i.A. - H.T.K.

Die Köchmüller-Papiere


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Wir sitzen hier in der Scheiße, und du redest von Kampfpresse! Durch Betrug ist uns ein Schaden von 50.000 vielleicht sogar 70.000 Euro entstanden und du redest vom nächsten korrupten Kommunal-Geschacher!“

      „Wieso ist uns ein Schaden entstanden? Das sind deine Kreditkarten! Ich lasse mir keine Affäre anhängen. – Weder direkt noch indirekt. Ich habe nämlich heute Nachmittag ein entscheidendes Telefonat geführt! Der Landesvorsitzende hat mich heute angerufen und wollte endlich von mir wissen, ob ich mir vorstellen könnte, für den Landesvorstand zu kandidieren und nach der Wahl tatsächlich im Bildungsministerium eine entscheidende Position zu übernehmen… – endlich mal in dem Saftladen aufräumen!“

      Heinrich war sprachlos über ihr Desinteresse. Die Droge `Macht´ hatte seine Frau voll im Griff. Was hatten die letzten drei Jahre doch für eine Veränderung, bei ihr, bewirkt. Bisher stand für sie der Lehrerberuf immer an erster Stelle. Damit hatte er sich abgefunden, in all den Jahren, die sie sich kannten. Heimlich hatte Heinrich seine Elke auch dafür bewundert. Mit seinen beiden Hobbys, neben der Arbeit, die Vorstandsarbeit im Youngtimer-Club und seinem Dienst bei der örtlichen Freiwilligen Feuerwehr, mittlerweile als Hauptbrandmeister/F-IV, war er, vor der Geburt der Kinder, ähnlich engagiert. Aber das waren, wie gesagt, Hobbys und Ehrenämter, die er, mit seinen anderen und hinzu gekommenen Aufgaben, auszubalancieren wusste. Seine Frau, hingegen, agierte bereits als Referendarin, mit Nachdruck, in mehreren pädagogischen Gremien. Verbesserungen, Synergien, Effizienzsteigerungen im Bildungssystem, das war ihr Thema. Und ihr beruflicher Einsatz zahlte sich aus. Die Politik wurde auf sie aufmerksam. So wurde sie auch in erstaunlich kurzer Zeit zur Studiendirektorin befördert und kam flugs in die Situation, dass man ihr die Stellvertretung des Gymnasialdirektors anbot. Das Eigentliche ihres Berufes, nämlich die Kinder zu lehren, wie man spricht, rechnet, Chemie betreibt, all das trat mehr und mehr, zu Gunsten der Verwaltungsarbeit, in den Hintergrund. Als aber, kaum zwei Jahre später, der Direktor in den Ruhestand trat und sie nicht die Nachrückerin war, fühlte sie sich – trotz ihrer, damals, gerade erst 35 Lenze – übergangen. Nach Heinrichs Kenntnisstand, lag dieses „Übergehen“ ehr daran, dass die erneute, schnelle Beförderung, diesmal zur leitenden Oberstudiendirektorin, samt A16-Besoldung, nur schwer mit den geltenden, beamtenrechtlichen Richtlinien zu vereinbaren war. In den darauf folgenden drei Jahren verstärkte sie ihre politische Arbeit und driftete gleichzeitig immer mehr in den Gedankenstrudel der Kosten-Nutzen-Rechnung in der Bildungspolitik. Sie war sowieso eine glühende Verfechterin der verkürzten Gymnasialen Oberstufe und befürwortete eine verstärkte Förderung der privaten Bildungsträger. Seit sie nun für ihre Partei im Stadtrat saß und in den Bauausschuss nachrückte, war die Kirche einfach nicht mehr im Dorf zu halten. Persönliche Vorteilsnahmen, wie zuletzt, die Mittelmeer-Reise – ein moralischer und wohl auch juristischer Tiefpunkt, der als Besichtigung der Maltesischen Bildungseinrichtungen deklariert wurde – kamen nun vermehrt vor. Heinrichs mahnende Hinweise wurden von ihr als kleinkarierte Erbsenzählerei abgetan. Zuletzt hatte sie sich ganz offen der Parteikarriere zugewandt – wollte der „Provinzenge“ entkommen.

      Heinrich kannte seine Frau nicht mehr. Da war auch nichts mehr, von der gemeinsamen Vorstellung: „Wohlstand und Sicherheit sind schon O.K., aber kein Raffen auf Teufel-komm-raus.“ Ihre gemeinsamen Wohnverhältnisse, und dessen war sich Heinrich stets bewusst, lagen schon sehr, sehr weit über dem Durchschnitt, würde mit ihrem neuen Job weiter steigen. Ihr gemeinsames Haushaltseinkommen überstiege dann das Fünffache des Durchschnitts. Hinzu kamen noch die aberwitzig hohen Firmen-Tantiemen, die ihr aus der passiven Beteiligung am elterlichen Groß-Unternehmen zustanden. Für deren Umfang hatte er sich nie wirklich interessiert. Ihm war's auch so weit mehr als genug. Aber sie marschierte weiter. Was geht noch? Welche Position liegt hinter der nächsten Kurve? Haben, haben, haben, statt den Wohlstand zu genießen; sich gemeinsam um Kinder, Haus und Garten kümmern; Freiräume nutzen für „Unnützes – weil es Spaß macht.“

