Christine Jörg

Geh in die Wueste


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gutmachen?

      Ruth vergrub sich vollkommen in ihren Büchern. Im Augenblick zählte nur noch das Studium. Außerdem wollte sie sich schon einmal auf ihre Arbeit als Referendarin an der Realschule in Lindau vorbereiten.

      Nachdem sie Fernandos Abschiedsbrief bekommen hatte, wagte Ruth es nicht mehr zu ihren Eltern zu fahren. Wie sollte sie ihnen auch erklären, was vorgefallen war? Es war ihr peinlich, außerdem wusste sie, dass ihre Eltern Fernando ins Herz geschlossen hatten. Wie sollte sie ihnen erklären, dass es aus war? Auch hatte sie vor der Reaktion ihrer Eltern Angst. Bestimmt würden sie Ruth erklären, dass das absehbar war. Und von wegen, das hatten wir doch gleich gewusst und so weiter. So etwas wollte Ruth im Augenblick nicht hören.

      Ruths Mutter kam jedes Jahr im Frühjahr für ein Wochenende nach München um mit ihrer Tochter durch die Stadt zu bummeln und vielleicht ein Theater oder Konzert zu besuchen. So auch in diesem Jahr.

      Wie immer holte Ruth ihre Mutter vom Bahnhof ab. Sie fuhren mit der S-Bahn zur Wohnung und brachten das Gepäck in Sicherheit.

      Gabi hielt sich während des Wochenendes bei Stefan auf. Also hatten die zwei Frauen sturmfreie Bude.

      „Ich habe dir und Gabi Käse und Wurst mitgebracht“, sagte die Mutter, während sie die Tasche ausräumte und einen Rock mit Bluse auf den Bügel hängte, den Ruth ihrer reichte.

      Während Frau Häberle nach dem Kleiderbügel griff, den ihre Tochter ihr zuschob, schaute sie Ruth prüfend an.

      „Du bist dünn geworden“, stellte sie schließlich fest. „Überhaupt, du siehst gar nicht gut aus. Lernst du zu viel? Isst du zu wenig? Oder bist du krank?“ Man sah Frau Häberle an, wie sie sich Sorgen um das Wohl ihrer Tochter machte.

      „Natürlich ist alles in Ordnung“, versuchte Ruth so munter wie nur möglich zu antworten.

      Sie lächelte ihre Mutter sogar freundlich an. „Mama, du brauchst doch nichts mitbringen. Wir sind hier in München und bekommen alles.“ Dabei blickte sie in die Reisetasche der Mutter.

      „Ja, aber trotzdem“, beharrte ihre Mutter. „So einen guten Käse wie im Allgäu kriegst du hier nicht.“ Sie bückte sich, holte das Paket mit Käse und Wurst aus der Tasche und drückte es ihrer Tochter in die Hand. Ruth trug alles in die Küche, verstaute das Paket unbesehen im Kühlschrank und kehrte ins Zimmer zurück.

      Ruths Mutter stand mit einem Brief in der Hand da und wartete auf sie. Nun streckte sie ihn ihrer Tochter entgegen: „Übrigens, da sind Grüße für Fernando. Vielleicht kannst du sie ihm mit deinem Brief schicken. Er freut sich bestimmt.“

      So, nun war es so weit. Jetzt musste sie ihrer Mutter reinen Wein einschenken. Der Moment vor dem sie sich so sehr gefürchtet hatte, war da. Wie sage ich es meiner Mutter? Deswegen hatte sie sich bis jetzt vor dem Geständnis gedrückt.

      Zuerst sah Ruth sich suchend um, doch es war niemand da, der ihr helfen konnte. Immer noch zögerte sie. Ihre Mutter stand vor ihr und hielt ihr einen Brief entgegen, den sie gar nicht annehmen wollte. Sie wusste ja auch nicht, was sie damit sollte. Es war fast, als verlangte man von ihr, dass sie ein heißes Eisen anfasste. Ruth begann zu zittern.

      Schließlich streckte sie langsam und zögernd ihre Hand aus und nahm den weißen Umschlag entgegen. Der wäre ihr beinahe entglitten.

      Mit leiser, tränenerstickter Stimme sagte sie schließlich: „Mama, Fernando hat vor etwa sechs Wochen seine langjährige Verlobte geheiratet.“

      Ihre Mutter wurde bleich. Sie ließ sich auf den Sessel fallen, der genau hinter ihr stand: „Was?“, war das Einzige, was sie dazu sagen konnte. Das Entsetzen war ihr ins Gesicht geschrieben.

      „Hast du gewusst, dass er verlobt war?“, wollte sie nach einer Weile des Schweigens von Ruth wissen.

      Diese schüttelte nur den Kopf. Sie konnte jetzt nicht sprechen. Eigentlich wollte sie das Zimmer verlassen, doch ihre Mutter hielt sie auf, in dem sie schnell nach Ruths Arm griff.

