Bettina Reiter

Die Geschwister Bourbon-Conti - Ein fatales Familiengeheimnis


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      „Wenn es so einfach wäre! In der Familienhierarchie steht meine Mutter über uns allen. Außerdem glaubt sie immer noch, dass sie die wahre Königin Frankreichs ist.“ Vorsichtig stiegen sie über einige Wurzeln hinweg. „Du magst der Enkel Frankreichs sein, ich aber bin die Tochter Frankreichs“, zitierte Diana. „Das hat sie einmal zu meinem Vater gesagt. Wie überheblich sie ist! Aber sie hat enormen Einfluss, obwohl mir nicht in den Kopf will, dass vor allem deine Mutter die Pläne unterstützt. Das sieht ihr gar nicht ähnlich, denn dass sie dich liebt, sieht ein Blinder. Umso mehr müsste ihr daran liegen, nicht derart gegen deinen Willen zu handeln. Trotzdem bleibt sie standhaft bei ihrer Entscheidung und wir stehen auf verlorenem Posten. Deshalb …“, sie blieb stehen und zwang auch Henriette dadurch dazu, „solltest du zusehen, dass du schnell erwachsen wirst.“

      „Wenn erwachsen sein bedeutet, dass man keine Träume mehr haben darf, dann bleibe ich lieber ein Kind“, konterte Henriette und ging weiter. Diana folgte ihr.

      „Man kann nicht ewig ein Kind bleiben, denn das Leben ist keines deiner Märchen.“ Sie waren wieder auf gleicher Höhe.

      „Was haben meine Bücher damit zu tun?“

      „Sie entspringen der Fantasie“, fauchte Diana sie auf einmal an, „und nicht der Wirklichkeit.“

      „Als ob ich das nicht wüsste.“ Auch Henriette wurde wütend. „Aber jeder behandelt mich so, wie es ihm gerade passt. Will ich eine Erklärung, bin ich zu jung dafür. Möchte ich nicht heiraten, heißt es, ich wäre alt genug.“

      „Du hast ja recht“, lenkte ihre Schwägerin ein. „Entschuldige. Ich habe meinen Zorn an dir ausgelassen.“

      Die Luft kühlte Henriettes erhitzte Wangen. „Schon gut, wir stehen im Augenblick alle etwas neben uns.“ Plötzlich blieb Diana stehen und taumelte leicht. „Was ist mit dir?“ Sofort war Henriette bei ihr und fasste nach ihren Armen, um sie zu stützen.

      „Keine Ahnung.“ Diana schloss kurz die Augen. Als sie sie wieder öffnete, atmete sie tief durch und auf einmal erhellte ein Lächeln ihr Gesicht. „Fühl mal.“ Sie fasste nach Henriettes Hand und legte sie auf ihren Bauch.

      Das Kind bewegte sich. „Es ist sehr kräftig“, stellte Henriette fest und lächelte ebenfalls.

      „Ich werde sie Claire nennen.“ Dianas Lachen hatte etwas Ansteckendes. Das mit Hölle und Himmel schien tatsächlich zu stimmen. „Es wird nämlich ein Mädchen.“

      „Du klingst so überzeugt, dass ich dir beinahe glauben möchte.“

      „Ich bin überzeugt. Als Mutter hat man oft einen siebten Sinn.“

      „Es ist wunderbar, dich so gelöst zu sehen“, stellte Henriette fest, bereute ihre Aussage jedoch in der nächsten Sekunde, weil Diana die Stirn runzelte.

      „Seit Mutters Ankunft denke ich ernsthaft darüber nach, mit Louis und den Kindern woanders ein neues Leben zu beginnen“, gestand sie. „So wie Luc. Er hat das Richtige getan.“

      Henriette schluckte hart und zog ihre Hand zurück. „Er ging, ohne sich zu verabschieden und das findest du in Ordnung?“

      „Luc ist kein Mann, der sich verbiegen lässt. Weder von Lotti noch von deiner Mutter. Lieber ist er fortgegangen. Aber langsam könntest du ihm verzeihen.“

      „Das habe ich längst getan.“

      „Du hörst dich aber an wie eine verlassene Ehefrau.“

      Henriette setzte sich in Bewegung. Sie konnte nicht mehr stillstehen. Mit zwei Schritten hatte Diana sie eingeholt. „Was für einen Blödsinn redest du da?“, verteidigte sie sich. „Darf eine Schwester nicht wütend sein? Außerdem hast du keine Ahnung, wie kalt Luc vor seinem Verschwinden gewesen ist. Das hat wehgetan. Genau wie die Tatsache, dass ich mir sein Verhalten bis heute nicht erklären kann.“

