Bettina Reiter

Die Geschwister Bourbon-Conti - Ein fatales Familiengeheimnis


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schaute wieder auf Lucs Bild, bevor sie es sich auf den Schoß legte. „Auch mir sagte sie die Zukunft voraus.“

      „Und die hat mit Ludwig zu tun“, kombinierte Henriette misstrauisch.

      „Du zweifelst an der Hellsichtigkeit von Madame Lebon?“

      „Erzähl weiter.“ Henriette wollte ihre Freundin nicht verletzen. Sie schien fest daran zu glauben.

      „Nun ja, sie teilte mir mit, dass ich das Herz des Königs im Sturm erobern und es bis zu meinem Lebensende besitzen werde.“

      „Aha.“ Henriette setzte sich neben Jeanne auf die Truhe.

      „Sogar Mutter und mein Vormund sind davon überzeugt, dass es eines Tages genauso geschehen wird.“

      „Ist euch nie in den Sinn gekommen, dass ihr auf eine Schwindlerin hereingefallen seid?“, konnte sich Henriette nun doch nicht zurückhalten. „Wieviel Geld hat sie verlangt?“

      „Was spielt das für eine Rolle?“ Jeanne machte ein beleidigtes Gesicht. „Dass ausgerechnet du daran zweifelst, wundert mich wirklich. Du, die jedes Märchen für bare Münze nimmt.“

      „Das war einmal. Jetzt bin ich erwachsen.“ Langsam wurde es Henriette zu bunt. Scheinbar dichtete ihr alle Welt Realitätsverlust an. Bloß, weil sie Märchen mochte.

      „Wie auch immer, ich halte viel von Madame Lebon. Davon abgesehen habe ich dir viel von meinem Vormund erzählt. Insbesondere, dass er sehr gebildet und intelligent ist. Wenn er daran glaubt, mache ich es erst recht und warum denkst du, finanziert er meine umfassende Bildung, die im Übrigen ein Vermögen kostet? Aus Jux und Tollerei? Mit Sicherheit nicht.“

      „Willst du damit sagen, dass er alles tut, um dich und Ludwig … aber dein Vormund ist der Onkel von Charles. Noch dazu bist du eine Bürgerliche!“

      „Meine Herkunft wird kein Hindernis sein und ja, mein Vormund unterstützt mich. Er nennt mich sogar ´Reinetteˋ. Die kleine Königin muss die letzte Hürde allerdings ohne seine Hilfe schaffen, doch früher oder später wird Ludwig meinen Reizen erliegen. Das ist so sicher wie das Amen im Gebet.“ Jeanne schürzte ihre Lippen, als würde sie Ludwig bereits im Geiste küssen.

      „Du bist verheiratet“, wandte Henriette ein.

      „Und ich bekomme ein Kind.“

      „Was?“, entfuhr es Henriette. „Trotzdem spinnst du diese verrückten Pläne weiter?“

      „Sieh mal.“ Jeanne machte eine bedeutungsvolle Pause. „Mir wurde mein Schicksal vorausgesagt und damals war ich so weit von Ludwig entfernt, wie man es nur sein kann. Doch dank meines Vormundes stieg ich in der Gesellschaft auf, bin aufgrund meiner Heirat finanziell gut situiert und besitze durch Charles ein Anwesen, das sich in der Nähe des Waldes von Sénart befindet.“

      „Ludwigs Jagdgebiet“, murmelte Henriette und rieb sich das Gesäß.

      „Das Château d’Étiolles war ein Hochzeitsgeschenk meines Vormundes, seit kurzem besitzt Ludwig das Schloss Choisy in der Nähe.“ Verschwörerisch beugte sie sich zu Henriette. „Kann das Zufall sein?“

      „Eigentlich hat er es für seine Mätresse gekauft.“

      „Mätressen“, wurde Henriette sogleich berichtigt. „Momentan hat er zwei.“ Sie war besser informiert als Henriette, die etwas bestürzt war. Das hätte sie Ludwig nicht zugetraut. „Jedenfalls habe ich in meiner Kutsche Ludwigs Wald erkundet. Leider hat es mir die jüngere seiner Mätressen bis auf weiteres verboten, aber ihr vehementes Auftreten ist die beste Bestätigung, die ich bekommen kann. Sie sieht eine Gefahr in mir. Wer, wenn nicht eine Mätresse, kennt den Geschmack des Königs besser?“

      Henriette musterte ihre Freundin und dachte an Élisabeths Standpunkt über die Liebe. Auch Karolina geisterte durch ihren Kopf. Eine Frau, die Henriette sehr schätzte. Was war nur los auf dieser Welt? Bekam niemand mehr den Hals voll? Genügte sich niemand selbst?

      „Worum geht es dir im Eigentlichen? Um finanzielle Besserstellung oder bist du in Ludwig verliebt?“ Sie wollte wenigstens versuchen, Jeanne zu verstehen.

