Bettina Reiter

Die Geschwister Bourbon-Conti - Ein fatales Familiengeheimnis


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die mit ihrem zitronengelben Kleid aus der Menge der überwiegend dunkel gekleideten Frauen herausstach. Starr schaute die Mutter auf Rosalies schnatternden Mund, als ob sie kein Wort versäumen wollte. Dabei wirkte sie meilenweit entfernt. Am liebsten hätte Henriette sie mit sich aus dem Saal gezogen, in dem ein ständiges Kommen und Gehen herrschte. Manche saßen bereits erwartungsvoll an den langen Tafeln, die sich am Rand des Saales aneinanderreihten. Einige Männer zeigten sich gegenseitig ihre Zigarren. Sie konnten es wohl kaum erwarten, sie nach dem Diner im Raucherzimmer oder im Park zu genießen.

      Viele Höflinge hatten sich nicht zu ihnen verirrt. Nur neun Zimmer waren belegt. Die meisten waren aus den umliegenden Schlössern angereist. Auffällig gepudert, Frauen wie Männer, teils mit Perücken, die vermutlich die Köpfe etlicher Ahnen vor ihnen geschmückt hatten. Einige Männer trugen Westen und Kniebundhosen, dazu Halsbinden. Ihre Schuhe waren mit Messingschnallen oder mit Silber und Gold verziert. Nur wenige hatten sich in schwarze Kniestrümpfe gezwängt, die meisten trugen weiße. Die Frauen glänzten in Taftkleidern, edlem Satin oder Damast und schienen eine Vorliebe für großflächige Blumenmuster sowie Bänder und Juwelen im Haar zu haben.

      „… und wundere mich, dass sich ein Marschall wie Hermann von Sachsen mit dem Dasein eines Junggesellen begnügt“, äußerte sich Madame de Rohan. Ihre Miene sprach Bände. Sofern möglich, würde sie vermutlich – trotz Rosalies Schwärmerei und der Tatsache, dass sie selbst seit Jahren verheiratet war – seinem Alleinsein nur zu gerne ein Ende bereiten. „Es ist ein Verbrechen, dass dieser Mann keine treusorgende Frau hat.“ Wie üblich stank sie penetrant nach Knoblauch. Henriette versuchte, nur durch den Mund einzuatmen. „Junggesellen sterben früher, das sollte Hermann von Sachsen dringend bedenken.“ Madame de Rohan schnaufte wie ein Walross, während Rosalie die Adlernase pikiert nach oben zog. „Wie gern wäre ich an Adriennes Stelle gewesen.“

      „Dann würdest du jetzt am Ufer der Seine verfaulen“, stieß Rosalie aus und warf ihrer Schwester einen eifersüchtigen Blick zu. „Du hast ihn eklatant auffallend angestarrt“, empörte sie sich prompt. „Dabei bist du verheiratet!“

      „Na und? Deswegen habe ich trotzdem Augen im Kopf.“

      „Beruhigt euch, meine Lieben.“ Die Marquise legte sich den Handrücken an die Stirn, als wäre sie überfordert und würde kurz vor einer Ohnmacht stehen. Rosalie leerte ihr Weinglas mit einem Zug. „Der Mann weiß genau, welche Wirkung er auf Frauen hat und jede mit Verstand sollte einen weiten Bogen um ihn machen. Du findest schon noch einen Mann, Rosalie. Und du hast ja bereits einen“, sagte sie an Madame de Rohan gewandt, bevor sie Rosalies Arm tätschelte, die auf dem Heiratsmarkt herumgereicht wurde wie verschmähte Ware, was sicherlich auch an ihrem wenig ansprechenden Äußeren lag. Warzen drängten sich an Kinn und Stirn aneinander. Tiefe Augenringe ließen die Augen weit hervortreten und an den Mundwinkeln hing ständig Speichel. Vermutlich, weil sie so viel sprach. Und dass sie an Begräbnissen teilnahm, um sich den jeweiligen Witwer zu angeln, verschlimmerte das ohnehin angekratzte Renommee.

      Henriette begann zu schwitzen. Die Luft wurde immer stickiger. Außerdem hatte sie Durst. Umso erleichterter registrierte sie, dass ihre Mutter die Hand in Richtung der Musiker hob. Sofort hörten sie zu spielen auf.

      Dann klatschte die Mutter in die Hände. Allmählich verstummten die Gespräche. „Ich bitte zu Tisch“, rief sie. Ein Gedränge sondergleichen entstand, als hätten alle in den letzten Wochen gefastet. Trotzdem dauerte es, bis sich die Gäste an den Tafeln verteilten oder den entsprechenden Platz gefunden hatten, da es eine Sitzordnung gab.

      Auch Henriette hatte Platz genommen. Ihre Mutter saß neben ihr, Françoise und deren Töchter gegenüber. Lotti und Diana setzten sich ebenfalls zu ihnen wie Alexandrine. Philippe hingegen ließ sich nicht blicken. Sein Stuhl würde hoffentlich den ganzen Abend leer bleiben.

