T. von Held

Afrikanische Märchen auf 668 Seiten


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auch davoneilten, so schnell sie nur konnten, holte der

       Storch doch eine nach der anderen ein und steckte sie

       in seinen Sack, den er unter seinen Flügeln versteckt

       bei sich trug. Dann eilte er nach Hause, vergnügt,

       Nahrung für seine hungrigen Kinder gefunden zu

       haben.

       Seit der Zeit wurden die Kröten plötzlich still,

       wenn jemand sich dem Sumpfe nähert, darinnen sie

       sind; denn sie sind bange, der Storch komme wieder.

       Eine Geschichte der Neger von Damaraland.

       Es war einmal ein Kind, welches eine Eingui (Art

       Frucht) hatte. Es zeigte dieselbe seiner Mutter und

       sprach:

       »Mutter, warum sagst du mir nicht, daß ich dir

       diese Frucht geben soll? Glaubst du, ich würde sie dir

       nicht lassen?«

       Die Frau sprach:

       »Mein Kind, gib mir die Frucht,« worauf ihr das

       Kind die Eingui gab und davonlief, indessen die Mutter

       sie verzehrte. Als das Kind aber wiederkam,

       sprach es:

       »Mutter, gib mir meine Frucht.«

       Die Frau entgegnete:

       »Die Eingui habe ich mir wohl schmecken lassen.«

       Da weinte das Kind und sprach:

       »Warum hast du die Eingui gegessen, die ich von

       unserem Baume gepflückt habe? Es war meine Eingui!

       «

       Um es zu trösten, gab die Mutter ihm eine Nadel;

       mit der lief das Mädchen zu seinem Vater. Der war

       gerade bei der Arbeit, aus Gras und Binsen Streifen

       zu flechten, wie die Damaramänner sie um ihre Hüften

       sich schlingen, und zum Flechten brauchte er spitze

       Dornen Das Kind sprach:

       »Vater, warum läßt du dir nicht vor mir diese

       Nadel geben, statt mit Dornen zu flechten?«

       »Mein Kind, gib mir doch die Nadel,« sprach darauf

       der Vater. Das Mädchen gab sie ihm und lief

       davon. Als der Mann mit der Nadel nähte, brach sie

       entzwei. Als nun das Kind zurückkam, um sie wiederzufordern,

       sprach er:

       »Sie ist zerbrochen!«

       Da weinte das Kind und sagte:

       »Vater, warum hast du die Nadel zerbrochen, die

       meine Mutter mir gab, die meine Eingui gegessen hat,

       die ich mir von unserem Baum gepflückt habe?«

       Zum Trost für die zerbrochene Nadel gab der Mann

       seinem Kinde eine Axt, mit der lief es auf das Feld

       und traf dort Buben an, die das Vieh hüteten. Die

       Knaben waren dabei, Honig aus den Bäumen zu nehmen,

       und da sie nicht hoch genug reichen konnten,

       sägten sie den Baum um mit einem Steine. Da sprach

       das Kind:

       »Warum bittet ihr mich nicht um meine Axt?

       Glaubt ihr etwa, ich würde sie euch nicht geben?«

       »Gib uns deine Axt!« baten da die Knaben.

       Das Mädchen gab sie ihnen und lief fort. Als es

       aber zurückkam und die Axt forderte, fand es, daß sie

       in Stücken war.

       Da fing das Mädchen an bitterlich zu weinen und

       klagte:

       »Warum habt ihr meine Axt zerbrochen, die mein

       Vater mir gab, der meine Nadel zerbrach, die ich von

       meiner Mutter hatte, die meine Eingui gegessen hat,

       die ich von unserem Baume für mich gepflückt hatte.«

       Um das Mädchen zu trösten, gaben die Knaben

       ihm von ihrem Honig, mit dem lief es eilends weiter

       und traf bald ein kleines, altes Weib, das saß auf

       einem Stein und aß Insekten:

       »Warum bittest du mich nicht um meinen Honig?«

       fragte das Kind. »Glaubst du, ich würde ihn dir nicht

       geben?«

       »So gib ihn mir!« sprach das Weib.

       Das Kind tat es und lief davon; bald aber kam es

       wieder und wollte den Honig zurückhaben; jedoch

       hatte die alte Frau ihn verzehrt. Da fing das Mädchen

       wieder an zu klagen und sprach:

       »Warum hast du meinen Honig gegessen, den die

       Knaben mir gegeben haben, die meine Axt zerbrachen,

       die ich von meinem Vater hatte, der meine

       Nadel zerbrach, die meine Mutter mir gab, die meine

       Eingui gegessen hat, die ich von unserem Baume für

       mich pflückte?« Das alte Weib gab dem Kinde etwas

       Negerkorn, das nahm es und lief hin zu den Pfauen,

       die den Boden scharrten und nach Nahrung suchten.

       Die Pfauen aßen alles auf, und als das Kind wiederkam

       und das Korn zurückhaben wollte, war nichts

       übrig geblieben. Da klagte das Kind:

       »Ihr Pfauen, warum habt ihr mein Negerkorn gegessen,

       das mir das alte Weib gab, welches meinen

       Honig verzehrt hat, den ich von den Knaben bekommen

       habe, die meine Axt zerbrochen haben, die mein

       Vater mir gab, der meine Nadel zerbrach, die ich von

       meiner Mutter hatte, die meine Eingui gegessen hat,

       die ich von unserem Baume für mich gepflückt

       hatte?«

       Als die Pfauen das Mädchen so klagen hörten, flogen

       sie in die Luft und warfen ihm schöne, bunte Federn

       zu; die nahm es und zeigte sie den Schafhirten,

       welche gerade ihren Schafen Wolle ausrupften, um sie

       für ihre Bogen und Pfeile zu brauchen.

       »Warum bittet ihr mich nicht um diese Federn?«

       fragte das Kind dann, »sie sind besser für eure Bogen

       als die Wolle. Oder glaubt ihr, ich würde sie euch

       nicht geben?«

       »Gib sie uns denn doch!« baten die Hirten.

       Das Mädchen gab sie ihnen und lief davon. Als es

       kam, um die Federn zurückzufordern, waren sie alle

       zerbrochen.

       »Warum,« schluchzte da das Kind, »habt ihr meine

       Federn zerbrochen, die ich von den Pfauen bekommen

       hatte, die mein Negerkorn verzehrt hatten, das ich von

       dem alten Weibe erhalten hatte, das meinen Honig aß,

       den mir die Knaben gegeben hatten, die meine