Elfi Loth

6 Punkte zum Glück?


Скачать книгу

dass du ihn mir morgen wieder zurückgibst, wenn er so unbequem ist“, meinte sie nur und zwinkerte in meine Richtung zurück, bevor sie losfuhr. Verdammt, Eigentor!

      Ich würde mir was anderes einfallen lassen müssen, das war schon mal nichts.

      „Und bis wann hast du heute Ausgang?“, fragte ich meine große Schwester. Steffen nannte immer eine genaue Uhrzeit, wann Moni zu Hause zu sein hatte und ich behielt den ganzen Abend die Uhr im Auge. Er blieb so lange wach, bis sie da war, nur um sie über den Abend auszufragen. Das konnte ganz schön nerven, zumal sie meistens zu spät kam und sich dann mitten in der Nacht Vorhaltungen anhören durfte wie: „Wo kommst du jetzt erst her?“, oder „Beim nächsten Mal stehen deine Koffer vor der Tür.“

      „Heute soll ich spätestens um zwei da sein. Aber der kann mich mal. Ich bleibe, solange ich will", meinte Moni und konzentrierte sich wieder auf die Straße.

      Ich hatte immer Angst um meine Schwester. Steffen hatte sie zwar noch nie geschlagen, oder ihre Klamotten vor die Tür gestellt, aber angedroht hatte er es ihr schon öfter und ich war mir fast sicher, irgendwann rastet er mal so richtig aus.

      „Hoffentlich kommen wir heute durch die Gesichtskontrolle“, versuchte ich die angespannte Atmosphäre etwas aufzulockern.

      „Mit dir sicher, du siehst rattenscharf aus. Was ist mit deiner Liste?“

      „Na heute ist Punkt drei dran, Marktwert testen“, antwortete ich lachend und erzählte ihr von Peters Besuch und seiner Reaktion, als ich ihm sagte, wo sich seine Klamotten befinden.

      „Ich hoffe, der hat geschnallt, dass es aus ist.“

      „Das hoffe ich auch für dich Ina. Glaub mir, solche Typen können unberechenbar sein. Wenn der dich heute so gesehen hätte, der hätte dich eingesperrt.“

      Das traute ich Peter nicht zu. Jedes Mal, wenn ich mit Moni ausgehen wollte und mir was Hübscheres, als Jeans und T-Shirt anzog, sagte Peter zu mir: “Du brauchst dir nichts einbilden. Guck dich doch mal an. Sei froh, dass du mich hast. Hübsch bist du nicht gerade. Du kriegst sowieso keinen Anderen mehr.“ Das hatte mir sehr wehgetan. In meiner Kindheit hörte ich das auch ständig von meiner Mutter. „Du bist hässlich, du bekommst nie einen Freund!“ Das war mir jahrelang eingetrichtert worden und irgendwann glaubte ich es.

      Aber darüber wollte ich jetzt nicht weiter nachdenken. Ich strich Peter aus meinen Gedanken und damit war das Thema für diesen Tag erledigt.

      Eine lange Menschenschlange hatte sich bereits vor der Disco versammelt und hoffte eingelassen zu werden. Nachdem wir endlich einen Parkplatz gefunden hatten, stellten wir uns hinten an und hielten Ausschau nach bekannten Gesichtern.

      Nur langsam rückte die Schlange vorwärts und ich fing an zu frösteln. Ich wusste, dass auch Sommernächte kalt sein können, aber an eine Jacke hatte ich nicht gedacht. Nach einer gefühlten Ewigkeit standen wir endlich vor der Tür. Wir würden die Nächsten sein, wenn man uns denn einließe. Wir kamen zwar alle zwei Wochen her, um zu tanzen, aber manchmal mussten wir unverrichteter Dinge wieder abziehen. Es kam immer darauf an, wer an der Tür stand. Die Tür öffnete sich und ein glatzköpfiger, bulliger Türsteher, groß und breit wie ein Schrank, schaute uns abschätzend an. Oh nein, nicht der. Der hatte mich schon einmal nicht rein gelassen, weil ich keinen Ausweis mithatte und er mir nicht glauben wollte, dass ich schon 24 Jahre, und damit schon erwachsen war. Damals mussten wir wieder gehen.

      Der bullige Türsteher öffnete die Tür weiter und ließ uns ein. Etwas erstaunt bezahlte ich den Eintritt für Moni und mich. Was eine Typveränderung ausmachte und Kleider machten wirklich Leute!

      Wir bahnten uns einen Weg, durch die reichlich gefüllte Disco, bis zur Bar. Die Barkeeperin erkannte mich nicht gleich, aber dann stellte sie zwei Martini auf den Tresen.

      „Ein Martini weiß und ein Martini rot, für Schneeweißchen und Rosenrot“, sagte sie und lächelte uns an. „Schneeweißchen, du siehst super aus.“

      Wir waren völlig perplex. Das waren genau die Getränke, die wir hier immer bestellten, aber von unseren Spitznamen hatten wir bisher keine Ahnung. Moni bezahlte die Getränke und fragte die Barkeeperin, ob wir unser Geld, bei ihr unter der Theke lassen könnten.

