Charline Dreyer

Waves


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go away. My parents will kill you. And me.“ Anscheinend hat er wenigstens das verstanden. Zerknirscht knöpft er sein Hemd zu und verlässt das Haus, ohne ein weiteres Wort.

       Stöhnend lasse ich mich im Wohnzimmer aufs Sofa fallen und vergrabe mein Gesicht in den Dekokissen. Es liegt immer noch der süßliche Geruch von Kokos und Ananas in der Luft. Widerlich. Ich kann nie wieder Pina Colada trinken. Als ich die Küche betrete, was ich ja eigentlich vermeiden wollte, spüre ich an meinen nackten Füßen, dass der Boden noch klebt und das Waschbecken voller Glasscherben ist. Nicht einmal richtig sauber gemacht, haben die. Hoffentlich kleben hier bloß die Rückstände des Cocktails und nicht ... Ja. Ich muss würgen und verlasse die Küche, stolpere ein zweites Mal über Isabellas Krempel, rutsche auf den nassen Fliesen aus und lande fast auf meinem Hinterteil, kann mich gerade so an der Sofalehne festhalten. Schluchzend lasse ich mich vollends zu Boden gleiten, wo ich, mittlerweile schon zum fünften Mal an diesem Tag in Tränen ausbreche.

      ***

      E L I J A H

      Mein Schädel brummt. Brummt. Brummt.

       „Guck mal Mami, ein Obdachloser!“

       „Das ist kein ... Sophie, komm sofort mit. Der hat bestimmt Flöhe.“

       „Ich will ihn aber streicheln.“

       „Nicht doch. Komm jetzt, sonst gibt es kein Frühstück mehr.“

       Keuchend öffne ich die Augen und sehe, als sich mein Blick endlich schärft, gleißendes Sonnenlicht zwischen Palmenblättern auf mich hinab scheinen. Ich will mich aufrichten und spüre einen Haufen Fell neben mir, in meiner Armbeuge liegen. Der Haufen bewegt sich jetzt und macht Geräusche, ähnlich wie die eines kleinen Motors. Eine Katze, ganz offensichtlich. Die laufen hier alle frei herum. Ich bin kein großer Katzenfan. Schnell schiebe ich sie von mir weg und sehe mich orientierungslos um. Ich bin tatsächlich gestern auf dem Boden eingeschlafen. Was für ein Absturz. Neben mir auf dem Weg steht ein kleines Mädchen mit blonden Zöpfen, starrt mich mit großen Augen an und ihre Mutter zerrt an ihrer Hand. „Er ist wach“, flötet die Kleine und betrachtet mich, als sei ich ein Tier im Zoo. Oder vielleicht betrachtet sie auch einfach das Tier neben mir, was weiß ich.

       „Das darf doch wohl alles nicht wahr sein.“

       Die Mutter räuspert sich beschämt und zieht ihre Tochter mit sich, die den Blick nicht von mir, oder der Katze, oder beidem wendet, bis sie hinter Hibisken verschwunden sind. Mein Blick wandert an dem Gewächs vor mir hinauf und bleibt an einem vertrockneten Blatt hängen. Diese Insel hat wirklich eine nicht besonders spektakuläre Vegetation. Nun ja, zumindest soweit ich das bis jetzt beurteilen kann.

       Ich brauche gute zwanzig Minuten, um unsere Finka wieder zu finden. Das Gelände scheint endlos und ich bin nicht gerade bekannt für einen ausgeprägten Orientierungssinn. Adeline sitzt allein, vor ihr ein leerer Teller und eine Tasse Kaffee in beiden Händen, auf der Terrasse starrt und gen Ozean. Ein Tablett mit etlichen Lebensmitteln vor sich. Croissants, Brötchen, Obst. Bei dem Anblick dieses üppigen Frühstücks läuft mir das Wasser im Mund zusammen. „Schön, du beehrst mich also doch noch", pampt sie, ohne mich anzusehen.

       „Wo sind die anderen?“, frage ich, setze mich neben sie und gieße mir eine Tasse Kaffee ein. Bis auf leichte Übelkeit mit Kopfschmerzen, scheint mein Körper nicht besonders unter dem Alkohol von gestern zu leiden.

       „Weg“, flüstert sie so leise, dass ich es über die übliche, kanarische Brise, kaum verstanden hätte.

       „Wie meinst du das, weg?“

       „Weg, wie weg sein! Weg, das Adverb. Nicht da. Gegangen. Verlassen.“ Jetzt sieht sie mich von der Seite an, ihre Augen von der Sonne noch heller als gewohnt. Sie haben diese Farbe, die man nicht genau definieren kann. Je nach Licht. Mal eher grau. Mal eher grün. Manchmal blau. Oder wie jetzt, im Sonnenlicht. Ein zartes Türkis mit dunklen Sprenkeln versehen.

