i.A. - H.T.K.

Die Köchmüller-Papiere


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Sie legte ihm Formulare vor, die er sofort unterschreiben sollte: „Sie haben den Wagen mit allen Papieren, also mit der Kopie des Mietvertrages, Fahrzeugschein und Schlüssel an eine, ihnen völlig fremde Person weitergegeben?“ „Nein!“ „Also, waren Sie mit dem nicht genehmigten Fahrer bekannt?“ „Er ist ein Kollege. Also, fast… – eigentlich…“ „Ja, was denn nun?“ „Ich hatte doch erst in der Firma angefangen. Mein erster Tag. Und der Kollege wollte den Wagen für mich zurückgeben, weil ich doch den Zug nach Hause bekommen musste.“ „Wenn Sie jetzt bitte hier – hier – hier und dort bitte zweimal unterschreiben würden.“ Heinrich griff in einem Zeitlupenreflex nach dem Kugelschreiber. Nun meldete sich eine der beiden Polizistinnen zu Wort. „Ist Ihnen der Wagen tatsächlich gestohlen worden?“, fragte die Beamtin mit den drei Silbersternen auf den Schulterklappen, „Das ist übrigens Oberkommissarin Schmied und ich bin Hauptkommissarin Schmied – nicht verwandt und nicht verschwägert, nur heute, wegen Personalengpass, gemeinsam auf Streife. Aber zurück zum Thema: Ihnen wurde der Wagen gegen Ihren Willen weggenommen?“

      Heinrich starrte noch immer, wie paralysiert, auf die Formulare. Erst als er von der Beamtin angestubst wurde, schreckte er aus den Gedanken an die Geschehnisse vom vorigen Tag hoch: „Äh… – Ja!… – Aber das ist alles nicht so einfach… – Mein neuer Job… – Alles nur Betrug...?“ Er blickte hilflos in die Runde.

      Die Dreisterne-Schmied-Beamtin wollte der Sache nun auf den Grund gehen. „So geht das nicht!“, stellte sie fest, wandte sich an die Filialleiterin, „Haben Sie einen Raum, in dem man ungestört sprechen kann?“ Sie zog, während der Worte, Heinrich vorsichtig den Stift aus der Hand. Die verpatzte Unterschriftenaktion wurde von der Verleih-Chefin mit bösen Blicken quittiert. Trotzdem zeigte sie auf ein Büro, dass genutzt werden konnte. Die beiden Beamtinnen baten darum, mit Heinrich ohne weitere Zuhörer sprechen zu können und schlossen die Tür vor der Nase der Area-Managerin. Die Drei nahmen Platz und Heinrich öffnete sofort seine Ledertasche, entnahm ihr die Unterlagen. Das Erlebte des vergangenen Tages platzte aus ihm heraus. Mit den entsprechenden, erklärenden Worten zeigte er den Beamten seine Bewerbungs-Unterlagen, die Einladung der Beyslböck-Invest., die Reisekostenübernahmebestätigung von der Arbeitsverwaltungsstelle, die Bahnfahrkarten und am Schluss seinen unterschriebenen und abgestempelten Anstellungsvertrag. Nach gut fünf Minuten und einigen, wenigen Zwischenfragen, brach die Hauptkommissarin das Gespräch ab: „Es scheint offensichtlich, dass Sie sich sofort mit unseren Spezialisten unterhalten müssen.“ Der Geknickte nickte, ohne wirklich zu wissen, was die Worte der `Landes-Beamtin im Polizeidienst´ bedeuteten. „Wir verfahren nun folgendermaßen: Sie kommen jetzt erstmal mit ins Präsidium. Nein, nein, Sie brauchen nicht zu erschrecken. Sie sind nicht festgenommen. Ein kleiner Tipp noch: Lassen Sie sich jetzt, beim Hinausgehen, von der Niederlassungsleiterin keine Unterschriften abschwatzen. Sie begleiten meine Kollegin, am besten direkt zum Fahrzeug. Wenn wir im Präsidium angekommen sind, gehen wir direkt zu unseren Kollegen vom Dezernat für Betrug und Wirtschaftskriminalität. Und da wird dann alles weitere entschieden. Schauen wir mal, was noch zu retten ist. Ach ja, und falls Sie einen Anwalt kennen, machen Sie mit diesem schleunigst einen kurzfristigen Termin. Von der Rechtsabteilung des Autovermieters und dessen Versicherung werden Sie sicher noch einiges hören.“ „Ja, aber ich habe doch gar nichts...“ „Sie stehen unter dem latenten Verdacht,“ meldete sich Zweisterne-Schmied, „nun… – wenn es ganz hoch kommt: unter dem Verdacht der Tatteilnahme an Straftaten der Organisierten Kriminalität!“

      Heinrich wurde bleich. Er schwankte ein wenig.

