Christine Jörg

Geh in die Wueste


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seiner Ankunft geschrieben hatte. Sie entschuldigte das damit, dass er so lange von zu Hause weg gewesen war und nun erst einmal Familie, Verwandte und Freunde besuchen musste. Außerdem hatte er ihr erklärt, dass er der Firma Siemens in Santiago einen Besuch abstatten würde um zu erfahren, wann er seine Stelle antreten sollte.

      Der Inhalt des Briefes war für Ruth enttäuschend. Sie hatte sich das Ganze etwas feuriger vorgestellt. Aber auch hier schob sie den Umstand des kühlen Stils auf die Entfernung und die Tatsache, dass ihn nun sein Latinoleben in Chile eingeholt und beeinflusst hatte. Dort herrschten eben puritanische Gepflogenheiten und Umgangsformen. Das hatte sie stets herausgehört, wenn Fernando von seinem Leben dort erzählte. Auch andere Mittel- und Südamerikaner hatten ihr das Leben in ihrer Heimat beschrieben und sie konnte deutliche Unterschiede zu den Lebensgewohnheiten in Deutschland heraushören. Nicht umsonst hieß es: Andere Länder, andere Sitten.

      Trotzdem schrieb Ruth ihm brav jede Woche. Sie wartete nicht auf Antwort, sondern hielt sich an die Abmachung. Es gab schließlich immer etwas zu erzählen, von dem sie ausging, es interessierte Fernando.

      Einmal war sie mit Gabi unterwegs. Dann ließen ihre Eltern Grüße ausrichten. Auch die waren von ihrem „Schwiegersohn in spe“ inzwischen angetan. So ein netter und wohlerzogener junger Mann, hieß es dann immer. Er wurde Ruths Geschwistern gegenüber als lobendes Beispiel erwähnt. Ein andermal luden Atilio und Oscar sie ein, mit in La Peseta Loca zu gehen. Sie hatten einen neuen Gitarristen und Sänger gefunden, sodass die Gruppe ihre Auftritte nach wie vor abhalten konnte. Der neue Gitarrist hatte ein Auge auf Ruth geworfen. Sie hatte jedoch nur Fernando im Kopf.

      In ihren Briefen an Fernando erzählte Ruth all diese Begebenheiten. Sie wollte ihn an ihrem Leben teilhaben lassen, wenn er schon nicht bei ihr sein konnte. Ruth war sich sicher, für Fernando war das so wichtig wie für sie selbst. Schließlich wollte sie auch alles von ihm wissen, doch er schrieb so wenig, so unpersönlich und so unregelmäßig.

      Obwohl immer etwas los war, fühlte sich Ruth einsam. Es war, als fehlte ein Teil von ihr. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie dieses Gefühl der Einsamkeit wieder einmal verlassen würde. Und die ganze Tortur würde noch gut zwei Jahre andauern.

      Eines war klar, die Klausuren an der Uni musste sie jedes Mal auf Anhieb bestehen, damit sie ihre Scheine bekam und ihr Studium nicht unnötig verlängerte.

      Immer, wenn in der Wohnung oder auch bei ihren Eltern das Telefon läutete, hoffte Ruth, Fernando meldete sich. Sie hatten zwar nicht vereinbart, miteinander zu telefonieren, doch die Hoffnung wollte sie nicht aufgeben.

      Obwohl Ruth Fernando regelmäßig schrieb, ging er nicht viel auf ihre Briefe und deren Inhalt ein. Was war geschehen? Ruth konnte sich das nicht erklären. Sie liebten sich, weshalb war er nur so abgekühlt? War da eine andere Frau? Sie konnte sich das nicht vorstellen. Das hätte er ihr das bestimmt gesagt. Sie hatten ein offenes Verhältnis und hatten immer alles besprochen. Trotzdem keimten Zweifel in Ruth auf.

      Des Öfteren stellte Ruth Fernando die Frage, ob er sich schon einmal erkundigt hatte, wie es mit einer Einwanderung für sie aussah. Was sie an Dokumenten brauchte? Natürlich wollte sie wissen, wie es mit Arbeitsmöglichkeiten als Lehrerin stand.

      Fernando vertröstete sie jedes Mal. Schließlich müsste sie noch zwei Jahre oder länger studieren. Bis dahin konnte sich die Lage der Einwanderungsgesetze immer wieder ändern. Es hatte also keinen Sinn, sich jetzt schon darum zu kümmern. Den gleichen Kommentar gab er jedes Mal, wenn es um Arbeitsmöglichkeiten ging.

      Natürlich hatte er Recht, sagte sich Ruth dann und stellte im nächsten Brief diese Fragen nicht. Sie wollte Fernando nicht zu sehr bedrängen.

      Zwei Monate lang erhielt sie einen Brief alle zehn bis vierzehn Tage und dann kam drei Wochen lang keine Nachricht mehr. Im darauf folgenden Brief entschuldigte er sich eingehend für die Verspätung. Er war sehr beschäftigt gewesen. Auch bei Siemens hatte er bereits seine Stelle angetreten. Dann der Umzug in die neue Wohnung. Alles in allem, Fernando hatte offensichtlich sehr viel zu tun.