       „Sollen sie doch“, erwidere ich mit einem Achselzucken und trinke die Tasse mit wenigen Schlucken leer. Ich muss dringend duschen, meine Haare sind mit Grünzeug verklebt von der Nacht auf der Wiese und meine Schultern verspannt. Da hilft nur heißes Wasser. Oder eine Massage. Am besten beides. Ob Ady massieren kann? Unwillkürlich schaue ich auf ihre zarten Hände, die so klein sind, dass sie die Tasse nicht ganz zu umfassen schafft.

       „Ich finde es beunruhigend“, seufzt sie jetzt. Sie seufzt wirklich viel, in den letzten Stunden. Kein Wunder, eigentlich.

       „Mach dir mal keinen Kopf, die kommen schon wieder. Vielleicht haben sie sich ein eigenes Zimmer genommen, um ...“ Doch ich breche ab, denn ich sehe wieder diesen Schmerz in ihren Augen, den ich, wie ich bemerkt habe, noch weniger ertragen kann, als meinen eigenen. „Tut mir leid.“

       „Ist schon okay, du hast ja recht. Es nicht auszusprechen, macht es nicht weniger schlimm.“

       „Nein, ich meine ... Alles. Dass ich dich allein gelassen habe und dann die ganze Nacht weg war, ohne Bescheid zu geben.“ Ich senke den Blick und kratze mich am Kopf. Dieses verdammte Grünzeug. Ich habe einen halben Kräutergarten im Haar. Unter anderen Umständen, hätte Ady mich vermutlich damit aufgezogen. Das wäre eine riesige Story gewesen. Ich penne stink besoffen auf der Wiese des Feriengeländes. Unter freiem Himmel und wache mit Katze unterm Arm auf. Alle hätten darüber gelacht.

       „Ach, das meinst du“, sie zögert und wenn mich nicht alles täuscht, werden ihre Wangen leicht rosa.

       „Was ist?“

       „Nichts.“

       „Sicher?“

       „Ich, äh ... Ich war sowieso nicht allein. Jedenfalls nicht die ganze Zeit.“

       Ich starre sie an. „Oh, bitte, doch nicht etwa der Kellner.

       „Er ist Barkeeper“, verbessert sie mich und versucht ihr Gesicht hinter ihrem rötlich, gewellten Haar zu verstecken, welches vom Sommerwind in alle Richtungen geweht wird. Diese Insel und ihr Klima. Daran würde ich mich nie gewöhnen, wenn ich hier leben müsste. Ist beinahe schlimmer, als zuhause an der Nordsee, mit dem Sturm. Nun gut, die heißen Saharawinde mit denen der kalten Nordsee zu vergleichen, ist dann vielleicht doch etwas weit hergeholt.

       „Alles das gleiche“, erwidere ich jetzt. Warum stört der Gedanke mich so sehr, dass der schleimige Typ ihr an die Wäsche gegangen sein könnte?

       „Willst du nicht etwas essen? Ich hätte dir in deinem Zustand ehrlich gesagt gar nicht zugetraut, dass du so geistreich bist und Frühstück aufs Zimmer bestellst.“

       „Habe ich nicht“, gebe ich stirnrunzelnd zu.

       Sie legt den Kopf schräg. „Vielleicht die anderen beiden.“

       „Vielleicht. Jetzt gehört es jedenfalls uns“, ich zögere, „ich gehe erst einmal duschen, setzt du noch einen Kaffee auf?“

       „Auch wenn es mir sehr zuwider ist, dich für dein Verhalten auch noch mit Kaffe zu belohnen“, ich will gerade protestieren, da sehe ich, dass sie schief grinst, „hast du Glück gehabt, da ich selbst noch dringend einen vertragen könnte.“

      ***

      A D E L I N E

      Es ist merkwürdig. Als Elijah im Bad verschwunden ist und ich in der Küche den Kaffee aufsetze – ich habe den Boden inzwischen gewischt und das zerbrochene Glas weggeräumt – kommt es mir annähernd so vor, als hätte er wirklich die Wahrheit gesagt. Dass er auf der Wiese eingeschlafen ist, meine ich. Normalerweise ist er bekannt für seine spektakulären Ausreden, deshalb zweifelte ich seine Geschichte an. Aber er sah wirklich nach einer Nacht im Freien aus, um ehrlich zu sein. Sein gesamtes Haar ist voller vertrocknetem Gras gewesen und verkrusteter Schmutz hatte seine rechte Wange überzogen. Aber was mache ich mir überhaupt Gedanken darüber? Im Grunde ist es egal, wo er die Nacht verbracht hat. Ich bin nicht seine Babysitterin.

       Mich wundert aber trotzdem, wie locker er es sieht, dass Isabella und Joe urplötzlich verschwunden sind. Ein bisschen macht mich die ganze Sache doch verrückt. Ich habe zwar noch nicht versucht,