blieb mit ihrer Verzweiflung allein zurück.
„Hen…riette?“ Dianas Lider flatterten.
Endlich! Sie war aufgewacht. Hoffnung kam in Henriette hoch. Gleichzeitig kämpfte sie gegen ihre Tränen an. „Schsch, keine Sorge, der Arzt ist bald da. Hast du Schmerzen?“
„Nein“, Diana lächelte tapfer, „ich spüre kaum etwas.“
„Du musst kämpfen. Für dich und das Kind. Außerdem brauchen dich Louis und dein Sohn, genau wie ich.“ Sie legte ihre Hand auf Dianas Bauch. Das Kind bewegte sich ohne Unterlass.
„Es ist …“ Dianas Stimme war nicht mehr als ein leiser Hauch. „Ich habe … nicht mehr viel Zeit.“
„Sag das nicht.“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Bitte, sag das nicht“, flüsterte Henriette mit erstickter Stimme.
„Mir ist kalt … fürchterlich kalt“, auch Diana weinte und verzog schmerzvoll das Gesicht, „Ich will … Antoine aufwachsen sehen, aber …“, sie hielt sich plötzlich schwerkeuchend an Henriettes Arm fest. „Sag Louis und meinem Sohn, dass ich sie liebe und da ist noch etwas, das du unbedingt wissen …“ Diana stöhnte qualvoll auf. Das Strampeln des Kindes wurde schwächer. Henriette begann zu wimmern und spürte etwas Nasses unter sich. Als sie hinschaute, sah sie Blut, das durch Dianas Kleid sickerte. Sie schluchzte auf, weil die Kindsbewegungen schwächer wurden. Dann verharschten Dianas Züge, als würde sie unter Aufbietung ihrer letzten Kräfte gegen den Tod ankämpfen … bis der Druck ihrer Hand nachließ, die schließlich auf den Boden sank.
Entsetzt starrte Henriette auf Dianas Brust, die sich nicht mehr hob. Auch ihr Kind bewegte sich nicht mehr. „Nein! Diana, nein!“ Schluchzend nahm sie die leblosen Hände und küsste sie unablässig. „Wach auf!“, rief sie anklagend, „du musst aufwachen! Was wird aus Antoine? Aus mir?“
Ein Topf zerschellte auf dem Boden. Wasser platschte auf. Tränenblind erkannte Henriette die schemenhafte Gestalt ihrer Mutter, die unbeweglich vor ihr stand, während Élisabeth mit schleppenden Schritten auf sie zukam. Dabei entglitt ihr der Wundverband.
„Darf ich meine Schwester halten?“, fragte sie und ließ sich auf die Knie sinken.
Henriette nickte und küsste Diana auf die Stirn, bevor sie aufstand und zu ihrer Mutter ging. Ihre Schritte fühlten sich an, als würde sie durch flüssiges Blei waten. Die Scherben knirschten unter ihren Schuhen.
„Wie soll ich das bloß Louis beibringen?“ Die Mutter war kaum zu verstehen, obwohl es sogar im Salon still geworden war, und zog Henriette in ihre Arme. Sanft strich sie ihr über das Haar. „Und Antoine?“
„Gottes Wege sind unergründlich“, sagte plötzlich jemand. Henriette blickte hoch. Philippe kam die Stufen herunter. Er trug einen Hut und nach wie vor den blauen Anzug, der jetzt wie eine lächerliche Verkleidung aussah. „Wo ist Françoise?“ Kein Bedauern war ihm anzuhören, auch die Miene war unergründlich. Dicht vor ihnen hielt er ein. Sein Blick glitt über Henriettes Körper.
„Ich dachte, Ihr hättet unser Schloss bereits verlassen.“ Die Mutter zog Henriette enger an sich.
„Wie ich sehe, wäre es besser gewesen. Aber Françoise hatte noch etwas zu erledigen.“
„Was denn? Diana umbringen?“, machte Henriette ihrer Verzweiflung Luft.
„Gute Heimfahrt“, sagte die Mutter. „Françoise wird sicherlich bleiben. Wir müssen ihre Tochter begraben.“
Sein Blick blieb starr auf Henriette gerichtet. „Guten Tag, die Damen.“
„Kein Wort des Beileids?“, flüsterte die Mutter, als er sich umdrehen wollte.
Philippe hielt inne. „Um Diana tut es mir leid. Aber die Erde dreht sich weiter.“
„Ihr wisst ja, wo der Ausgang ist!“, fuhr die Mutter ihn eisig an und zeigte zur Pforte. Philippe lüftete kurz den Hut und durchmaß dann das Foyer mit großen Schritten. An der Tür drehte er sich noch einmal um, als ob er etwas sagen wollte. Doch schließlich schritt er hinaus.
„Was für ein Widerling“, stürzte es aus Henriette heraus.
