i.A. - H.T.K.

Die Köchmüller-Papiere


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auch an seinen Tisch kam, gab es eine kleine Überraschung. Erst jetzt fiel dem Passagier auf, dass er sich gleich mit einer Tageszeitung in der 1. Klasse verkrümeln konnte; welch noble Geste vom neuen Chef. Zu dem Genuss der Zeitung kam er nicht mehr. Kaum dass der Reisende, wohlgenährt, seinen Platz in einem leeren Abteil eingenommen hatte, lasteten sowohl die Tageslänge, als auch das Bier und die Zufriedenheit mit der neuen beruflichen Situation auf seinen Augenlidern. Irgendwann wurde die Abteiltür aufgerissen. Heinrich schreckte hoch. Ein Pärchen mit zwei dicken Koffern gesellte sich zu ihm. „Oh Mann, wie weit bin ich denn?“ Er schraubte seine Augen scharf und konnte, aus dem anfahrenden Zug, gerade noch das vorbeiziehende Stations-Schild erblicken. Nun war es also nicht mehr weit. Er blätterte lustlos in den ausgelegten Reisemagazinen und blickte immer wieder ungeduldig auf die heran huschenden Lichter, der durcheilten Haltepunkte. Sein Bedarf an Zugfahren war für diesen Tag reichlich gedeckt.

      Kurz nach ein Uhr nachts schloss Heinrich endlich die Haustür auf. Alles war ruhig und dunkel. Er schaltete das Licht ein, hängte die Ledertasche an die Garderobe. Der schlaftrunkene Wachhund kam auf ihn zugetrottet, guckte zu ihm hoch, gähnte demonstrativ und schleppte sich, unter der Last des gestörten Schönheitsschlafes, zurück zu seinem Ruhekorb, neben der Kellertreppe. Dort angekommen, stupste er, mit der Nase, seine Liegestatt zurück unter den schweren Eichentisch und vergewisserte sich augenfällig, dass von dem Korb auch bestimmt nichts mehr unter dem Eichenmöbel hervorragte. Dies war eine unabänderliche Notwendigkeit! Falls nämlich ein Gewitter heraufziehen sollte, war Schnuffi, auf jeden Fall, auf der sicheren Seite. Wenige Sekunden später lag das Vieh, gähnend, den Kopf auf dem weichen Gummiknochen gebettet, in seiner Bettstatt und träumte sicherlich von heroischen Jagden nach geworfenen Tennisbällen oder von Würstchen, die ihm die Kinder heimlich zusteckten. Heinrich sah dem Treiben des Tieres entgeistert zu, murmelte resigniert: „Hund verkaufen, selber bellen.“ Kopfschüttelnd wandte er sich Richtung Küche, nahm die Iso-Kanne aus der Tasche, spülte diese aus, stellte sie neben die Kaffeemaschine und stieg dann hinab in den Keller.

      Er wollte möglichst wenig Lärm machen, so nutzte er dort unten die Dusche, neben der Sauna. Frisch abgespült, tastete er an dem Kunststoffvorhang vorbei, nach dem Badetuch, doch der Haken war leer. Auch auf der kleinen Ablage war kein entsprechendes Frottee. „Nee näh?! Das ist doch jetzt nicht…“ Nass, wie ein Frischgeduschter, tappte er durch den kühlen Keller bis hinauf ins Bad auf der Belle Etage, um dort genervt und gänsehäutig festzustellen, dass nun ein Handtuch auch nicht mehr wirklich nötig war.

      Er zog seinen weißen Bademantel über, war noch viel zu aufgedreht von der Reise, darum wurde von ihm kurze Zeit später, im Wohnzimmer, der Fernseher eingeschaltet. Nun dauerte es tatsächlich nur wenige Minuten, bis er über der nächtlichen Wiederholung einer, dieser „…stupiden, arsch-kriech-schleimgefragten Worthülsen-Leerlaber-Antwort-Talkshows unter der Leitung eines grenzdebilen Journalisten-Derivats, welches die Runde der mirkozefalitischen Satzbaustein Ventilatoren dirigiert...“ einschlummerte. „Moderator bedeutet Mäßiger, noch viel, viel mäßiger“, dachte er noch, „und es ist… – auch klar… – warum...“

      K3 – Aber ich hab doch gar nicht…

      Es war bereits helllichter Tag, halb zehn im ganzen Land, als Heinrich T. Köchmüller auf der Couch im Wohnzimmer hochschreckte. Er hatte doch tatsächlich verschlafen! Frau und Kinder waren beizeiten außer Haus. Jemand von ihnen hatte ihm wohl frühmorgens eine Wolldecke spendiert und die Flimmerkiste ausgemacht. Aber dann fiel ihm ein, dass er nicht mehr in die Vorgaben der Arbeitsverwaltungsstelle eingesperrt war. Welch eine Freude. Ihm ging es richtig gut. Ihm behagte der Gedanke, in gut einer Stunde durch die Tür der Arbeitsbürokratie zu gehen und seine Abmeldung auszufüllen.

      In seinem weißen Bademantel schlenderte er zur Küche. Beim Vorbeigehen fiel sein Blick in den großen Garderobenspiegel. Er blieb stehen, baute sich vor der Glasfläche auf, verbeugte sich: „Jetzt fehlt nur noch das gläserne Klavier… – Bald geht es nach New York. Auf'n Sprung mal nach Tokio… – äh… Hawaii… – ach ja… – verhandel ich in Südamerika Verträge mit wichtigen Patrones … äh… naja...“ Sein Spiegelbild grinste ihn an.

