wieherten, laute Stimmen dröhnten vom Innenhof herauf. Schritte hallten eilig durch den Gang. Jemand schleifte etwas hinter sich her. Eine Truhe? Womöglich brachen die ersten Höflinge zur Heimfahrt auf.
Lustlos schlug sie die Decke zurück und rieb sich die Augen, bevor sie zu den verstaubten grünen Vorhängen schaute. Ein schmaler Lichtstreifen drang durch den Spalt und teilte den Holzboden. Nahe dem Bettpfosten wurde er von einem waagrechten Streifen gekreuzt. Wie ein Kruzifix. Henriette schüttelte sich, aber nicht deswegen, sondern weil ihr die Unterhaltung mit Jeanne in den Sinn kam. „So etwas Absurdes“, flüsterte sie, verbat sich jedoch jeden weiteren Gedanken daran und verließ das Bett. Dann zog sie die Vorhänge auf. Sonnenlicht drang herein und tauchte die Kammer in grelles Licht. Sie wollte gerade zum Wasserkrug hinter der Waschschüssel greifen, als sie aufhorchte. Die laute Stimme der Großtante schallte durch den Gang. Gleichzeitig hörte sie Dianas, die nicht viel leiser sprach. Offensichtlich stritten sie sich.
Schnell schlüpfte Henriette in die Pantoffeln, streifte sich den sandfarbenen Morgenmantel über das zarte Spitzennachthemd und lief hinaus.
Diana stemmte erbost die Hände in die Hüften und schaute die Großtante zornig an. Élisabeth, selbst noch im Morgenrock, war sichtlich mit der Situation überfordert.
„Du wirfst mich allen Ernstes aus dem Schloss?“ Françoise lachte affektiert. „Dazu hast du kein Recht!“ Henriette beschleunigte ihre Schritte.
„Nachdem ich hinter deine ungeheuerliche Machenschaft gekommen bin, habe ich jedes erdenkliche Recht dazu. Also pack gefälligst deine Sachen, Mutter, und verschwinde aus unserem Leben!“
„Selbst wenn ich das täte, würde es nicht das Geringste ändern. Und falls du auf Lottis oder Babettes Schützenhilfe zählst, vergiss es. Sie werden keinen Finger rühren.“
„Bitte, hört auf“, mischte sich Élisabeth ein, neben der Henriette nun stand, und hielt Françoise am Arm fest. Mit einem Ruck befreite sich die Großtante, ordnete die Falten ihres Kleides und wischte sich über den Ärmel, als würde es sie vor Élisabeths Berührung ekeln.
„Kann mir mal jemand sagen, warum ihr euch streitet?“, fragte Henriette und blickte zu Françoise. Dabei zog sie den Gürtel ihres Morgenmantels enger und stellte sich demonstrativ an Dianas Seite, die rotgeweinte Augen hatte.
„Meine Tochter und ich sind wieder einmal verschiedener Ansicht“, tobte Françoise, deren Zittern nie stärker gewesen war. „Sie glaubt zu allem Überfluss, dass sie mich erpressen könnte. Aber da hat sie sich geschnitten.“
„Ha, dass ich nicht lache“, stieß Diana aus. „Wer erpresst hier wohl wen?“
Henriette hielt ihre Schwägerin sanft an den Schultern fest. „Du musst dich beruhigen. Vor allem deinem Kind zuliebe.“
„Du hast ja keine Ahnung, was hier gespielt wird. Aber ich sollte tatsächlich auf mein Zimmer gehen, das hier hat ohnehin keinen Sinn. Begleitest du mich? Es gibt nämlich einiges, das du wissen solltest, Henriette.“ Ihre Schwägerin zog sie an der Hand mit sich.
„Willst du schon wieder die Flucht ergreifen?“, kreischte Françoise und stellte sich ihnen in den Weg. Diana ließ Henriette augenblicklich los, machte kehrt und eilte zur Treppe. Henriette folgte ihr, wie auch die Großtante und Élisabeth. Plötzlich wurde Henriette an den Haaren zurückgerissen. Sie schrie auf und konnte sich gerade noch am Geländer festhalten. Wie eine Furie drängte Françoise sie beiseite und verfolgte Diana mit einer Schnelligkeit die Stufen hinunter, die man ihr nicht zugetraut hätte. Unten im Foyer bekam sie ihre Tochter zu fassen und schubste sie in den Rücken. Diana strauchelte, behielt jedoch das Gleichgewicht und drehte sich zornig zu ihr um.