„Beschäftige dich nicht weiter mit ihm.“ Die Mutter strich ihr eine Strähne hinter das Ohr zurück. Dianas Tod relativierte vieles und schuf wieder Nähe zur Mutter. Trotzdem zermarterte sich Henriette das Gehirn, was Diana ihr hätte sagen wollen. „Zum Glück sind die meisten Gäste frühzeitig aufgebrochen, aber Jeanne und ihr Gatte könnten jederzeit vom Besuch auf dem Markt in Chinon zurückkommen. Ich möchte vermeiden, dass sie Diana so sehen. Vor allem Antoine, den sie mitgenommen haben. Deswegen müssen wir sie umgehend in ihr Zimmer bringen und nach dem Priester schicken lassen.“ Sie klang seltsam gefasst. „Und du, Henriette, lauf in den Park und hol ein paar Rosen. Aber zieh dir zuerst etwas an.“
Erst jetzt wurde Henriette bewusst, dass sie lediglich ihr dünnes Spitzennachthemd trug. Es war mit Blut besudelt. Mit Dianas Blut. Sie löste sich von ihrer Mutter und fühlte sich plötzlich schutzlos. Allein. Mit allem überfordert.
Als sie ihr Zimmer betrat, fiel ihr Blick auf das Kleid, das sie zum Ball getragen hatte. Es lag am Fußende des Bettes. Das Fest schien Jahre her zu sein, aber die gemeinsamen Momente mit Diana waren nahe wie nie. Henriette sah sie vor sich und streckte die Hand aus, weil sie glaubte, sie berühren zu können. Doch sie griff ins Leere.
Weinend sank sie auf das Bett. Ein Leben ohne Diana war unvorstellbar. Sie war ein so wundervoller Mensch gewesen. Viel zu jung, um zu sterben. Zu gut, um schon gehen zu müssen. Louis würde am Boden zerstört sein und Antoine, der gestern noch eine liebende Mutter hatte, war heute Halbwaise geworden. Doch nicht nur Diana war gestorben. Ihr ungeborenes Kind ebenso.
Kraftlos wischte sich Henriette über das Gesicht, kleidete sich an, holte sich ein Messer aus der Küche und lief in den Park. Dianas Tod verfolgte sie, während sie die Rosen schnitt. Aber auch Lucs Rückkehr. Wie leer und ausgehöhlt sie sich fühlte!
Plötzlich rutschte sie mit dem Messer ab und verletzte sich am Zeigefinger. Blut trat aus der Wunde. Wie hypnotisiert starrte Henriette darauf. Es brannte, aber sie spürte etwas. Spürte sich selbst. Ihr ganzes Denken richtete sich auf diese kleine Wunde. Auf das Pochen unter der Haut. Bis sie sich eine Närrin schalt und den blutigen Zeigefinger am Kleid abwischte.
In Dianas Kammer bekam sie dann einen regelrechten Weinkrampf. Man hatte ihrer Schwägerin ein sauberes schwarzes Kleid angezogen und das Haar seitlich drapiert, um die Verletzung zu überdecken. Liebevoll strich Henriette ihr über die gefalteten Hände, um die man einen Rosenkranz geschlungen hatte und schluchzte auf, bevor sie die Blumen auf ihren gewölbten Bauch legte. Als sie hinter sich das Knarren der Tür hörte, wischte sie sich über die Augen und wandte sich um.
Luc trat zögernd herein. „Ich mochte Diana sehr, obwohl ich sie nur flüchtig kannte.“ Seine Stimme war tiefer geworden. Das gebräunte Gesicht markanter und männlicher, die Schultern breiter. Henriette starrte ihn an, wie er sie anstarrte. Erst als der Arzt und ihre Mutter in das Zimmer kamen, lösten sich ihre Blicke voneinander. Am liebsten hätte sie sich in Lucs Arme geworfen und glaubte zu spüren, dass er ihr gerne beigestanden hätte. Aber sein verschlossenes Gesicht verunsicherte sie wiederum und es machte sie traurig, weil es ganz danach aussah, dass die Kluft zwischen ihnen nach wie vor da war.
„Ich werde sie untersuchen“, informierte der Arzt, deponierte seine Tasche auf dem Nachttisch und öffnete sie. Henriette stellte sich zum Fenster und blickte hinaus. „Ich muss Eure Schwiegertochter öffnen“, vernahm sie ihn und hörte ein metallisches Geräusch, „und das Kind herausschneiden.“ Henriette fuhr herum.
„Untersteht Euch!“, kam die Mutter ihrem Einwand zuvor. „Niemand wird Diana von ihrem Kind trennen. Wir werden die beiden gemeinsam zu Grabe tragen.“
„Das wird kein Priester zulassen, Madame.“ Im silbernen feinen Messer, das in der ruhigen Hand des Arztes lag, spiegelten sich die Rosen wider.
„Lasst das unsere Sorge sein.“ Luc fuhr sich durch das braune