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Die Köchmüller-Papiere


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von Tante Friedas Sparstrumpf.

      Gern bemühte er immer wieder seinen Lieblingsvergleich: „…Ach wissen Sie, wenn Sie zur Geldanlage eine Wohnung kaufen, dann ist das wie bei einem Bauern, der alle Eier in einen Korb legt und über den Hof in seinen Laden läuft. Was von den Eiern übrig ist, wenn er den glitschigen Kuhfladen auf seinem Weg übersieht, können Sie sich sicherlich ausmalen. Und jetzt stellen Sie sich einmal vor, Sie haben Ihre langersparten Eierchen in diese eine Wohnung gesteckt und stolpern eventuell über die Tatsache, dass Sie das Ding, in dieser ambitionierten Randlage, nicht langfristig und dauerhaft vermieten können, während die Kosten weiterlaufen.“

      In manchen Fällen half nur „Gegenfeuer“, um die von Politik und Medien propagierte Panik vor Altersarmut und Inflation in den Griff zu bekommen. Dann malte er ein Bild von Miet-Nomaden, Verwüstungen und den daraus folgenden hohen Sanierungs-Kosten, denen – logischer Konsequenz folgend - keinerlei Einnahmen gegenüberstehen konnten. Er bot, als Alternative, knochen-konservative, breitgestreute und totlangweilige „offene Immobilien-Sparfonds“ an oder Vergleichbares aus den windgeschützten Ecken, die der Geld- und Aktienmarkt, in vielen Varianten, zu bieten hatte. Dankbarkeit der Kunden? Freude über seine Offenheit? Das war direkt nach seinen Ausführungen ehr selten. Im Gegenteil. Der Zorn mancher enttäuschter Immobilien-Stichlinge, die sich, mit ihren geplanten „…75m²-Großinvestitionen…“, wie die Hechte im Karpfenteich wähnten, schlug ihm entgegen. Meistens konnte er nur mit dem Hinweis, „…bedenken Sie, ich mache das hier nach Feierabend, in meiner Freizeit…“, für einsetzendes Nachdenken beim weiblichen Teil der Kunden und somit für Besänftigung der grantig daneben sitzenden „Hecht-Stichlinge“ sorgen. Erst mit einiger Verzögerung, wenn es um die abschließende Bewertung, um die Messung der Kundenzufriedenheit ging, trug sein Engagement, weit sichtbar, leuchtende Früchte.

      Besonders heikel war seine Lage bei ein oder zwei Prozent seiner Kunden. In diesen Fällen ging es nicht um simple Wohn-Immobilien, sondern, in bodenloser Blauäugigkeit, um „DAS EIGENE TRAUMSCHLOSS“.

      Kamen diese besonders realitätsresistenten Bau-Eltern, zum Gesprächstermin und schleppten ihre Kinder mit, weil angeblich „...die Omi heute beim Friseur ist. Und einer muss ja aufpassen...“ dann war höchste Vorsicht geboten. Diese Gelegenheit wurde dann zumeist genutzt, um zu behaupten, dass die Zwerge „...ganz überraschend...“ etwas gemalt hatten, „...für den lieben Onkel von der Bank...“. Voller Stolz und mit leuchtenden Augen hielten ihm die gedungenen Racker ihre fröhlichen Krakel-Bilder vom künftigen Märchenschloss, unter die Nase. Bis zu dem Punkt spielte Köchmüller das Spiel natürlich mit und pinnte die neuen glubschäugigen Häuschen mit den schiefen Schornsteinen neben die vielen anderen. Bereits dieses Vorgeplänkel warnte ihn: Die suggestiv beeinflussten Bildchen der „Kleinen“ korrelierten nur allzu sehr mit dem Smalltalk der „Großen“. Das naive Vorstellungs-Niveau der „Eltern“ wich nicht allzu sehr von dem der mitgeschleppten „Kinder“ ab. Wurde ihm dann sogar offenbart, dass die Kaufverträge bereits verbindlich unterschrieben waren, ohne vorherige Rücksprache mit der Bank – also, ohne Hypothekenzusage – dann befand sich das reale, zu aufwändig geplante 158Komma73-Quadratmeter-Reihenhaus, nicht selten, mit samt seiner vermeintlich künftigen Bewohner, im freien Fall in den Brunnen des Familien-Bankrotts. Seinem Stirnrunzeln folgten Erwiderungen, die sich stets ähnelten: „...Aber wieso? Wir arbeiten doch beide. Und wenn der Kevin im Kindergarten und die Chantal in der Schule sind, dann kann ich auch wieder ganztags...“ Auch die Vorstellung, dass häufige Überstunden eine nachhaltige und somit anrechenbare, Bemessungsgrundlage für eine Hypothek darstellen konnten, war weiter verbreitet, als sich Köchmüller das jemals, in einem Alptraum, hätte ergruseln können. Ein kleiner Bruchteil dieser „Sonderklientel“ war so beratungsresistent, dass sie ihm ernste Probleme bereiteten. Diese – nach seiner Meinung – „unverbesserlichen Volltrottel“, erkannten nicht, in ihrem Wahn vom (Alp-)Traumhaus oder getrieben von Inflationsangst, dass sie einem Berater gegenübersaßen, der gutwillig handelte. Sie beschwerten sich bei seinem Chef, weil er ihnen keine Hypothek auf ein ausuferndes Wohnprojekt bewilligen wollte, welches – im schlimmsten Fall – wieder einmal von ebendieser Bank angeboten wurde. Köchmüller hatte natürlich Recht und Gesetz auf seiner Seite, wenn er ungerührt den Rüffel vom Bereichsleiter kassierte; diesen, durch knallharte Expansions-Vorgaben geplagten, direkten Vorgesetzten, wiederholt auf „...Gefahr der Überschuldung...“ oder gar auf „...die Grauzone zur strafbewährten vorsätzlichen Überschuldung...“ hinwies. Seine, bei Kollegen und Vorgesetzten, wohlbekannte Einstellung „... Ich bin nicht die Amme meiner Kunden, aber ein Wegweiser, notfalls ein blinkendes Warnschild, an das man sich halten kann oder nicht...“ konnte man ihm nicht, in aller Offenheit, als Geschäftsschädigung vorwerfen. Aber ebendiese, seine strikte „...Ablehnung der überbordenden Umsatzreiterei auf Teufel-komm-raus...“, wie er sie nach Feierabend nannte, war sinngemäß in seiner Personalakte verklausuliert. Er störte schlicht den zentral geschürten Leistungswettbewerb zwischen den Niederlassungen und damit den unausgesprochenen „ROI – Return on Invest“, das >Dreiunddreißig-Ein-Drittel-Prozent-Eigenkapital-Rendite-Ziel< des Gesamtunternehmens.

