Charline Dreyer

Waves


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Die Poolbar, unweit vom Strand und zugehörig zu der Häusergruppe mit unserer kleinen Villa, ist hell erleuchtet und belebt. Laute Musik tönt aus allen Richtungen und glitzernde Lichtgirlanden ziehen sich über das gesamte Gelände an Gebäuden, Palmen und Büschen entlang. Ein wunderschöner Anblick, der perfekte Ort, um mit Freunden zusammen zu sein, Spaß zu haben, den kanarischen Sommer zu genießen.

       Unter normalen Umständen.

       „Ich weiß nicht, mir ist eigentlich nicht nach Alkohol“, stöhne ich und setze mich mit ihm direkt an die Bar.

       „Du hast gerade erfahren, dass dein Freund dich mit deiner besten Freundin betrogen hat und warst sogar Augenzeuge dieses entsetzlichen Aktes und willst mir sagen, dir sei nicht nach Alkohol?“ Ungläubig schüttelt er den Kopf und zupft an seinem Haarknoten.

       „Exfreund. Ex beste Freundin“, verbessere ich, wie auch er es zuvor getan hat, zeige mit ausgestrecktem Finger auf ihn. Ohne mich zu beachten fährt er fort: „Alkohol ist eigentlich ausschließlich für Menschen wie uns gemacht.“

       „Für armselige, gedemütigte Menschen?“

       „Trauernde, Verletzte, Misshandelte ...“

       „Wie melodramatisch“, jammere ich und verdrehe die Augen. „Vor allem, misshandelt.“

       „Und ob. Unser Vertrauen wurde ganz und gar misshandelt!“

       „Das nennt sich zwar ‚missbraucht', aber heute will ich mal nicht so sein. Du bist ja völlig durch den Wind.“ Ich schenke ihm ein bemitleidendes Lächeln und bestelle zwei Tequila. Wenn schon, denn schon.

       „Entschuldigung, Miss angehende Germanistikstudentin.“ Jetzt verdreht auch er die Augen, trotzdem stößt er mit mir an und kippt das Zeug herunter, ohne mit der Wimper zu zucken. Ohne Salz. Ohne Zitrone. Eiskalt und gnadenlos, einfach pur. Ich hingegen verziehe angewidert das Gesicht, was ihm ein Lachen entlockt.

       „Kann ja nicht jeder so abgehärtet sein wie du“, grummle ich und bestelle einen Margarita. Niemals schaffe ich zwei Shots direkt hintereinander. Anders als Elijah, der wenig später schon mehr als angetrunken ist.

       „Weißt du, mich hat eigentlich so vieles an dieser Schlampe genervt“,lallt er und ich sehe mich automatisch um, will ausschließen, dass sie eventuell in der Nähe sein könnte. Eigentlich Schwachsinn. Sie kann es ruhig hören. Es soll mir egal sein, ich muss nicht weiter Rücksicht auf sie nehmen.

       „Zum Beispiel dieses ständige Zählen von Kalorien!“ Er lacht laut auf, prostet mir zu. „Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr mich das genervt hat. Wusstest du, dass einhundert Gramm Apfel circa fünfzig Kilokalorien hat?“ Er kippt abermals sein Getränk herunter und grinst übers ganze Gesicht, wobei sich zarte Fältchen um seine Augen bilden.

       „Nein“, antworte ich gedehnt.

       „Eben! Wer weiß das schon? Niemand weiß so etwas. Und das ist auch gut so. Welcher verdammte Mensch will schon wissen, wieviel verfluchte Kalorien so ein hä-hässlicher Apfel hat?“

       „Hä-hässlich, also?“ Er bemerkt nicht, dass ich ihn verarsche.

       „Aber ich- ich kann dir dank der scheiß Schlampe 'ne scheiß Tabelle machen mit allen Lebensmitteln dieser scheiß Welt und kann dir genau sagen was wieviele Kalorien hat!“

       „Elijah...“, setze ich an.

       „Vor allem, wenn sie doch schon ausschließlich Grünzeug frisst, wieso zählt sie dann trotzdem noch die Kalorien?“ Er gibt ein Schnauben von sich und klatscht in die Hände. Ich lache widerwillig auf, da sich beispielsweise sein ‚scheiß Schlampe' nur noch wie ‚Scheischlamme' anhört, oder weil er beim Reden ständig seinen rechten Mundwinkel nach oben zieht. Isabella sagte mal, das täte er nur, wenn er betrunken ist. Sie betonte auch, dass es ihrer Ansicht nach unsexy aussieht und Elijah dann eins zu eins einem verrückten Chemielehrer gleicht, der über ‚Moleküle und all den Bullshit' referiert. Das sind glaube ich ihre Worte gewesen. Aber ich finde diesen Tick gar nicht so tragisch, er ist ein Teil von ihm.

