i.A. - H.T.K.

Die Köchmüller-Papiere


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verschleierte Risiko endlich, liefen sodann, mit rot bedruckten Depotauszügen, an die Tresen der teuer geölten Berater-Schar, dann verwiesen ebendiese – standesbewusst ihre Hände in Unschuld badend - zu allererst auf die klosterähnliche Diskretionspflicht in den heiligen Hallen des Geldes.

      Der Grund für die noble Zurückhaltung der Fachleute: Je länger das Spiel lief, desto steiler entwickelten sich, hinter wallenden Wortschleiern verborgen, die Boni. Jedoch, bedeuteten die vorprogrammierten Blasen-Platzer – die bis zum letztmöglichen Zeitpunkt aufgeschobenen Zusammenbrüche im „Spiel“ - für die Allgemeinheit: Maximaler Schaden.

      „Altbackener Bank-Beamter“, so wurde er von seinen jüngeren Kollegen aus der Vorsorge- und Invest.-Abteilung immer öfter bezeichnet, weil er „…das Ende jeglicher Fahnenstange…“ erreicht sah, wenn die jungen Geldhengste gegen ihre eigenen Kleinkunden wetteten und sich darüber auch noch, in höhnischster Weise, lustig machten. Das hieß konkret: Kursmanipulierende Gegeninvestitionen zu Gunsten Dritter, also im Auftrag ganz bestimmter, freigiebiger Großinvestoren. „Unser System“, versuchte Köchmüller seine vorgestrig erscheinende Arbeitseinstellung zu verteidigen, „…ist nicht nur auf Betrug und Verarsche aufgebaut. Meine Kunden sind auch nach fünf oder zehn Jahren mit meiner Arbeit zufrieden!“ Nicht selten folgte seinen Feststellungen das verächtliche Gelächter der werten Kollegen. Die $-förmige Blume der Raffsucht in ihren Augen, galt ihnen die asymmetrische Risikoverteilung zwischen Geldpriester und Finanzhaus diesseits versus Dumm-Kunde jenseits des Bankschalters als natürliche Grundlage: „...Fünf Jahre? Da bin ich doch längst nicht mehr hier!“ oder „...bei Ponzi müssen wir uns alle rechtzeitig umorientieren!“

      Signore Ponzi, der italo-amerikanische Anlage-Guru der 1920er Jahre. Sein „Geschäftsmodell“: Gesetzesverspottende Giga-Schneeball-Systeme mit Phantasie-Renditen. Köchmüller bekam immer mehr den Eindruck, dass jener, bei seinen jungen Kollegen, zum heimlichen Säulenheiligen aufgestiegen war. Vergleichbares, im Sinne Ponzis, nachzubauen, selbiges, sodann, geschickt und legalisierend zu verschachteln, um es, anschließend, „…um drei Ecken…“, in die Prospekt-Auslagen neben dem Info-Tresen zu integrieren, das schien, fast unübersehbar, zum inoffiziellen, zentralen Lehr-, Prüfungs- und Beförderungsfach geworden zu sein, meinte Köchmüller vermehrt feststellen zu müssen. Den blanken Gegenpol dazu bildete seine überholte Einstellung zur Nachhaltigkeit. Diese realwirtschaftliche Ausrichtung seiner Arbeitsauffassung hatte jedoch, bei genauer Betrachtung, nur ein Ergebnis: Sie ließ ihn in die Nähe der Pole-Position vorrücken, auf der innerbetrieblichen „Abschussliste“.

      Im Nachhinein bestritt Köchmüller nicht, dass der allgemeine Personalabbau im analogen Geldgewerbe, auch ohne Finanzkrise, rein auf der Grundlage der technischen Entwicklung, grundsätzlich schlüssig war. Für ihn war augenfällig, dass die Privatkunden-Berater, in dieser zunehmend vernetzten Umfeld-Entwicklung, künftig nicht mehr genug Realkunden-Kontakte haben würden. So musste also rechtzeitig

      „...überflüssiger Mitarbeiter-Ballast fachgerecht entsorgt werden...“;

      eine wörtlich überlieferte, unverhohlene Feststellung aus der Vorstandsebene, während der alles entscheidenden Bereichsleiter-Sitzung, an der er zufällig teilnehmen durfte.

      Heinrich T. Köchmüller, damals Anfang 40, gehörte schon zu den „älteren Herren“. Sein emsiges Tun schlug sich in den Auswertungstabellen und Graphiken seines Arbeitgebers, Jahr für Jahr, als Zahlung eines Gehaltes, knapp im sechsstelligen Bereich plus Lohnnebenkosten nieder, ohne aber – mindestens und jederzeit! - das Vierzigfache einzubringen. Auch aus diesem Grund war er einer der ersten, die auf der Straße standen. Ernsthafte Fehler, gar grobe Fahrlässigkeiten konnten ihm niemals vorgeworfen werden. Jedoch, seine umsichtige Einstellung, seine stete Abwägung auf der Basis „…ist hier eine nachhaltige Win-Win-Situation für uns UND den Kunden?…“, störte schlicht das zur rasanten Exponential-Wirtschaft mutierte Profit-Getriebe im Hause. Dieses „Old-School-Verhalten“ gegenüber den Kunden – von höherer Stelle nie direkt kritisiert – bildete die wahre Begründung für seinen Rauswurf. Er wollte einfach keine Anlagezertifikate verhökern, die auch im Kollegenkreis - freimütig - als höchst windig qualifiziert wurden, und keine Kredite bis zum Geht-Nicht-Mehr aufschwatzen. Vielmehr stand er, bezüglich inhabergeführter Unternehmen, für individuell geschneiderte Vorsorge und solide, weitgehend krisenfeste Finanzierungen. Und für `Familie Jedermann´ fertigte er die nachhaltig bezahlbare Hypothek. Dieses Markenzeichen seiner Berufsauffassung wurde erst zum Spott, dann zum Mühlstein. Die schnell wechselnden Kollegen nannten ihn zeitweise nur „Mister Warentest“, ohne zu ahnen, wie sehr der Spott tatsächlich zutraf.