      „Wie lange weißt du das jetzt?“, forschte Ruths Mutter nach.

      Ruth zuckte mit den Schultern. „Etwa seit drei Wochen. Aber was ändert das?“

      „Nichts“, gab die Mutter zurück. „Aber weshalb bist du dann nicht nach Hause gekommen.“

      „Weil ich nicht hören wollte“, Ruth war aggressiv geworden, „wir haben dir doch gleich gesagt, mit dem Kerl stimmt was nicht. Besonders nachdem ihr ihn so hochgejubelt habt.“

      Frau Häberle schaute ihre Tochter mit großen Augen erstaunt an und wehrte ab. „Das ist doch Quatsch.“

      „Gar nichts ist das“, widersprach Ruth energisch und schaute ihre Mutter böse an. „Ich kenn euch doch. Mit eurem kleinbürgerlichen Gehabe.“

      „Das stimmt überhaupt nicht“, nun war es an Frau Häberle verärgert zu sein. „Schließlich bist du unsere Tochter und wir müssen sehen, was am besten für dich ist.“

      „Ja, ja, Mama“, sagte Ruth und nickte eifrig. „Passt schon. Komm lass uns essen gehen und danach bummeln, deswegen bist du doch gekommen.“

      „Ich habe keine große Lust mehr“, Frau Häberle blieb auf dem Sessel sitzen.

      Ruth näherte sich ihrer Mutter und legte die Arme um sie. „Ach, Mama!“, drängte sie, „jetzt gehen wir. Ich habe ein kleines Restaurant entdeckt, das schauen wir uns heute an.“

      Die zwei Frauen verließen die Wohnung. Mit S-Bahn und U-Bahn fuhren sie nach Schwabing, in das Restaurant, das Ruth ins Auge gefasst hatte.

      Frau Häberle schien Fernandos Fehlverhalten immer noch zu bewegen, denn während des Essen sagte sie plötzlich: „Und was sage ich deinem Vater?“

      Ruth drohte zu explodieren. „Siehst du, Mama, genau das meine ich, wenn ich sage, dass ihr dann über mich herfallt. Wie sage ich es Papa? Herrgott noch mal, das ist mein Leben. Seit geraumer Zeit bin ich volljährig!“

      „Ach, Ruth“, wehrte sich die Mutter. „Du wirst immer unser Kind, unsere Tochter, bleiben. Auch wenn du vierzig bist. Das haben Eltern nun mal so an sich. Du wirst das schon noch feststellen, wenn du selbst Kinder hast.“

      „Ja, Mama, das mag ja sein“, lenkte Ruth ein und tätschelte die Hand ihrer Mutter. „Aber den Kindern geht es trotzdem ab und zu auf den Geist.“

      „Und was willst du jetzt tun?“, erkundigte sich Ruths Mutter.

      Ruth zuckte die Schultern und lächelte ihre Mutter müde an: „Das was ich vor Fernando und auch während der Zeit gemacht habe. Ich absolviere mein Studium und versuche ins Lehramt zu kommen. Das war immer mein Ziel. Nur, ich werde eben nicht in Chile unterrichten, sondern irgendwo hier. Zuerst werde ich als Referendarin in Lindau eingesetzt. Das ist ganz gut. Wenn ihr einverstanden seid, könnte ich Zuhause wohnen. Mit einem kleinen Auto bin ich schnell in Lindau.“

      Frau Häberle atmete erleichtert auf. „Das hört sich doch gut und vernünftig an. Natürlich kannst du wieder bei uns wohnen. Dein Zimmer ist jederzeit bereit. Das weißt du auch.“

      „Ja, klar“, sagte Ruth eifrig. „Aber fragen muss ich trotzdem. Ich kann nicht einfach so hereinplatzen und sagen hier bin ich, ich wohne wieder bei euch. Meine Prüfungen sind gut ausgefallen. Vielleicht ist das ein Anreiz für eine Lehrerstelle. Oder sogar eine Planstelle.“

      „So lange du die Flinte nicht ins Korn wirfst, ist es doch gut“, erwiderte die Mutter. „Was macht eigentlich Gabi?“

      Nun erzählte Ruth von der Fehlgeburt, und dass ihre Freundin zum Ende des Semesters zu ihrem Mann nach Neu Ulm umziehen würde. Es war das Ende einer langen Wohngemeinschaft. Alles Weitere würde sich finden.

      Nach den anfänglichen Reibereien mit ihrer Mutter, war Ruth ganz glücklich, dass ihre Mutter zu Besuch gekommen war. Eigentlich konnte man gut mit der ihr reden, hatte Ruth wieder einmal festgestellt.

      *

      Sie fuhr nun wieder regelmäßig die Eltern