       „Kein normaler Mensch tut so etwas, stimmt doch. Oder, Ads ...“, er beugt sich so weit nach vorn, dass er fast vom Barhocker fällt, „-Ady!“

       „Ich schätze, das tun mehr, als du denkst“, erwidere ich lächelnd, halte ihn an den Schultern fest und richte ihn wieder auf, wie eine Marionette ohne Fäden.

       „Bitte sag mir, dass du nicht dazu gehörst.“

       „Naja, ähm ...“ Ehrlich gesagt hatte ich es schon oft versucht, jedoch nach spätestens einer Woche aufgegeben. „Nein“, schließe ich also. „Einfach zu zahlenfaul.“ Zahlenfaul? Interessanter Neologismus, Adeline.

       „Darauf müssen wir anstoßen!“, grölt er jetzt.

       „Denkst du nicht, du hattest genug?“

       „Definitiv“, lacht er zu meiner Überraschung. „Aber das macht die Sache nur noch spannender.“ Um Himmels Willen. Er schaut immer wieder über meine rechte Schulter und grinst. So auffällig und so oft, bis ich mich schließlich umsehe und eine zierliche Rothaarige in knappen Hotpants ausfindig mache. Sie lehnt an der Theke und spielt an einer Haarsträhne herum.

       „Nein. Denk nicht mal daran, El“, warne ich.

       „Wieso denn? Wir haben beide drei Jahre nur Sex mit ein und derselben Person gehabt! Du solltest auch die Chance nutzen und dir mal etwas Abwechslung gönnen.“

       „Abwechslung? Das ist nicht dein Ernst.“ Ich würde um nichts in der Welt zugeben, dass mich derselbe Gedanke auch schon das ein oder andere mal gequält hat. Die Frage nach dem, was man verpasst. Die Frage nach dem, was man sonst noch haben könnte. Ich schüttle den Kopf, weil mir bewusst wird, wie mies dieser Gedanke im Grunde ist. Aber ich bin mir sicher, dass jeder Mensch in einer längerer Beziehung wenigstens einmal so gedacht hat. Denn so sind Menschen halt. Nicht für die Monogamie gemacht.

       „Weißt du, sie hat immer diese eine Sache gemacht, während ich sie genommen habe ...“, erklärt er. Ich reiße die Augen auf und will etwas sagen, doch er redet einfach weiter: „Dieses Geräusch. Wie ein Schwein. So ein Grunzen.“ Er versucht, es zu imitieren und schon wieder bringt er mich herzhaft zum Lachen. Auch wenn die Bilder, die dadurch in meinem Kopf hervorgerufen werden, alles andere als lustig sind. Es rutscht mir einfach so über die aufgerissenen Lippen.

       „Da nützt es auch nichts, dass sie einen Körper wie Heidi Klumps hat. Das ist einfach nur abturn.“

       „Heidi Klumps?“, frage ich und die Lautstärke meines Lachens entwickelt sich konstant steigend. Ja, es klingt verzweifelt und auf keinen Fall ladylike.

       „Aber das ist ja noch so'ne Sache, die magert sich immer mehr ab. Anders als du.“

       „Wow, schön. Was möchtest du mir damit jetzt wohl sagen.“ Ich selbst mag meinen Körper. Ich meine, er ist in Ordnung. Ich stehe auf meine Brüste und meinen Hintern und ich habe seit zwei Jahren nicht einen einzigen Gedanken an Diäten verschwendet. Als ob diese Macke, unbedingt dünn sein zu wollen, zusammen mit tumblr-Zeiten und der Pubertät verschwunden ist. Dem Himmel sei Dank.

       „Du ... Du hast solche ...“ Er malt Formen mit den Händen in die Luft und fängt schon wieder zu glucksen an.

       „Ist okay, Elijah. Lass gut sein.“ Betrunken. Er ist viel zu betrunken, hört dennoch endlich auf herum zu hampeln und lallt nur: „Ich denke, ich geh der mal ‚hallo' sagen.“

       Das wird mit hoher Wahrscheinlichkeit in einer Katastrophe enden. Aber, was soll ich machen? Der Mann ist fast sechsundzwanzig Jahre alt. Ich habe absolut kein Recht, mich da einzumischen. Also schaue ich ihm nur zähneknirschend hinterher. Die Rothaarige wirft kokett ihr Haar nach hinten, als Elijah sich fast lässig neben sie an die Bar lehnt, erstaunlicherweise. Ein bisschen wackelig, aber immerhin ohne umzufallen. Ich kann nicht hören, was sie sagen. Vielleicht besser so.

       Seufzend wende ich mich ab und rühre mit dem Strohhalm in meinem Cocktail