saal tatsächlich verlassen hatte. Ein Affront, das war Henriette klar, doch sie wäre sonst geplatzt.

      Der Bergfried, von dem sie ihrer Freundin schon bei ihrem Kennenlernen erzählt hatte, war genau der richtige Ort, um zur Ruhe zu kommen. Einträchtig stiegen sie bis ins vierte Geschoss hinauf. Jeanne keuchte, als sie oben ankamen und blickte sich um. An der gegenüberliegenden Mauer stand die Schatztruhe aus Zedernholz.

      „Du hast nicht übertrieben. Ein zauberhafter Ort“, äußerte sich Jeanne. Henriette steckte die Fackel in die dafür vorgesehene Befestigung an der Wand. Die Flamme loderte, da aufgrund der Maschikulis ständig Luftzug herrschte. „Was ist da drin?“ Noch ehe Henriette antworten konnte, war Jeanne bei der Truhe. Plötzlich bekam sie einen Hustenfanfall und hielt sich die Hände vor den Mund. Henriette eilte an ihre Seite und wusste in ihrer Hilflosigkeit nichts anderes zu tun, als ihr unbeholfen auf die Schulter zu klopfen.

      „Du erschlägst mich“, brachte Jeanne mühsam hervor und beruhigte sich allmählich. Als wäre nichts gewesen, hob sie den Deckel der Truhe an und lehnte ihn gegen die Wand.

      Henriette erschrak zutiefst. „Da ist Blut an deinen Händen.“

      Mit unbeteiligter Miene blickte Jeanne darauf. Im nächsten Moment nahm sie das braune Leinentuch heraus, das Henriettes Schätze verdeckte, und wischte sich damit ab. „Das habe ich von Zeit zu Zeit. Bisher konnte mir kein Arzt helfen, aber seitdem ich auf Mutters Rat hin eine Milchkur mache, bessert sich mein Zustand. Huch, wer um alles in der Welt ist dieser gutaussehende Grandseigneur?“ Jeanne ließ das Tuch auf den Boden fallen und griff zu Lucs Bild, das inzwischen in einem filigranen goldenen Rahmen steckte, den Henriette in den Umzugskisten gefunden hatte.

      Staunend hob Jeanne das Portrait heraus, stellte sich nahe zur Fackel und besah es sich. „Hast du das gemalt?“

      „Ja.“

      „Diesen Mann würde ich sofort in mein Bett lassen“, verkündete sie, blickte aber gleich schuldbewusst zu Henriette. „Entschuldige, natürlich würde ich dir nie einen Mann abspenstig machen. Wer ist er, und vor allem, wo lernt man einen griechischen Gott wie ihn kennen?“

      „Im Zweifelsfall wächst man mit ihm auf.“ Henriette trat neben sie. „Das ist Luc. Mein Bruder.“

      „Etwas Charles’ Freund? Himmel, warum hat mir keiner gesagt, dass er so attraktiv ist?“ Jeanne lächelte verträumt. „Also verfolgst du keinerlei Absichten?“

      „Wo denkst du hin? Wie gesagt, er ist mein Bruder.“ Henriette hörte selbst, wie mürrisch sie klang. Jeannes Schwärmen passte ihr ganz und gar nicht.

      Ihre Freundin drückte sich das Bild an die Brust. „Hoffentlich sieht dein Cousin Luc ähnlich.“

      Henriette runzelte die Stirn. „Welchen Cousin meinst du?“

      „Ich spreche von Ludwig XV.“

      „Ludwig? Unser König? Was hast du mit ihm zu tun?“

      „Im Augenblick noch nichts, doch das wird sich ändern“, tat Jeanne geheimnisvoll, schloss den Deckel und setzte sich auf die Truhe. „Bisher konnte mir nämlich kein Mann widerstehen.“ Ein entschlossener Zug lag um ihren Mund. Louis’ Aussage kam Henriette in den Sinn. Was Männer betraf, hatte er vermutlich doch ins Schwarze getroffen. Ihre Freundin schien keine Heilige zu sein, die sie aber abgesehen davon nach wie vor bewunderte, denn Jeanne kletterte lieber auf Bäume und pflückte die Äpfel, statt darauf zu warten, dass sie herunterfielen. Nebenbei bildete sie sich unermüdlich weiter, liebte den Tanz und konnte dem Clavichord wunderbare Töne entlocken. Als wäre dem nicht genug, schien sie Schönheit und Liebreiz für sich gepachtet zu haben. Die braunen Augen funkelten und hoben sich im ovalen Gesicht wie zwei glänzende Edelsteine ab. Ihre Augenbrauen wirkten gleichmäßig geschwungen, als hätte sie ein Maler gekonnt verewigt. Selbst einige Pusteln am Kinn konnten dem Ebenmaß nichts anhaben. Und dann war da noch ihr blondes Haar, das sich über die Stirn auftürmte. Mit wertvollen Silberkämmen war es seitlich hochgesteckt, während sich die ungebändigte Lockenpracht über ihren Rücken ergoss. „Ich bereite mich Tag für Tag auf Ludwig vor.“

      Henriette war wie vor dem Kopf gestoßen. „Wie bitte?“

      „Versprich mir, dass niemals ein Sterbenswort deine Lippen verlässt“, verlangte Jeanne