      In der Küche griff er nach der alten Kaffeemühle, kurbelte sich beschwingt eine Handvoll Bohnen zu Mehl, nahm einen Topf, füllte diesen mit einem Becher Wasser, brachte selbiges zum Kochen und streute anschließend das Kaffeemehl hinein. „Drei Mal aufkochen lassen und dann den Zucker hinzu. Das ist das Geheimnis! Da schmeckt dann einer wie der andere! Aufgekocht und frisch gebrüht, von Köchmüller und Söhne!“ Aus etwas überzogener Höhe goss er den Sud, durch ein Teesieb in seinen Kaffeebecher: „Damit die Blume sich entfaltet!“ Er lachte und nippte an dem Gebräu. „Merken Sie, wie wohl es ihrem Kreislauf tut?“

      Mit dem Bohnerwachs-und-Spießigkeit-Lied auf den Lippen spülte er den Topf aus. Dabei fiel sein Blick auf einen gelben Notizzettel, der an der unbenutzt herumstehenden Kaffeemaschine hing. Die Autovermietfirma hatte sich gemeldet. Den wohlgefüllten Kaffeepott in der einen Hand, wählte er die angegebene Nummer mit der anderen.

      Es vergingen kaum 30 Sekunden, da war Heinrichs Kaffee-Durst völlig vergessen. „Aber das kann doch gar nicht sein! … – Was macht der denn da?… – Ja, natürlich wurde der gestern abgegeben… – Nur nach Basel, zu einer Besprechung… – Was für ein tracking? … – Ach, der wird immer überwacht?! Ja, dann wissen Sie doch, wo er ist. Der steht sicher vor Ihrer Filiale… – Wie? Nicht abgegeben?!? Sie haben nur nicht richtig geguckt!… – Da haben Sie vollkommen Recht, so ein großes Auto übersieht man nicht: `Mal eben so'. Vielleicht war auf ihrem Parkplatz alles voll und der Rudi hat ihn an den Straßenrand gestellt… – Das ist der, der den Wagen zu Ihnen bringen wollte… – Natürlich ist der nicht als Fahrer eingetragen. Da habe ich ja noch nicht gewusst, dass es den Rudi überhaupt gibt – ich meine dass der den Wagen übernimmt… – Na, um ihn bei Ihnen abzugeben… – Ich habe dem Herrn Patschke die Papiere und alles gegeben und der hat ihn dann zu Ihrer Filiale gebracht… – Ja, was weiß denn ich. Halt zur nächsten Niederlassung Ihrer Firma bei Basel eben. Steht doch auf der Liste… – Entweder gestern Abend noch, oder heute früh… – Ja sicher, bin ich mir da sicher… – Hat er mir doch gesagt, dass er das so macht… – Kein Signal? … – Wieso Osteuropa?… – Nur Schweiz!… – Basel! Sonst nix…“ Heinrich lief es eiskalt den Rücken herunter. „Ich habe Sie jetzt richtig verstanden? Der Wagen ist von Basel über Österreich und Ungarn nach Rumänien und dort ist die GPS-Überwachung abgebrochen... Ja, ich gehe hier am Ort in die Filiale. Das klärt sich dann alles.“

      Heinrich rannte die Treppe zu seinem Arbeitszimmer hinauf, startete seinen Rechner, rannte, während dieser hochfuhr, wieder hinunter und riss seine Ledertasche von der Garderobe. Als er wieder vor seinem Computer ankam, suchte er die Web-Site der Beyslböck-Invest. Die Nummer vom „Rudi“ in der Baseler Niederlassung war schnell gefunden. Doch er konnte es sowohl dort, als auch in der Zentrale in Wien versuchen, überall das gleiche: „Kein Anschluss unter dieser Nummer!“ Mit zittrigen Fingern unterbrach er die Verbindung. Ganz langsam legte er das Mobilteil neben die Ladestation. Mit leerem Blick starrte er auf den Bildschirm. Noch vor wenigen Augenblicken war ihm siedend heiß, nun begann er, vor scheinbarer Kälte, zu frösteln. Jetzt fiel ihm auch auf, dass er nie über einen Festnetzanschluss kontaktiert worden war. Er griff zu seinem Handy, scrollte die Liste der empfangenen Nummern durch. Alles da! Trotzdem, er fühlte sich wie gelähmt. Schwerfällig erhob er sich vom Schreibtisch, um sich anzukleiden. Eine Weile später verließ er das Haus, mit seiner Ledertasche unter dem Arm.

      Vor der Filiale des Autovermieters stand ein Streifenwagen der Polizei. Köchmüller zögerte. Für einen kurzen Moment dachte er an Umdrehen und Weglaufen. Vielleicht sollte er schnell die Kanzlei des Schonhoff-Clans kontaktieren, auf dass sie ihm ihren Nobel-Anwalt zur Seite stellten. Diesen Gedanken verwarf er wieder, seine verschwägerte Verwandtschaft ging das nichts an! „Egal jetzt!“ Heinrich atmete zweimal tief durch und öffnete die Eingangstür.

      Am Empfangsschalter füllten zwei Polizeibeamtinnen irgendwelche bunten Formularbögen aus. Kaum dass er sich vorstellen