      Die etwas besser bezahlte Uniformträgerin nickte zustimmend und ergänzte eine nicht minder niederschmetternde Möglichkeit: „Oder Sie sind nur das überrumpelte Opfer von Trickbetrügern, die eine nahezu perfekte Show abgeliefert haben.“ Die Drei verließen das Büro. Während die Einsatzleiterin weiter mit der Chefin der Niederlassung sprach, begaben sich Heinrich und die zweite Beamtin zum Streifenwagen. In dem Moment, als er in das geöffnete Fahrzeug einsteigen wollte, rief jemand: „Hey, Sie da!!!“ Heinrich drehte sich überrascht um und blickte direkt in das Objektiv einer Foto-Kamera. Prompt brannte das grelle „Vögelchen“ in seinen Augen. Die Beamtin herrschte den Medien-Mann an: „Verpiss dich, du Wegelagerer!“. „Hey, hey, hey!!! Pressefreiheit!!! Ich mache hier nur meine Arbeit!!! Genauso, wie Sie!!!“ „Und ich erteile Ihnen gleich einen Platzverweis, wenn Sie nicht genügend Abstand halten!!!“ „Platzverweis? Also, ist das hier doch ein Tatort! Um was geht's denn? Schlägerei? Geiselnahme? Mord?“ „Wenden Sie sich bitte an die Pressestelle! Ich bin nicht befugt, irgendwelche Auskünfte zu erteilen.“ Sie hielt ihre Hand vor das Objektiv. In der Zwischenzeit hatte sich Heinrich auf der Rückbank des Wagens verkrochen, die Tür geschlossen und verbarg sein Gesicht hinter seiner Ledertasche. Wieder und wieder erhellten Blitzlichter das Innere des Wagens. Ach, wenn doch nur irgendwo ein Mauseloch gewesen wäre. Der vermeintliche Schwerverbrecher fühlte sich, in seiner Betrogenheit, wie noch nie, unter Druck gesetzt. Ihm erschien es wie Ewigkeiten, bis die leitende Beamtin aus dem Laden kam und sie endlich abfuhren.

      Im Gebäude der Staatsmacht musste Heinrich noch gut eine Stunde warten, bis man sich seiner annahm. Es schien, als hätte sich die Zeit gelohnt. Er wurde in einen Konferenzraum geführt. Das Empfangskomitee kam offenbar aus der Teppich-Etage: Vier Beamte, keine Uniformen. Der Grauhaarige im Quartett, ein `Kriminalrat´, und sein Helferlein, ein `Erster Kriminal-Hauptkommissar´, gaben sich aus, als die leitenden Köpfe des Dezernats: `Organsierter Betrug und Wirtschaftskriminalität´. Das körperliche Format des Kommissars erinnerte Heinrich sofort, an die Kunstrichtung `Vierschrötiger Kubismus´. Der Dritte im Bunde schob derweil seine Unterlagen zusammen, stand auf und stellte sich vor, als Wirtschafts-Staatsanwalt. Nr. Vier, weiter hinten am Konferenztisch sitzend, spielte den stummen Diener, deutete nur durch Kopfbewegung einen Gruß an.

      Vom Anblick der geballten Staatsmacht merkwürdig berührt, behagte Heinrich die Versammlung immer weniger. So wollte er die Lage schnellstmöglich klären: „Kann es sein, dass ich jetzt, erstmal, mit einem Rechtsanwalt sprechen möchte?“

      Mit stechendem Blick sah ihn der Staatsanwalt an: „Das ist und bleibt Ihnen jederzeit unbenommen. Allerdings glaube ich, dass Sie wohl keinen benötigen, wenn Sie mit uns in vollem Umfang kooperieren.“ In Heinrichs Ohren erzeugte das Wort „kooperieren“ ein Echo. Wieder dieses Unbehagen! So stierte er angespannt zurück, presste die einzige, adäquate Frage durch die Zähne: „Was geht hier ab???“

      „Nun“, nahm der `Erste-HK´ den Ball auf, „wir wollen wissen, was Sie uns zu dem Thema Autoschieberei sagen können.“ Heinrich: „Nix!“ Der Herr Rat: „Das wollen wir hier prüfen!“ Heinrich: „Nur zu…! Ich meine: Wozu? Ich wurde in Basel...“

      Er wurde in Basel… Und nun? Nun wurde er, in seiner Heimatstadt. Als Kunde der Polizei. Für gut zwei Stunden, noch einmal in die Mangel genommen… - diesmal in die Staatsmangel. Er berichtete von dem Treffen mit dem seltsamen Paar, von der Eröffnung einer teils wundersamen, teils wunderbaren beruflichen Perspektive, von überraschender Testaufgabe samt Reiseziel, vom Empfang durch den Mitarbeiter des vermeintlich künftigen Arbeitgebers. Abschließend betonte er die Vorgabe des Verkehrsmittels und die überraschende, aber letztlich schlüssige Begründung für die Änderung des Treffpunktes am Zielort, samt der niederschmetternden Folgen.

      „…einen Chef“, schloss Heinrich, „der anständig um die Gesundheit der Mitarbeiter besorgt ist?! Wo findet man sowas? Also… – ganz ehrlich… - ich war begeistert!“ Seine Stimme flachte ab. „Naja, vielmehr überrumpelt, wie ich jetzt weiß...“

      Der Staatsanwalt fasste ungerührt nach: „Und Sie haben von dieser Firma vorher noch nie gehört?“ Heinrich lachte gequält, betonte zwanzigjährige Dienstzeit, mit Kontakt zu den unterschiedlichsten Kunden: „…aber einen Kanarien-Vogel habe ich nie zuvor im Büro gehabt.“ Der Volljurist im Staatsdienst zog nur die Augenbrauen hoch. „Na, ich mein' den Zitronen-Anzug. Das man sowas überhaupt kaufen kann.“ Heinrich lachte kurz und heftig auf. „Sie müssen sich das mal vorstellen! Da steht so ein Clown, nebst seiner Miss Piggi im Sechzigerjahre-Kostüm, vor einem… – grinst