T. von Held

Afrikanische Märchen auf 668 Seiten


Скачать книгу

Malungulaza ein altes, schwaches Tier. So zogen

       beide denn mit ihrem Manne, und als sie an ihrem

       neuen Wohnorte anlangten, gab ihr Mann jeder eine

       Hütte; Mulungulaza mußte aber mit einer zerbrochenen,

       alten vorlieb nehmen, während für Mbulukazi

       eine schöne, neue Hütte gebaut wurde. Malungulaza

       aber ergrimmte und wurde eifersüchtig und neidisch,

       so daß sie ihrer Schwester nach dem Leben trachtete.

       Lange sann sie darüber nach, wie sie es wohl am

       klügsten anfangen könne, Mbulukazi zu töten, ohne

       daß der Verdacht auf sie fallen könne. Endlich hatte

       sie einen Plan sich zurechtgelegt. Sie sprach eines

       Tages zu ihrer Schwester:

       »Ich habe gehört, unser Vater sei sehr krank und

       man glaube, er werde sterben. Es ist daher nur richtig

       von uns, zu gehen und ihn noch einmal vor seinem

       Ende zu sehen.«

       »Laß uns gehen,« sprach Mbulukazi, und beide

       machten sich auf den Weg. Ihr Pfad führte sie an

       einem steilen Abhang entlang, an dessen Fuß ein tiefer

       See war. Malungulaza legte sich dicht an den

       Rand des Felsens und gab vor, sie sehe etwas ganz

       Außergewöhnliches in der Tiefe, das sie ihrer Schwester

       zeigen müsse. Kaum aber hatte diese sich nieder-

       gelegt, als Malungulaza schnell aufsprang und sie mit

       geschicktem Stoß in die Tiefe stieß. Dann kehrte das

       böse Weib heim zu ihrem Manne und erzählte ihm,

       Mbulukazi sei noch bei ihrem Vater geblieben.

       Am folgenden Tage lief der Ochse der Ermordeten

       laut blökend durch das ganze Dorf, blieb schließlich

       vor der Hütte Malungulazas stehen und stieß mit seinen

       Hörnern so lange an dem alten, zerbröckelten

       Bauwerk, bis es einfiel. Das wunderbare Gebaren des

       Tieres erregte die Aufmerksamkeit der Leute, und sie

       sprachen untereinander:

       »Was will der Ochse uns sagen? So wild hat er

       sich noch nie gebärdet!«

      Kapitel 4

      Als das Vieh nun spornstreichs zu dem See bei

       dem Felsen lief, gingen die Männer des Dorfes ihm

       nach und sahen, wie der Ochse schnüffelnd an dem

       Ufer entlang ging und schließlich in das Wasser

       sprang, untertauchte und gleich darauf mit dem leblosen

       Körper Mbulukazis wieder zum Vorschein kam.

       Sanft legte er sie auf weiches Gras und leckte sie so

       lange am Gesicht und am Körper, bis sie zu neuem

       Leben erwachte. Sobald sie kräftig genug war, erzählte

       sie, was sich begeben hatte.

       Als Breitbrust erfuhr, wie schändlich Malungulaza

       an Mbulukazi gehandelt hatte, ward er sehr zornig

       und verließ das böse Weib.

       »Denn,« sprach er, »ich habe dich gar nicht zum

       Weibe begehrt; nur weil deine Mutter darauf bestand,

       daß ich dich heiraten solle, habe ich es getan. Nun

       aber kehre zurück zu deines Vaters Kraal!«

       Da zog Malungulaza beschämt von dannen; aber

       Mbulukazi blieb bis an ihr Lebensende die Hauptfrau

       ihres Mannes Breitbrust.

       Der stolze Schmetterling.

       Aus Boilats Grammaire de la langue Wollosse.

       Paris 1858.

       Ein wunderschöner Schmetterling umflatterte eine

       duftende Blume. Da bemerkte er eine häßliche Raupe,

       die im Staube dahinkroch. Verächtlich rief der

       Schmetterling ihr zu:

       »Wie darfst du es wagen, dich in meiner Nähe

       sehen zu lassen? Fort mit dir; sieh', ich bin schön und

       strahlend wie die Sonne, und meine Schwingen tragen

       mich hoch in die Lüfte, während du auf der Erde

       herumkriechst. Fort mit dir, wir haben nichts miteinander

       zu schaffen!«

       »Dein Stolz, du bunter Schmetterling, steht dir

       schlecht an,« erwiderte die Raupe ruhig. »All deine

       Farbenpracht gibt dir nicht das Recht, mich zu verachten.

       Wir sind und bleiben Verwandte; daher

       schmähst du dich selber, wenn du mich schmähst.

       Bist du nicht früher auch eine Raupe gewesen? Und

       werden nicht deine Kinder Raupen sein wie du und

       ich?«

       Der Storch und die Kröten.

       Bornusche Fabel aus »African Native Litterature.«

       London 1854.

       Einst legte eine Störchin ihre Eier in einen hohlen

       Baum und brütete sie aus. Als die jungen Störche ausgekrochen

       waren und nach Nahrung schrieen, hatte

       Frau Storch nichts, um ihren Hunger zu stillen. Endlich

       entschloß sie sich auf Anraten einer Freundin,

       einen Versuch zu machen, die Kröten im nahen

       Sumpfe zu überlisten. Leise legte sie sich vor Tagesanbruch

       im Sumpfe nieder streckte die Beine von

       sich, ließ die Flügel schlaff herabhängen, öffnete den

       Schnabel und schloß die Augen, – ganz, als ob sie tot

       wäre. Der Tag graute; da hob eine Kröte den Kopf

       aus dem Wasser hervor und schaute sich um. Schnell

       tauchte sie wieder unter und rief allen anderen Kröten

       zu:

       »Kommt herbei! Vor unserer Haustür liegt ein toter

       Körper.«

       Eine Kröte nach der anderen hob nun den Kopf aus

       dem Wasser und guckte den Storch an. Dann hielt

       man Kriegsrat, und auf Anraten ihrer weisen Männer

       stiegen die Kröten ans Land und begannen, den

       Storch fortzuschleppen. Dabei sangen sie:

       »Schlepp' ihn fort und laß ihn liegen,

       Schlepp' ihn fort und laß ihn liegen!«

       Der Storch ließ alles ruhig mit sich geschehen. Als

       die Kröten ihn eine ziemliche Strecke fortgeschleppt

       hatten, ließen sie den Körper liegen und machten sich

       auf den Heimweg. Da aber sprang der Storch mit Blitzesschnelle

       auf und eilte ihnen nach. Bald hatte er