      „Hast du mir nicht zugehört? Wir sind uns noch nie begegnet. Und Liebe …“, äußerte sich Jeanne abfällig, aber ihre Züge wurden sofort weicher, als sie Lucs Bild betrachtete. Beinahe zärtlich fuhr sie mit den Fingerspitzen darüber. Wieder erfasste Henriette ein ungutes Gefühl. Sollte sie mit Ludwig machen was sie wollte, aber Luc stand nicht zur Debatte. Denn so gern sie Jeanne hatte, in Bezug auf Männer klafften ihre Ansichten erheblich auseinander, wie sie wiederholt feststellen musste. „In deinen Bruder könnte ich mich verlieben. In diese Augen, das markante Gesicht. Er wirkt sensibel und stark, energisch und sanft. Der spöttische Zug um seinen Mund ist sehr reizvoll, auch die kleine Kerbe am Kinn.“ Henriette verscheuchte das Bild, wie Luc von Jeanne geküsst wurde. „Du hast ihn so lebensecht gemalt, dass man das Gefühl hat, er würde vor einen stehen.“ Sie schien sich kaum sattsehen zu können!

      „Mein Cousin sieht tausendmal besser aus als Luc“, log Henriette, „das Volk nennt Ludwig sogar den schönsten Mann Frankreichs. Aber das wirst du bestimmt wissen.“

      „So ist es, doch solange ich mich nicht selbst davon überzeugen kann, geht es in erster Linie nur darum, sein Herz zu gewinnen.“

      „Und was ist mit deinem? Spielt Liebe keine Rolle? Geht es jedem heutzutage nur um Macht und Reichtum?“ Henriette erhob sich, nahm Lucs Bild an sich und verbarg es hinter ihrem Rücken.

      „Ich bin enttäuscht, dass du mich derart verkennst“, sprudelte es aus Jeannes kleinem Mund, der immerzu schimmerte. Auch sie stand auf und ging einige Schritte. „Ich bin kein schlechter Mensch. Aber ein Mensch mit vielen Ideen, die ich in der Kleinbürgerlichkeit meines Lebens keinesfalls umzusetzen vermag. Mit einem König an meiner Seite wäre es anders, denn ich interessiere mich für vieles. Ob Politik oder Kunst, Wissenschaft oder Porzellan. Ich möchte etwas verändern. In meinem Leben und für Frankreich. Sogar den Soldaten fühle ich mich verbunden und ihren verwaisten Familien. Und natürlich möchte ich meiner eigenen mehr bieten, als uns zur Verfügung steht.“ Jeanne blieb stehen. Sie hatte Tränen in den Augen.

      „Was soll ich dazu sagen? Es ist dein Leben“, gab Henriette nach. Das Gespräch würde unweigerlich zum Streit führen, weil ihr nach wie vor das Verständnis fehlte. Jeanne hatte Charles. Außerdem war sie in anderen Umständen. Trotzdem konnte sie sich scheinbar nichts Schöneres vorstellen, als die Geliebte des Königs zu werden. Doch wer wusste schon, ob ihre Saat tatsächlich aufgehen würde? „Du bist anders als ich, Jeanne, aber weil mir unsere Freundschaft wichtig ist, werde ich vergessen was du mir soeben erzählt hast.“ Henriette öffnete die Truhe und legte Lucs Bild vorsichtig hinein.

      „So wie ich vergessen werde“, kam es leise zurück, „wie du das Portrait deines Bruders gemalt hast und es jetzt betrachtest.“

      Henriette richtete sich abrupt auf. „Wie denn?“ Ihre Wangen brannten.

      „Beides spricht von tiefer Liebe.“

      „Er ist mein Bruder. Wieso sollte ich ihn nicht lieben?“

      „Natürlich, du hast recht. Doch da ist noch etwas anderes. Ich sehe meinen Bruder jedenfalls nicht auf diese Weise an. Aber keine Angst, ich schweige wie ein Grab. Mir ist ohnehin nichts fremd auf dieser Welt.“

      Henriettes Herz hämmerte regelrecht gegen die Brust. „Was reimst du dir da zusammen?“

      „Verzeih“, Jeanne hob beschwichtigend die Hände, „ich bin zu weit gegangen. Doch wie du den Platz an Lucs Seite verteidigt hast und sein Bild …“

      „Das höre ich mir nicht länger an!“, fuhr Henriette ihr über den Mund. All die aufgestaute Wut brach aus ihr heraus. Hastig hob sie ihr Kleid an und lief die Stufen hinunter. Jeannes Rufe schallten durch das Gewölbe, aber sie rannte weiter, denn sie hatte die Nase voll von Anspielungen jeglicher Art. Sei es von Jeanne, Philippe oder der Großtante.

      Demonstrativ schlug sie die Tür hinter sich zu. Genauso würde sie