      Sie verstand z.B. nicht, dass er, vor vier Jahren, den Swimmingpool eigenhändig herausgerissen hatte, nur um an gleicher Stelle einen selbstreinigenden, chlorfreien Badeteich anzulegen. Das er das ganze Projekt noch mit einem Koi- und Seerosen-Teich kombinierte, blieb ihr unbegreiflich. Vor dem Einzug in die Villa hätte er auch gelacht, wenn ihm jemand gesagt hätte, dass er einmal ganze Wochenenden mit Gartenarbeit verbringen würde. Doch der Appetit kam beim Essen. Während sie auf der Terrasse Klausuren korrigierte, riss er mit dem alten Strauchwerk den Bürofrust aus dem Boden, stutzte den alten Baumbestand, las zwischendrin alles, was ihm über Englische Gartenbaukunst in die Finger kam, obwohl er noch nie auf den britischen Inseln war. Er nervte alle, aber auch wirklich alle Gartenbau-Betriebe in der Stadt, mit seinen ewig gleichen Fragen. Während sie in späterer Zeit über Bauplänen der Stadt brütete, strickte er immer wieder am Grundriss des Gartens. Die Rasenfläche wurde im Laufe der Jahre immer kleiner und eine Blutbuche verschwand in stiller und heimlicher Auffälligkeit. Die Rosenabteilung mit der kleinen Buchsbaum-Einfassung brauchte ebenso Licht und Platz, wie die Rhododendren und der Bauerngarten. Er schuf Szenerien, Blickachsen und Ebenen, ummauerte zudem, aus alten Backsteinen vom schwiegerelterlichen Bauhof, den Komposthaufen mit der Andeutung einer Burgruine, ließ diese von Efeu überwuchern.

      Fast wurden selbst die über 6.500m² zu klein, doch seine Kinder, sein Beruf, sein Ehrenamt bei den Blauröcken und seine Mitgliedschaft im Autoschrauber-Club bewahrten ihn vor dem völligen Garten-Koller. Als, nach fünf Jahren, die „Grünflächen-Perestroika“ zu seiner Zufriedenheit abgeschlossen war, zählte er zwar nicht die Stunden, aber doch den Materialeinsatz zusammen. 100.000 Euro hatte er verbaut. Im Anschluss an die Umbauphase, sah der Garten noch stellenweise dürftig und schütter aus, doch die nächsten fünf Jahre änderten das Aussehen erheblich. In der Schlussphase hatte er sich von seiner Schwiegermutter die Genehmigung geholt, den alten Pool wegreißen zu dürfen. Die kurze Führung durch den Garten, bewirkte sofort ein Nicken ihrerseits. Ihr Angebot, er möge sich samt seines grünen Daumens, hauptberuflich des Anwesens um das Palais Schonhoff annehmen, lehnte er höflich dankend, aber doch mit Bestimmtheit ab...

      Über den Wagendiebstahl war Elke, am Abend, unterrichtet worden und sie hatte die Botschaft reichlich ungehalten und letztlich mit lautstarken Vorwürfen aufgenommen. Am Morgen des Folgetages nahm der Druck der Ehekrise, ein weiteres, erkleckliches Stück zu: Von seiner Frau wurde ihm wortlos der Regionalteil der Tageszeitung auf den Frühstücks-Tisch gelegt.

      Ein handflächengroßes Foto zeigte, wie er, vor der Autovermietstation, in einen Streifenwagen stieg und überrascht in die Kamera glotzte. Der mehr als dürftige Pixel-Balken verbarg seine Augen kaum. In dieses Foto hinein montiert, rechts unten, war noch ein zweites, Streichholzschachtel-kleines Bild: Im Polizei-Wagen sitzend, versuchte er sich hinter seiner Ledertasche zu verstecken, wie ein Mafia-Boss. Und als ob diese visuellen Peitschenhiebe nicht schon schlimm genug gewesen waren, prangte über den Fotos noch eine vernichtende Überschrift:

      „Ehemann von Stadträtin in Autohehlerei und Raub verstrickt? Polizei vermutet großkriminelle Bande!“ In dem Artikel wurde, zu Köchmüllers ungläubigem Erstaunen, berichtet, dass „…der Wagen vor zwei Tagen durch Heinrich K. angemietet, am Morgen des Folgetages, in Ost-Europa, im Zusammenhang mit einem dreisten Juwelenraub, in Erscheinung getreten…“ war. Die Limousine habe die Fensterfront gerammt, der Laden sei ausgeräumt und am Schluss der Tatort in rasender Fahrt verlassen worden. „…Durch die umherfliegenden Fensterteile wurden zwei Passanten erheblich verletzt...!“

      K4/4.1 – 200 Minuten: Lügen, Zinsen und Container

       K4.1 Kein Platz für die Wahrheit

      Als Heinrich, an diesem Morgen, wieder in der Bildungsstätte zur `kostbaren´ Unterrichtung über „Optimierungsmöglichkeiten der Bewerbungsaktivitäten“ antrat, führte sein erster Weg zum Info-Tresen, im „Schlauchraum“. Fein säuberlich gestapelt lag sie dort bereit, seine stets wiederkehrende Aufgabe. Er nahm sich eines dieser Abwesenheits-Formulare, warf einen kurzen Blick darauf, grinste das leuchtendblonde Gegenüber ratlos an und erkundigte sich bei ihr, was er denn diesmal eintragen solle. Sie erwiderte seine Frage mit erstauntem Faltenwurf auf der Stirn; war es doch nicht seine erste Abwesenheit, die dokumentiert werden