      Suchend schaute sich Henriette um. Jetzt, da alle saßen, war der Raum leichter zu überblicken. Doch so sehr sie sich bemühte, Jeanne war nicht zu sehen. Enttäuscht beobachtete sie die Diener beim Auftragen der Speisen oder wie sie die Gläser mit rubinrotem Wein füllten.

      Die Marquise und ihre Freundinnen saßen in der Nähe und hatten hochrote Köpfe. Vermutlich diskutierten sie noch immer über Hermann Moritz von Sachsen. Der Ehemann der Marquise zupfte ständig an seinem gezwirbelten Bart, während der Mann von Madame de Rohan – ein wohlhabender Heereslieferant – ein finsteres Gesicht machte.

      „Die Zeiten haben sich zu ihrem Vorteil verändert, findet ihr nicht auch?“, eröffnete Alexandrine die Tischkonversation. Sie saß Henriette gegenüber und aß ihre Suppe ausnahmsweise mit dem Löffel. „Was haben wir früher für ausschweifende Feste auf Versailles gefeiert! Aber nun besinnt man sich mehr auf das Private, obwohl ich einen Ball wie diesen um nichts in der Welt versäumen möchte.“ Sie sandte Henriettes Mutter einen lobenden Blick.

      „Au diable“, erboste sich Françoise, „was gebt Ihr für dummes Zeug von Euch?“ Zornig warf sie ihren Löffel in den halbvollen Suppenteller. Die ´Olla podridaˋ spritzte nach allen Seiten und hinterließ fettige Flecken auf der weißen Damast–Tischdecke und an Françoises Kleid. „Wie könnt Ihr diese Zurückgezogenheit gutheißen?“, verschoss sie weiteres Pulver, während sich die Gäste an den anderen Tischen angeregt unterhielten. Scheinbar hatte niemand gemerkt, dass an ihrem Tisch ein Streit entbrannte, denn der Lärmpegel war so hoch, dass selbst das Klirren des Löffels niemanden aufgeschreckt hatte. „Seit Ludwigs Amtsantritt verwaist Versailles, da die Aristokratie bevorzugt auf das Land oder in Stadtschlösser zieht. Ich kann dieser neuen Privatsphäre nichts abgewinnen und fühle mich um frühere Annehmlichkeiten beraubt. Davon abgesehen: Die Suppe ist grauenhaft.“ Françoise blickte zornig zu Lotti. „Welches Fleisch hast du ihr beifügen lassen? Verdorbene Abfälle?“

      Alexandrine wischte sich mit der weißen Serviette über die Wangen und betupfte dann ihr roséfarbenes Kleid. Erst jetzt bemerkte Henriette die winzigen Spritzer an Brust und Schulter.

      „Wir Bourbonen verehren diese Suppe wie ein Heiligtum“, raffte sich Lotti zu einer Entgegnung auf, „beste Zutaten verstehen sich daher von selbst.“

      „Was noch lange nicht heißt, dass wir denselben Geschmack teilen. Ich mochte diese Suppe noch nie!“

      „Dann hast du bloß Vater zuliebe so getan als ob? Weil sie sein Lieblingsgericht war?“ Lotti zog die Augenbraue in die Höhe. „Du warst schon immer eine Denunziantin.“

      „Und dir stets einen Schritt voraus.“ Françoise nahm den Löffel und aß weiter, als wäre nichts geschehen. Die Suppe war gehaltvoll, mit einer Einlage aus dem zarten Fleisch von Rebhühnern, Wachteln, verschiedenen Gemüsesorten und wunderbar gewürzt. Dennoch fehlte Henriette der Appetit. Lotti und die Mutter neben sich zu wissen und schweigen zu müssen, fiel ihr von Minute zu Minute schwerer. Außerdem fand sie diesen Streit immer lächerlicher. Nicht nur die Frisuren der Großmutter und Großtante waren heute aufeinander abgestimmt, beide Schwestern trugen ein karmesinrotes Seidenkleid mit Goldstickerei und hochgeschlossenem Kragen. Bespitzelten sie sich jetzt schon wegen der Kleidung?

      „Nun ja, vielleicht habe ich Glück, Françoise, und dir bleibt ein Stück Fleisch im Hals stecken“, trumpfte Lotti auf und schlürfte demonstrativ. Henriette stieß einen genervten Laut aus. Charlotte tauschte ihren Teller mit dem vollen von Élisabeth. Die Mutter aß wie Diana mit gesenktem Kopf, ebenso Alexandrine. Gab es denn niemanden, der dem Ganzen endlich ein Ende bereitete?

      „Das kann ich mir vorstellen. In deiner jetzigen Lage wäre es die einfachste Lösung, nicht wahr, Lotti? Aber den Gefallen tu ich dir nicht.“

      „Schade.“

      „Ich hasse dich!“ Der Löffel in Françoises Hand bebte plötzlich.

      „Warum? Weil ich nicht wie Espenlaub zittere so wie du?“, fauchte Lotti.

      Langsam ließ Françoise den Löffel sinken und legte ihn neben dem Teller ab. „Hör endlich damit auf, mir beweisen zu wollen, dass du mir ebenbürtig bist. Das warst du nie und wirst es nie sein. Auch in Vaters Gunst stand ich immer höher. Das beweist schon meine Mitgift“, redete sie sich in Rage.

      „Legitimiert