      Neue Wohnung? Bei Ruth machte es Kling! Er war umgezogen, doch die neue Adresse teilte er nicht mit. Er hatte es einfach vergessen. Das kam in den besten Familien vor. Da er vorher bei seinen Eltern gewohnt hatte, sah Ruth kein Problem und schickte ihrem Fernando die Briefe weiterhin an die Adresse seiner Eltern. So wie bisher. Die wussten sicherlich wo ihr Sohn jetzt wohnte. Natürlich bat sie um die neue Anschrift und Telefonnummer. Ruth schrieb ihm, dass sie sich über ein Foto freuen würde. Sie hätte gerne gesehen, wo er wohnte, damit sie eine Vorstellung von seiner Bleibe bekam. Doch nichts.

      Fernandos nächsten beiden Briefe waren eigenartig. Ruth erzählte ihm nach wie vor was in München vorfiel, von ihren Sorgen und Ängsten und wollte wissen, weshalb er so eigenartig war. Ob sie etwas Falsches geschrieben hatte?

      Doch in seinen Briefen entschuldigte Fernando sich, er musste sich kurz halten. Es fehlte ihm einfach die Zeit. Er sei sehr angespannt. In seinem Job müsste er jede Menge Überstunden machen und Freizeit gab es derzeit so gut wie gar keine. Er sei jetzt schon vollkommen ausgelaugt.

      Ruth verzieh ihm alles. Solange er sich bei ihr meldete und ihr immer wieder bestätigte, dass er sie liebte, war es ja in Ordnung. Natürlich musste er viel arbeiten. Siemens hatte ihn nach Deutschland zu einem langen Praktikum geschickt, damit er anschließend eine leitende Position einnehmen konnte. Nun sollte er vor Ort Verantwortung übernehmen. Dazu gehörten Überstunden, viel Arbeit und Stress einfach. Das konnte sogar sie verstehen.

      Aber sie, Ruth, hatte Zeit, also schrieb sie ihm weiter regelmäßig. Wenn er schon nicht jede Woche schreiben konnte, so wollte sie ihn wenigstens mit ihren Erzählungen und Liebesbezeugungen aufmuntern. Ab und zu legte sie eine schöne Karte oder ein Foto bei, von denen sie glaubte, sie könnten ihm gefallen.

      Dann hörte sie vier Wochen nichts von ihrem Geliebten. Sie wusste nun, dass Fernando sehr viel zu tun hatte und war nicht sonderlich beunruhigt. Der Mensch gewöhnte sich irgendwann an alles. Auch, wenn er zuvor glaubte, die Situation nicht mehr überstehen zu können.

      Dann, eines Tages, fischte sie endlich, als sie zur Vorlesung an die Uni ging, wieder einen Brief von ihres Lieben aus dem Briefkasten. Sie hatte noch ein wenig Zeit und betrat eine Cafeteria. Jetzt brauchte sie zuerst eine Tasse Kaffee. Den Brief wollte sie in Ruhe bei dieser Tasse Kaffee lesen. Das würde Fernando auch gefallen. Ruth wusste das. Vielleicht las er ihre Briefe auch immer bei einer Tasse Kaffee. Vorstellen konnte sie sich das durchaus.

      Ruth fand einen freien Platz an der Theke. Während sie auf den Kaffee wartete, drehte sie bedächtig den Brief hin und her. Diesmal hatte sich Fernando besonders viel Zeit gelassen. Ihr fiel auf, dass er immer noch die Adresse seiner Eltern als Absender angegeben hatte. Sie maß dieser Tatsache jedoch keine Bedeutung bei. Ihr Liebster hatte einfach schon wieder vergessen, ihr die neue Adresse mitzuteilen. Und ihre Briefe erhielt er. Das war wichtig! Zwar ging er nicht viel auf Ruths Briefe und Fragen ein, doch immerhin so viel, dass sie feststellen konnte, er hatte sie gelesen. Der Mensch konnte so genügsam werden.

      Der dampfende Kaffee wurde vor Ruth gestellt. Nun war endlich der Zeitpunkt gekommen an dem sie sich erlaubte, den Brief zu öffnen.

      Erstaunlicherweise war er in Deutsch verfasst, nicht in Spanisch wie sonst. Ruth wunderte sich und begann zu lesen.

      „Meine liebe Ruth,

      leider muss ich dir heute mitteilen, dass ich vor drei Wochen geheiratet habe.“

      Ruth las den Satz dreimal. Er verschwamm vor ihren Augen. Sie zwinkerte fest um die Tränen, die ihre Augen füllten, zu verscheuchen und wieder klar sehen zu können. Doch der Versuch war erfolglos. Sie versuchte nochmals auf das Geschriebene zu schauen um es zu entziffern, doch es gelang ihr nicht.

      Hastig stopfte sie den Brief mit dem Umschlag in ihre Tasche und verließ mit Tränen in den Augen im Sturmschritt die Cafeteria. Die Bedienung, die ihr nachrief, hörte sie nicht mehr.

      Plötzlich stand sie auf der Straße und schaute sich suchend um. Das Einzige, was Ruth nun wollte, war nach Hause zu eilen, sich einzuschließen und niemandem zu begegnen.

      Als sie in der Wohnung ankam, war sie alleine. Gabi