      Zu Beginn seiner Tätigkeit, in diesem Fachbereich, war er natürlich noch reichlich unbedarft. In jener Anfangszeit, als in der Kunden-Beratungs-Kabine noch beiderseits des Schreibtisches „Greenhorn-Tage“ vorherrschten, hatte er vorab nicht exakt geklärt, woher die Exposés für die Objekte der Kunden stammten. Erschwerend kam hinzu, dass viele Köpfe der Kundschaft, wie eh und je, mit selbst zusammengebasteltem Halbwissen verkleistert waren, während ihre Münder mit euphorischen Aussagen über das „...wärmstens empfohlene, günstige Immobilien-Angebot, zur Ergänzung der Altersrente...“, um besicherte Kredite ersuchten. So kam es in jenen Anfangstagen seiner Berufsausübung, auf Kundenseite, zu Missmut und Erstaunen, wenn er vom Kauf abriet: „Aber Ihr Kollege… – in Ihrem eigenen Hause… – der hat uns das Ding doch angeboten!“ „Äh, ja?...“ eierte er damals herum und richtete, unter den zornigen Blicken der Gegenseite, erst jetzt seine Augen auf die allerletzte Seite des Exposés: Tatsächlich!! Zwar war die Zusammenstellung unter dem Signet einer der vielen, verschachtelten Immobilien-Töchter seines Arbeitgebers erfolgt, doch der Stempel, am Ende, stammte ausgerechnet von einem Kollegen aus den benachbarten Büros. Er beschwichtigte geschwind, log über den Vorsatz der Kollegen hinweg, sprach von einem Versehen, von einem Angebot auf der Kalkulationsgrundlage großer Invest.-Projekte. Ein Angebot, dass für einen Privatanleger mit einer oder zwei vermietbaren Einheiten ungeeignet sei.

      Seine Halbwahrheit: „…Und deshalb möchte ich Sie auch dringlichst bitten, unter keinen Umständen ein böses Wort über meinen Kollegen zu verlieren. Der Schaden für Ihre Ersparnisse ist doch abgewendet und der Kollege bekommt nur unnötig Ärger. - Sie haben ja mich, als Kontroll-Instanz.“

      In den folgenden Jahren machte Köchmüller, ca. ein- bis zweimal pro Monat, für besondere Fälle, Kunden-Termine nach Feierabend. Seine reichlich angewachsene Erfahrung und eine Vielzahl entsprechender Lehrgänge bildeten dafür die wohl-eingeübte, objektivierende Grundlage. Mit dieser Kenntnis nahm er sich die Zeit für diejenigen, die offensichtlich völlig überfordert waren, beim Thema: „Die ersehnte eigene Hütte.“ Dies tat er privat, sowohl ohne Behelligung derjenigen Kollegen, die in den Immobilien verhökernden Töchtern der Bank ihr Unwesen trieben, als auch ohne Information an seinen Chef. So lernte er, im Laufe der Zeit, einen Großteil des Immobilienbestandes der Region kennen. Und doch: Auch nach Jahren zögerte er manchmal, zum Ende dieser informellen Rundgänge, in die Augen der erwartungsvoll blickenden Möchtegern-Investoren zu schauen. Auch wollte ihnen Köchmüller nichts sagen, über die wahren Hintergründe mancher Angebote in den Hochglanzprospekten. Darin wurden: Die Lage schöngeredet, verdeckte Bauschäden übergangen, die tatsächlichen und langfristigen Kosten ausgelassen. Miese Offerten, in viel-etagigen, >blender-sanierten< Wohnmaschinen, an der Peripherie einer x-beliebigen Schlafstadt. Kaum ein Thema war das, im hinreichenden Maße, notwendige Eigenkapital. Dafür wurde, in großsprecherischer Weise, der Begriff „Steuerspar-Modell“ in Zusammenhang gebracht, mit dem vergleichsweise mickrigen Arbeitseinkommen eines doppelverdienenden 47.283-Euro-Facharbeiterhaushalts. Jedoch kein einziges Wort über die faktische Unmöglichkeit einer durchgehend kostendeckenden Einzelbewirtschaftung. Derlei Angebote und deren übertölpelnde Handhabung hatten nur einen simplen Existenzgrund: Wilde Provisions-Gier der kurzlebigen Kollegen, auf der Grundlage zwielichtiger Verbindungen zwischen Verkäufer und Vermittler, unter Inkaufnahme blanker Interessen-Kollisionen. Und das kreditgebende Geldhaus lächelte zu alldem nur milde.

      „Alles schmutzige Interna. Nichts für die Ohren der Kunden“, glaubte der fleißige