      Ein besonderes, exklusiv von seinem ehemaligen Arbeitgeber durchgerechnetes und aufgebautes, Geschäftsfeld der Abzocke, war das legendäre „Immobilien-Karussell“. Die Finanzierung dieser Aktivitäten stellte einen kleinen Bruchteil jenes Geschäftsbetriebes dar, der direkt neben Köchmüllers steinigem Berufs-Acker abgewickelt wurde. Außerhalb der reinen Investment- und Vorsorge-Geschäfte, seiner Kollegen, war diese Spielart der „Kreislaufwirtschaft“, innerhalb des Doppel-Geschäftsbereichs „Immobilie & KMU“[KMU = Kleine und Mittelständische Unternehmen], ein keiner Teil, und doch der einträglichste und in stabiler Kontinuität laufende Gold-Esel. Aber dieses kleine, hausinterne Spiel war auch das schmutzigste.

      Zehn Jahre zuvor hatte Köchmüller seiner Frau einmal das damals neu installierte „Immobilien-Karussell“ erklärt. Die beiden Kinder waren gerade zu Bett gebracht, die Eltern saßen am Küchentisch. Was er ihr erzählte, war damals für beide der klar erkennbare Auswuchs des nun auch in ihrem Lande entfesselten Finanzkapitalismus. Ihr zustimmendes Nicken war ihm zu dem Zeitpunkt noch sicher, als er sagte, dass diese Entwicklung ausgerechnet unter einer Regierung geschah, die sich „…total kackfrech…“ als arbeitnehmernah bezeichnete. Den Ausgangspunkt des `bankeigenen Gewinnspiels´ bildete eine reichlich banale Tatsache, so Köchmüller: “Am ertragreichsten sind Objekte aus Zwangsversteigerungen!“ Zur Durchführung des Spiels bedurfte es zweier Grundvoraussetzungen, die nur eine größere Organisation bieten konnte: Den Part der Zuspieler übernahmen die getarnten, unter den reichlich vorhandenen Tochterunternehmen der Bank. Diese rechtlich weit ausgelagerten Kraken-Arme sorgten, zur vorgegebenen Gewinnziel-Erreichung, für einen steten Strom billigen Nachschubs dieser ausgehämmerten Immobilien. Zweitens war, der aufmerksamkeits- und risiko-dämpfende Effekt des Massenumsatzes wichtig. Dadurch gingen Widerspenstigkeiten der betroffenen Kunden im Rauschen der allgemeinen Betriebsamkeit unter, aber auch anderweitige Störungen im Ablauf und, vor allem, so genannte „Ausfälle“ konnten aufgefangen werden.

      „Und glaub' mir“, so Köchmüller, „im Zusammenhang mit diesem Spiel ist mit >Ausfall< keineswegs der Zusammenbruch einer Finanzierung gemeint. – Ganz im Gegenteil...!“

      Dieses Spiel zu realisieren, erforderte noch eine weitere, ganz zentrale Kleinigkeit: Die, zwar geschickt getarnte, aber doch systematisch ausgetüftelte Überschuldung dieses vorbestimmten, ehr winzigen Prozentsatzes der Kundschaft.

      Köchmüllers Boss: „...Laufkundschaft natürlich. Stammkunden tut man sowas nicht an... – falls die sich wehren können...“

      Krankten tonnenschwere Hypothek und schöngerechnete Betriebskosten endlich, nach vier bis sechs Jahren, auf dem überdimensionierten „Traumhaus“, so wurde schnellstmöglich die Zwangsversteigerung auf den Weg gebracht. „Rein zufällig“ wurden die langfristig werthaltigsten Immobilien, soweit möglich, von einer der – bis zu diesem Zeitpunkt völlig unbeteiligten - Schachtel-Töchter des Kreditinstituts zurückersteigert.

      „Im