      „Es musste nicht zwangsläufig etwas mit dir zu tun haben. Sieh mich an, ich habe dich vorhin auch angefahren, obwohl du das zuletzt verdient hast.“ Ihre Schwägerin schwieg kurz. „Du erzähltest von seinem Streit mit Lotti. Manchmal ist man auf einen Menschen böse und lässt es alle anderen spüren. Erst recht jene, die einem am nächsten sind. Nun, Luc kommt ja bald wieder. Und mit ihm die Wahrheit.“ Äste knackten unter ihren Schritten. „Bis dahin werde ich versuchen, einen Ausweg für uns alle zu finden. Zumal Louis niemals freiwillig seine Heimat verlassen würde. Dazu hängt er zu sehr an diesem Leben. Doch vielleicht gibt es eine andere Möglichkeit, denn ich werde das Gefühl nicht los, dass an der Sache mit Philippe irgendetwas faul ist.“ Diana legte den Arm um ihre Schultern und drückte sie an sich. „Sollte es tatsächlich so sein, werde ich es herausfinden, verlass dich darauf.“

      „So kämpferisch kenne ich dich gar nicht.“

      „Ich mich auch nicht“, erwiderte ihre Schwägerin ernst, „aber es Zeit, dass ich mich endlich zur Wehr setze. Ich habe mir schon viel zu viel von meiner Mutter gefallen lassen.“

      Auf einmal zerriss ein Schuss die Stille. Diana und Henriette fuhren erschrocken auseinander und schauten um sich.

      „Vermutlich sind einige Höflinge auf der Jagd“, fasste sich Henriette als Erste. In Dianas Zustand war jede Aufregung Gift. „Wir sollten lieber ins Schloss zurückgehen.“ Sie drehten um und eilten durch den Wald. Als ein weiterer Schuss fiel, beschleunigten sie ihre Schritte. „Kommt Jeanne eigentlich auch zum Ball?“, erkundigte sich Diana schnaufend. „Ich würde sie gern kennenlernen, nachdem du so viel von ihr erzählt hast.“

      „Ja, diesmal wird Jeanne dabei sein“, erwiderte Henriette und war plötzlich von Freude erfüllt. „Sie und ihr Mann wollen einige Tage bleiben.“

      6. Kapitel

Grafik 11

      Henriette blickte in den goldumrahmten Spiegel, der im Gang des ersten Stockes hing. Sie trug ein hellgrünes einteiliges Seidenkleid, das sich an der Taille teilte. Darunter schimmerte der dunkelgrüne Unterrock hervor. Der Saum war mit goldenen Rosenbordüren bestickt. Ihren Ausschnitt verzierte filigrane Spitze aus Weißstickerei, ebenso wie die ellenlangen Flügelärmel. Es war eines der neuen Kleider, die Lotti in Auftrag gegeben hatte und sie musste zugeben, dass es wunderschön war. Allerdings hatte es bestimmt seinen Preis gehabt.

      Flüchtig betastete Henriette ihr Haar. Wie üblich hatte sie es zu einem Zopf geflochten und hochgesteckt, an den Seiten kräuselten sich Locken herab. Auf Schmuck hätte sie gern verzichtet, doch Lotti hatte die Familienschatulle gebracht und erbost darauf bestanden, dass sie die dreireihige Goldkette mit den grünen Smaragden trug und die dazu passenden Ohrringe. Den Spruch, sie wolle sich nicht blamieren, konnte Henriette inzwischen nicht mehr hören, hatte sich aber gefügt.

      Der Schmuck funkelte im fahlen Abendlicht, das durch die hohen Rundbogenfenster fiel. Hinter ihr öffnete sich die Tür und sie fing Élisabeths Blick im Spiegel auf. Henriette drehte sich um, gleichzeitig verließ Charlotte ihre Kammer.

      „Wie hübsch du bist, Élisabeth“, entfuhr es Henriette. Die Angesprochene drehte sich lächelnd um die eigene Achse. Sie trug ein kirschrotes Taftkleid, das je nach Lichteinfall an die frische Farbe reifer Orangen erinnerte. Auf ihren Schultern lag ein rotes Tuch und ihren Kopf schmückte eine weiße Haube mit roter Verzierung.

      „Ich schätze, das Kompliment hat mir gegolten“, mokierte sich Charlotte und zog Élisabeth mit sich, ohne Henriette eines Blickes zu würdigen, der es schwerfiel den Mund zu halten. Krankheit hin oder her. „Im Gegensatz zu dir, Élisabeth, sehe ich nämlich wie eine Dame aus“, hörte sie Charlotte, deren Kleid eher an ein Nachtgewand erinnerte. Der tiefe Ausschnitt hätte ebenso in ein Bett gehört. Ihre Haare hatte sie über eine Fontange hochgekämmt. Das blaue Seidentuch hielt sie in der Hand, statt züchtig die Blöße zu verdecken.

      Neuerlich öffnete sich die Tür und flog gleich darauf wieder lautstark ins Schloss. Maria trippelte der Mutter nach.