      „Na klar könnt ihr. Ich passe drauf auf“, meinte die junge Frau und wir verstauten unsere Portemonnaies.

      „Die war ja nett, zu der gehen wir jetzt immer“, sagte Moni und wollte mich auf die Tanzfläche ziehen.

      „Ne Moni, ich kann noch nicht tanzen. Ich brauche erst einen gewissen Alkoholspiegel. Das weißt du doch“, bremste ich sie in ihrer Euphorie.

      „Okay, dann trinken wir erst was und schauen uns nebenbei die Männer an“, meinte sie und führte ihr Glas an die pink geschminkten Lippen. Moni hatte heute eine knallenge Jeans, die ihre tolle Figur prima zu Geltung brachte, und eine fast schon durchsichtige, weiße Bluse an. Natürlich so ein Nobelteil aus dem Laden, in dem sie arbeitet. In einer Disco leuchtet weiß ja immer und so konnte man ihren schwarzen BH deutlich sehen. Der Pinke Lippenstift, der eigentlich schon nicht mehr modern ist, bildete einen starken Kontrast zu ihrer ansonsten sportlichen Erscheinung und dem kurzen schwarzen haarspraygestärkten Haar. Er war ihr „Markenzeichen“. Sie hatte ihn immer auf ihren Lippen. Ich konnte mich nicht erinnern, sie je ohne diesen grässlichen Lippenstift gesehen zu haben.

      Mit drei weißen Martinis im Blut hatte ich mir genug Mut angetrunken, um mich auf der Tanzfläche zur Musik zu bewegen. So richtig tanzen konnte ich noch nie gut. Ohne Alkohol war ich zu steif und bewegte mich als hätte ich einen Stock im Hintern. Traurig aber wahr. Der Alkohol ließ meine Hemmungen sinken und plötzlich war mir auch die Meinung anderer egal. Ich schloss die Augen und versuchte mich im Takt der Musik zu bewegen. Meiner Meinung nach sah das ganz akzeptabel aus, doch in die Spiegelwand bei der Tanzfläche traute ich mich trotzdem nicht zu schauen. Es konnte nur gut aussehen und mit diesem Edelfummel erst recht. Nach fünf Songs gönnten wir uns eine Pause und machten uns wieder auf den Weg zur Theke, um noch ein Getränk zu bestellen. Weil die nette Barkeeperin gerade nicht da war, beschlossen wir, zur Abwechslung einen Kaffee zu trinken. Leider befand sich die Kaffeebar am anderen Ende der Disco. Wir schoben uns durch die Menschenmassen und gelangten, nach einigem Schieben und Drängeln, in den langen, von gemütlichen Nischen gesäumten Durchgang, an dem sich die Kaffeebar anschloss. Die Kuschelnischen waren voll besetzt mit knutschenden und fummelnden Pärchen. Hatten die alle kein zu Hause? Moni zog mich, bis zur Kaffeebar, an der Hand hinter sich her, damit ich in der völlig überfüllten Disco nicht verloren ging.

      „Zwei Kaffee schwarz bitte“, bestellte ich und tastete nach meinem Geld, um zu bezahlen.

      „Mist, unser Geld liegt ja noch vorne unter der Theke der anderen Bar.“

      Mit einem Kopfschütteln schaute Moni mich an.

      „Ja okay, du wartest hier, ich hole schnell das Geld.“

      Und schon drängelte sie sich wieder durch die vielen Leute zurück.

      „Meine Schwester holt das Geld“, erklärte ich der Kaffeemaus, welche daraufhin die zwei Tassen Kaffee ein Stückchen von mir weg zog. Sie schien Angst zu haben, ich trinke den Kaffee noch vor dem Bezahlen aus.

      Wo Moni nur blieb? Ja, die Disco war brechend voll und es konnte dauern, bevor sie mit unserem Geld wieder zurück war, aber so lange? Ehe die wieder da sein würde, hätten wir kalten Kaffee. Schönheitskaffee! Den brauchte ich heute eindeutig nicht. Ich fühlte mich großartig, aber langsam wurde mir die Warterei unangenehm. Die junge Frau hinter dem Tresen bediente fleißig die anderen kaffeedurstigen Discobesucher. Ab und zu schaute sie zu mir und fragte: „Na, wird das jetzt was?“ Ich zuckte nur noch mit den Schultern und hoffte, dass meine Schwester jeden Moment mit dem Geld zurückkäme. Am Liebsten wäre ich jetzt unsichtbar. Die Leute guckten mich schon an und wunderten sich, dass ich so lange herumstand, ohne mit dem Kaffee, der schon seit geraumer Zeit in meiner Reichweite stand, zu verschwinden. Moni, komm endlich, flehte ich innerlich, aber sie erschien nicht auf der Bildfläche. Ich stand da, wie bestellt und nicht abgeholt. Peinlich! Mein angetrunkenes Selbstwertgefühl schien sich auch langsam aufzulösen und meiner bisher erfolgreich