„Was willst du denn noch, Mutter? Mich umbringen?“
Henriette war wie erstarrt, als Françoise plötzlich schallend lachte. Aber es endete genauso abrupt wie es angefangen hatte. Mit verengten Augen stierte sie Diana an, die vor der Rosenholzkommode stand. „Du wirst keinen Ton sagen, hast du mich verstanden?“
„Und ob! Henriette sollte wissen, dass Luc nicht …“
Plötzlich stieß die Großtante einen wütenden Schrei aus und schubste Diana von sich. Mit weit aufgerissenen Augen taumelte sie nach hinten, verlor den Halt und prallte mit der Schläfe gegen die Kante der Kommode, bevor sie auf den Boden stürzte und hart mit dem Kopf auf dem Marmor aufschlug.
Das knacksende Geräusch fuhr Henriette bis ins Mark. „Diana!“, schrie sie auf, hetzte die Treppe hinunter und drängte Françoise zurück. Élisabeth wimmerte leise. Diana lag leblos vor ihnen. Henriette fühlte sich wie gelähmt, als plötzlich die Eingangspforte aufgestoßen wurde.
„Was schreit ihr hier so … Kind, was um alles in der Welt …“, Henriettes Mutter schlug sich die Hand auf den Mund und blickte auf Diana. Dann schaute sie Françoise an. „Was hast du getan?“
„Mach dich nicht lächerlich“, verteidigte sich die Großtante. „Es war ein Unfall. Sie wird schon wieder.“
„Das war kein Unfall!“, widersprach Élisabeth und blickte zur Treppe hoch. „Und Ihr? Was gafft Ihr wie Holzklötze? Macht, dass Ihr verschwindet.“ Die Marquise und Rosalie blickten verstört zu Diana und hatten wenige Sekunden später das Palais verlassen. Die Pforte stand weit offen. Ein kühler Lufthauch wehte herein.
„Wir brauchen einen Arzt.“ Die Mutter blickte sich um. „Wo sind die verdammten Dienstboten?“ Sie beugte sich zu Diana und legte Zeige– und Mittelfinger an ihren Hals. „Ich fühle einen Puls. Aber er ist schwach.“
Henriette zögerte, bevor sie sich zu Diana kniete und ihr über das wächserne Gesicht strich. Aus ihrem Mund floss ein dünnes Rinnsal Blut, an der Schläfe zeigte sich eine tiefe Fleischwunde. „Sie fühlt sich so kalt an.“
„Du meine Güte, Diana!“ Lotti kam aus dem Salon. Wut stieg in Henriette hoch. Die Großmutter musste den Streit gehört haben. Weshalb hatte sie nicht eingegriffen? „Was ist mir ihr?“
„Sie ist gestürzt“, sagte Henriettes Mutter und hielt die flache Hand über Dianas Mund. „Ihr Atem wird schwächer. Élisabeth, lauf zu den Stallungen. Einer der Burschen soll unser bestes Pferd nehmen und sofort nach Chinon reiten, um den Arzt zu holen. Los, lauf! Sonst stirbt sie uns unter den Händen weg.“
„Ich werde nach Chinon reiten!“
Henriette war wie vom Donner gerührt, als sie hochblickte.
Luc stand in Uniform und mit eherner Miene in der offenen Tür. Seine weiße Hose steckte in hohen schwarzen Lederstiefeln, die bis zum Schaft mit Dreck beschmutzt waren. Er trug einen blauen Rock mit rot–weißem Abzeichen. In den sehnigen Händen hielt er eine schwarze Pelzkappe mit weißer Kordel. Ihre Blicke trafen sich. Sekundenlang trat alles andere in den Hintergrund. Henriette spürte nur ihren schnellen Herzschlag. Nie zuvor hatte sie Luc im Ehrenkleid der Nation gesehen. War er ihr deswegen fremd und doch vertraut zugleich?
„Ein Desaster folgt dem nächsten! Was tust du hier?“ Lottis Stimme klang schrill. „Aber wenn du schon helfen willst, schaff einen Arzt herbei und damit ist deine Schuldigkeit getan. Gute Reise, wo auch immer sie dich als nächstes hinführt.“ Die Großmutter eilte in den Salon zurück und ließ die Tür mit lautem Knall hinter sich zufallen. Henriette war entsetzt über Lottis Gehässigkeit, die Mutter blickte Luc entschuldigend an.
„Ich bin bald zurück“, sagte er, legte die Sturmhaube auf die Kommode und hetzte hinaus.
„Für mich gibt es nichts mehr zu tun.“ Françoise ging auf den Salon zu.
„Nein, du hast genug getan“, pflichtete die Mutter ihr mit brüchiger Stimme bei. „Henriette, wir müssen Diana warmhalten. Hol eine Decke.“ Die Salontüre fiel erneut lautstark ins Schloss.
„Dafür ist keine Zeit.“ Mit fiebrigen Fingern öffnete Henriette die Schlaufe ihres Gürtels, zog sich den Morgenmantel aus und breitete ihn über Diana. Élisabeth sank auf die unterste Treppenstufe, als hätte sie keine Kraft mehr. Dann faltete